Gesellschafts- und Erkenntniskritik

Die emeritierte Professorin ist eine im deutschsprachigen Raum prominente feministische Soziologin. Erfreulich, diese Textsammlung: sie spiegelt in ihrem chronologischen Aufbau einen wichtigen Teil der Entwicklung feministischer Theoriebildung der letzten 25 Jahre. Das Außergewöhnliche ist das Bemühen, ein in den Geschlechtertheorien vernachlässigtes Denken, die Kritische Theorie der Frankfurter Schule, mit feministischen Reflexionen kontrastiv zu verbinden. Für Adorno ist unsere Gesellschaft von der Herrschaftsform der instrumentellen Rationalität durchzogen, Individualität wird uniformiert und doch ist Widerstand immer auch möglich. Das ist der Brückenschlag zur Kritik der Lebensbedingungen von Frauen, denn Vergesellschaftung ist ohne klassizierte und vergeschlechtlichte Positionierung nicht zu begreifen. Ihre doppelte Vergesellschaftung bedeutet u.a., dass sie ein zweifaches „Arbeitsvermögen“ – Haus- und Erwerbsarbeit – aufbringen und damit die private wie die öffentliche Sphäre disparat verbinden müssen. Dialektisch geschult werden die sozial vermittelte Abhängigkeit der Subjekte auch in Rekurs auf aktuelle Debatten über situiertes Wissen, Identitätspolitik, Sozialkonstruktivismus, Intersektionalität, Fremdenhass, heterosexuelles Zwangssystem, Frauen als begehrende Subjekte, Fürsorge-Ökonomie reflektiert. Die Verschränkung hegemonialer Männlichkeit und kapitalistischer Herrschaft sitzt trotz aller Widersetzungen fest im Sattel; was gewaltförmig verdrängt wird, ist Gemeinsinn.

Birge Krondorfer

Regina Becker-Schmidt: Pendel­bewegungen – Annäherungen an eine feministische Gesellschafts- und Subjekttheorie. Aufsätze aus den Jahren 1991 bis 2015. 451 Seiten, Budrich, Opladen 2017 EUR 51,30