FrühjahrFrühjahr 20102010:: KunstKunst

Kunst als queere Kritik im Neoliberalismus

Für alle, die die gleichnamige Tagung im Jänner 2010 in Linz versäumt haben, füllt dieser Sammelband die Wissenslücke über das kritische Potenzial von queeren Konzepten in der visuellen Kultur wieder auf. Der Anspruch, produktive Auseinandersetzungen mit der juridischen, ökonomischen oder (kultur)politischen Logik zu liefern, wobei der Mehrwert queer gegen die Aneignungsbestrebungen des Normalen wirksam ist, wird in den disziplinär breit gefächerten Beiträgen eingelöst, die nicht nur Abstrakt-Theoretisches anbieten, sondern ihre Denkanstöße mit visuellem Material veranschaulichen. Beginnend mit dem Thema transsexueller Körper und deren oft widersprüchlichen Rezeption geht es weiter mit den Normalisierungsversuchen des Partnerschaftsgesetzes anhand einer Plakatkampagne in der Schweiz und darauf folgend eine spannende Aufforderung an die Performativität doch phantasievoller zu sein, wie zum Beispiel in den „pin ups for beginners“. Dann als weitere (queer für Fortgeschrittene) Stufe, das Nicht-Zeigen von Körpern oder was sich als „queerer Raumsex als Methode“ bezeichnen lässt. Das Konzept der Mehrlust wird erklärt, wie auch Tanja Ostojics Biennale-Beitrag von 2001 als eine Kritik am kapitalistisch operierenden Kunstbetrieb und an der Geschlechterordnung analysiert wird. Alles in allem ein sehr empfehlenswerter Band, dessen zweisprachigen Beiträge (deutsch und englisch) sehr hilfreich sind und neue queere Einblicke offenbaren. Doris Leibetseder
 
Mehr(wert) queer. Queer Added (Value).Visuelle Kultur, Kunst und Gender-Politiken. Visual Culture, Art, and Gender Politics. Hg. Von Barbara Paul und Johanna Schaffer. 248 Seiten, transcript, Bielefeld 2009 EUR 25,50

zum Seitenanfang springen

It’s fucking political

Annie Lennox und Suzan Vega, Scream Club und Lesbians on Ecstasy, Björk und Grace Jones, Bishi und Peaches: ihre queeren Performances, Texte, Musikvideos, CD-Booklets fungieren in der Studie von Doris Leibetseder als Beispiele für Rock und Pop mit gender-kritischen Qualitäten samt subversivem Potenzial. „It’s fucking political“, wie Skunk Anansie schon 1996 sang. Allerdings bilden nicht die „Tracks“ der Musiker_innen den Ausgangspunkt, sondern acht analytische Begriffe aus dem Feld queerer, feministischer und postkolonialer Theorien und Praktiken. Die Autorin nennt sie ebenfalls „Tracks“, gleichsam Erkenntnisspuren. Sie widmet jedem dieser Begriffe ein Kapitel - Ironie, Parodie, Camp, Maske/Masquerade, Mimesis/Mimikry, Cyborg, Transsexualität, Dildo - und stellt ihren wissenschaftsgeschichtlichen, auch ihren politischen Kontext ausführlich vor. Erst zuletzt ordnet sie diesen Erkenntnis-„Tracks“ dann jeweils einige ausgesuchte Beispiele aus der Rock- und Popszene zu. Orientiert sich die Leserin am Buchtitel, geht ihre Erwartungshaltung vielleicht ein wenig in eine andere Richtung, so dass aus der Perspektive der Musikfanin die Musik gegenüber der „Wissenschaft“ wohl hie und da etwas zu kurz kommt und die Wissenschaftlerin sich eine genauere Darstellung des methodischen Zugangs wünschen möchte. Aus der Sicht beider Positionen aber handelt es sich um ein sehr lesenswertes, sehr originelles Buch mit vielen potenziellen Anschlussstellen für weiteres queer-subversives Forschen zum Thema. Hanna Hacker
 
Doris Leibetseder: Queere Tracks. Subversive Strategien in der Rock- und Popmusik. 338 Seiten, transcript, Bielefeld 2010 EUR 30,70

zum Seitenanfang springen

Zieh die Fuchsmaske auf & be free!

Ironie und Feminismus sind die zwei Steine, die Birgit Jürgenssen sich selbst in den künstlerischen Weg gelegt hat: Steine, die nicht nur den Laufschritt ausbremsen, sondern auch als Wurfgeschosse gegen die mit handfesten Mackereien gespickte Glasdecke im Kunst(um)feld eingesetzt werden können. Die erste nun bei Hatje Cantz publizierte Monographie spricht Bände von diesem Kampf und seinen Erfolgen. Die Künstlerin, die schon mit acht Jahren ihre Zeichnungen mit „Bicasso Jürgenssen“ unterschreibt, zeichnet, fotografiert und installiert politische Statements über das Festgenageltsein von Frauen in Körpern und Normiertheiten, die es aufgrund ihrer ironischen Erscheinung schaffen, nicht langweilig plakativ zu sein. Aber auch um den ständigen Befreiungskampf geht es, der selbst im Scheitern noch lustvoll ist - ein gezielter Schlag, ein gekonnter Schuss, eine intensiv betriebene Maskerade. Die in Wien auch in der künstlerischen Lehre aktive Birgit Jürgenssen ist 2003 gestorben, und ihr künstlerisch-politisches Erbe, das sie so zahlreich hinterlassen hat, ist Teil einer feministischen Geschichtsschreibung, die im emanzipatorischen Schaffen nachkommender Künstler_innen fortgeführt werden wird. Lisa Bolyos
 
Birgit Jürgenssen. Hg. von Gabriele Schor und Abigail Solomon- Godeau. 296 Seiten, 350 farbige Abbildungen, Hatje Cantz, Ostfildern 2009 EUR 40,90

zum Seitenanfang springen

Eine andere Welt zu sehen ist möglich

Mit ein paar berühmten Paaren ist mensch schnell bei der Hand, wenn es ums Abbilden und Berichten geht: Hilla und Bernd Becher etwa, die es mit ihren formalen Tafeln von Fördertürmen und Fachwerkhäusern in die renommiertesten Galerien geschafft haben. Oder Annemarie Schwarzenbach und Ella Maillart, die auf langen Autofahrten durch Westasien gemeinsame Reportagen und individuelle Tagebuchaufzeichnungen entstehen ließen. Weniger berühmt, obwohl maßgeblich für die Etablierung moderner kritischer Dokumentarismen, ist die Arbeit von Margrit und Ernst Baumann, die in vorliegendem Band nun im großen Stil öffentlich gemacht und damit gleich auch entsprechend geehrt wird. Die beiden Schweizer_innen begannen in den Vierzigerjahren, auf gemeinsamen und getrennten Reisen durch Regionen und politische Kontexte wie die Schweiz, Argentinien, Jugoslawien, Borneo und die Türkei Reportagen für Zeitungen und Zeitschriften, dann auch Filme und Videodokumentationen zu erstellen. Was an ihrer Arbeitsweise speziell ist, ist nicht so sehr das kollektive Tun, für das es viele Beispiele gibt, oder die weiten Reisen, die sie nicht als einzige angetreten haben. Vielmehr ist es die Idee dahinter, die Fotografie als Handwerk zu verstehen, das in marginalisierten sozialen Bewegungen und Prozessen unterstützend wirken kann,wenn es verantwortungsvoll betrieben wird. Nicht „zum Berühmtwerden“ hätten sie gearbeitet, sondern um „Realität abzubilden, wie wir sie sehen“. So verbleibt dann auch dieser späten und zweifellos sehr schön gestalteten musealen Ehrung ein widersprüchlicher Beigeschmack, wie er allem politischen Engagement anhaftet, sobald es in Hochglanz verpackt wird. Ein bisschen teuer, aber jedenfalls am Infotisch besser aufgehoben als im Museumsshop. Lisa Bolyos
 
Margrit und Ernst Baumann: Die Welt sehen. Fotoreportagen 1945-2000. Hg. von Wilfried Meichtry und Nadine Olonetzky. 288 Seiten, Scheidegger & Spiess, Zürich 2009 EUR 70,93

zum Seitenanfang springen

Wie ein lustiges kleines Tierchen

Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens. Denn heute, und das ist jeder oder jeder zweite Tag auf der wild gemeinten Reise zweier junger Frauen im Italien der 80er-Jahre, erlebt die Ich- Erzählerin/Ich-Zeichnerin die ganze Bandbreite sexistischer und sexualisierter Gewalt. „Ich bin vergewaltigt worden, in der ersten Nacht in Palermo“, sagt sie zum Ende des Buches hin einem Freund, aber das sei noch nicht das Schlimmste gewesen. Schlimmer war noch die konstante Übergriffigkeit, das Nicht-ernstgenommen-werden: „Behandelt zu werden wie ein lustiges kleines Tierchen, das zufällig sprechen kann, aber was es zu sagen hat, interessiert keine Sau.“ Obwohl das Erzählen der Gewaltausübung und der Umgang damit, die Reflexion darüber, die manchmal scheitert und manchmal gelingt, zu den speziellsten und ernsthaftesten Momenten dieser Graphic Novel von Ulli Lust gehören, sind sie nicht die einzigen, die das dicke autobiografische Buch so lesenswert machen. Die Detailgetreue des gezeichneten Dokumentarismus ist berührend, wenn etwa zwei Polizisten kommen, um „die Punker“ aus dem „Wohnzimmer“, dem Bänke-Viereck am Schwedenplatz, zu vertreiben (war damals wirklich schon der Anker neben der Schwedenapotheke? Und fuhr der J früher schon mal den Kai entlang?). Die Geschichte vom anstrengenden Erwachsenwerden einer Bäuerinnentochter aus dem Pulkautal, die „vive l’anarchie“ in ihr Tagebuch schreibt und die „echten Punks“ im WUK bestaunt, hat das Gewicht von Mentalitätengeschichte in ästhetisch zugänglicher und gerade darum so ernsthafter Form. Lisa Bolyos
 
Ulli Lust: Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens. Graphic Novel. 464 Seiten, avant-verlag, Berlin 2009 EUR 30,80

zum Seitenanfang springen

Geknickter Kussmund in Blau

Nun wird ein weiterer Schatz aus der Casa Azul, dem Wohnhaus Frida Kahlos in Mexico DF einer europäischen und mexikanischen Öffentlichkeit präsentiert - und die Betrachter_innen können nur staunen: Die private Fotosammlung der künstlerisch und politisch aktiven Frida Kahlo wurde in einem Kooperationsprojekt von Verlagen und Ausstellungshäusern, von interpretativen und einführenden Texten umrahmt, als fetter, ja beinahe überquellender Fotoband publiziert. Einer Schatzkiste (auch im Format) gleichend liegt das Buch in den Händen, schwer, mit dickem Einband und voller bezaubernder Abbildungen (angeschnitten, zerrissen, beschriftet oder mit roten Lippenabdrücken versehen), die der Geschichtsforschung rund um Kahlo Futter für die nächsten Jahrzehnte bietet. Manche der Begleittexte schlagen zwar etwas über die analytischen Stränge, wenn etwa der Knick in einer Fotografie als der Knick in einer von Kahlos Beziehungen gelesen wird. Insgesamt aber ist der Band rund gestaltet, und faszinierend nicht zuletzt die Vielzahl der Menschen, die sich in und rund um Kahlos Leben und Arbeiten versammelt haben oder auch nur daran vorbeigehuscht sind. Sowohl ein künstlerisches als auch ein politisches Who is Who ist hier versammelt, Zapata gleich vor Lenin, Trotzki und ja, auch Stalin - aber der hat zumindest Fettund Farbflecken abbekommen. In sieben Kapitel eingeteilt (Herkunft - Papa - Das Blaue Haus - Der geschundene Körper - Die Liebe - Die Photographie - Die Plastik) findet der Versuch einer Ordnung statt, der sich nicht vor Gültigkeit strotzend, sondern wie ein ernsthafter Vorschlag in die viele Interpretationsarbeit einreiht, die über die mexikanische Malerin bereits betrieben wurde. Lisa Bolyos
 
Frida Kahlo - Ihre Photographien. Hg. von Pablo Ortiz Monasterio. 580 Seiten, 401 Abbildungen, Schirmer Mosel, München 2010 EUR 41,-

zum Seitenanfang springen

KosmosTheater

„Frauen brauchen Raum“ war das Motto der BürgerInneninitiative, die gegen alle offizielle Verhinderungspolitik für die Schaffung eines öffentlichen Raums für KünstlerInnen kämpfte. Mit Hartnäckigkeit und Witz, einer originellen Medienstrategie und der Solidarität vieler UnterstützerInnen haben es die Initiatorinnen geschafft, dem männlich okkupierten österreichischen Kunst- und Kulturbetrieb einen Ort zur Repräsentation von Frauenkultur entgegenzusetzen: Das KosmosTheater feiert heuer sein zehnjähriges Jubiläum - ein guter Anlass, dem erfolgreichen Projekt ein Buch zu widmen, das mit zahlreichen Fotos die fast 100- jährige Geschichte des KosmosTheaters, den politischen Aktionismus und basisdemokratischen Ideenreichtum der Initiatorinnen und die darauf folgenden „10 Jahre Programm wider die Einfalt“ dokumentiert. Die lehrreichen Erfahrungen im Umgang mit antifeministischer Gegenwehr laden zu nostalgischen Erinnerungen ein, z. B. an das „Leintuchauslüften auf der Autobahn“, die „Dauerbegehung“ geeigneter Räume, eine „Sexorgie im Pornokino“ und das legendäre Baustellenfest. Eindrucksvoll gestaltet sich die Vielfalt der Künstlerinnen, die seither das KosmosTheater zu einem pulsierenden, vibrierenden Ort der Gegenöffentlichkeit gemacht haben, an dem Feminismus und Kultur künstlerisch, wissenschaftlich und politisch verhandelt werden. Der aktuelle Versuch der Tiroler ÖVP-Frauenlandesrätin, jegliches zivilgesellschaftliche Engagement zunichte zu machen, unterstreicht die Botschaft des Buches: feministische Widerständigkeit bleibt unabdingbar, denn der Förderzynismus geht weiter … Doris Allhutter
 
Susanne Riegler: Das Theater mit dem Gender. 10 Jahre KosmosTheater. Hg. von Johanna Dohnal. 158 Seiten, Löcker, Wien 2010 EUR 19,80

zum Seitenanfang springen