Anruf von „Jerry“

Joanna Rakoff hat mit „Lieber Mr. Salinger“ einen flotten Coming-of-Age-Roman geschrieben, für den sie reichlich aus ihren eigenen Erfahrungen schöpft. Als junge Studienabsolventin, die sich eben gegen ein Doktoratsstudium in Literaturwissenschaft entschieden hat, kommt sie Mitte der 1990er Jahre von einem längeren Aufenthalt in Großbritannien nach New York, um einen Job zu suchen und das möglichst weit weg von ihrem Collegefreund, der sie heiraten und sich an der Westküste niederlassen wollte. Nun lebt sie mit dem etwas älteren Don zusammen, der an seinem ersten Roman schreibt und ständig pleite ist. Ziemlich rasch findet sie eine Anstellung als Assistentin in einer alteingesessenen Literaturagentur auf der Madison Avenue, deren wichtigster Autor J.D. Salinger ist. Doch die gesamte Agentur scheint in der Zeit von Salingers größten Erfolgen stecken geblieben zu sein, außer vielleicht, dass die Sekretärinnen nun alle Hochschulabsolventinnen sind. So verbringt Joanna viele Stunden mit dem Abtippen von diktierten Briefen ihrer Chefin – auf einer uralten Schreibmaschine, denn Computer oder gar E-Mails gibt es nicht. Bald schon ruft allerdings „Jerry“ zum ersten Mal an und Joannas Neugierde auf seine Bücher wird geweckt. Ein ganzes Jahr wird sie am Ende in der Agentur gearbeitet haben und ein ganzes Stück reifer geworden sein. Angenehme Leseunterhaltung. ESt
Joanna Rakoff: Lieber Mr. Salinger. Roman. Aus dem Amerikanischen von Sabine Schwenk. 302 Seiten, Knaus, München 2015 
    EUR 20,60