Die aus Indien stammende Geisteswissenschaftlerin
Gayatri Chakravorty Spivak ist gewiss
die prominenteste und wahrscheinlich die am
schwierigsten zu lesende Theoretikerin der Postcolonial
Studies, also jenes Theorieansatzes, der
sich mit globalen kulturellen Machtverhältnissen
im und nach dem Kolonialismus befasst. Spivak
war eine der ersten, die schon in den 1980er-Jahren
postkoloniale und feministische Fragestellungen
zusammenführte, und sie ist eine der wenigen,
die beruflich ihre Theorieproduktion in den USA
mit basisnahem Engagement für praktische Beratungsarbeit
in ihrem Herkunftsland verbindet.
Nun legt Christine Löw, Politikwissenschaftlerin
und Philosophin, eine im deutschsprachigen Raum
erste umfangreiche Monografie zu (großen Teilen
von) Spivaks Werk vor. Sehr genau, kompetent
und durchgängig würdigend stellt sie Spivaks Analysen
dar. Sie führt uns dabei auf das weite Feld der
eurozentrischen Philosophiegeschichte und der
globalen Finanzmärkte der Gegenwart, theoretisiert
die Repräsentation kolonialisierter indischer Frauen und die Bedeutung von Eingriffen in die
Landwirtschaft, diskutiert Problematiken des Menschenrechtsdiskurses
und thematisiert Verhältnisse
zwischen transnationalen NGOs und nationaler
Staatlichkeit. Im Brennpunkt steht durchgängig
die Frage danach, welchen Status erkenntniskritische
Perspektiven haben können und müssen, die
Autorinnen aus der so genannten Dritten Welt in
den wissenschaftlichen und politischen globalen
Diskurs einbringen. Hanna Hacker
Christine Löw: Frauen aus der Dritten Welt und Erkenntniskritik?
Die postkolonialen Untersuchungen von
Gayatri C. Spivak zu Globalisierung und Theorieproduktion.
320 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2009
EUR 30,80
Asiye Kaya untersucht in ihrer Studie alevitische
und sunnitische Mütter-Töchter-Beziehungen.
Sie zeigt auf, wie das Leben in diesen Beziehungen
durch die Zugehörigkeit zu einer Minderheits-
oder Mehrheitskultur, gesellschaftliche
Machtbedingungen und institutionelle Kontexte
(wie Familie, Schule, Moschee,…) geprägt wird.
Die Fallgeschichten mit den Interpretationen der
Autorin eröffnen interessante Einblicke in politische
und kulturelle Hintergründe und deren Tradierung
und Transformation innerhalb der Beziehungen
zwischen Müttern und Töchtern.
Das Buch lenkt die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt
und Unterschiedlichkeit von Frauen mit türkischem
Migrationshintergrund und erweitert das
Verständnis für die religiösen Praxen und damit
verbundenen Ausschlussmechanismen, denen sich
die Frauen in Deutschland gegenüber sehen. Zudem
vermitteln die erzählten Lebenserfahrungen
türkischer Frauen in der Einwanderungsgesellschaft
wichtige Informationen für politisch brisante
Debatten im deutschsprachigen Raum.
Die berührenden Erzählungen haben mich über
kulturelle Grenzen hinweg zur Reflexion meiner
eigener Mutter-Tochter Erfahrungen angeregt.
Christa Walenta
Asiye Kaya: Mutter-Tochter Beziehungen in der Migration.
Biographische Erfahrungen im alevitischen und sunnitischen
Kontext. 295 Seiten, VS Verlag für Sozialwissenschaften,
Wiesbaden 2009 EUR 41,10
Das Jubiläumsjahr 2009 (u. a. 90 Jahre Frauenwahlrecht
in Deutschland und Österreich;
30 Jahre CEDAW) nahm die Soziologin und Journalistin
Christa Wichterich zum Anlass, um Zwischenbilanz
zu ziehen: Wie steht es heute um Geschlechtergerechtigkeit
und Frauenrechte? In den
1990ern fand Wichterich zufolge eine - durchwegs
erfolgreiche - Globalisierung von Frauenrechtsbewegungen
und Frauenrechten statt (siehe etwa die
4. Weltfrauenkonferenz in Peking). Zugleich stellte
sich jedoch mit den neoliberal geprägten Globalisierungsprozessen
und den damit einhergehenden
sozialen Veränderungen keine Gendergleichheit
ein: Die global verschärfte Standortkonkurrenz und
Sparzwänge im öffentlichen Sektor trieben die
(Re)Feminisierung verschiedener Bereiche voran,
etwa in der arbeitsintensiven Exportindustrie im
globalen Süden, in der informellen Beschäftigung
und in der Sorge- und Pflegearbeit, ebenso wie den
wachsenden Frauenanteil unter den Armen und in
der Migration. Wichterich analysiert diese Verschiebungen
anhand zahlreicher Länderbeispiele
und mit profunder Kenntnis.
Im letzten Kapitel versucht die Autorin emanzipatorische
Handlungsansätze an den Bruchstellen
dieser Globalisierung zu formulieren - und erinnert
daran, dass der Feminismus einst als umfassend
herrschaftskritisches Projekt antrat: Nicht nur die
Ungleichheit zwischen Frauen und Männern, sondern
die Transformation der gesellschaftlichen
Spielregeln und Machtstrukturen, die Ungleichheiten
immer neu produzieren sollten dabei im Blick
behalten werden. Vina Yun
Christa Wichterich: gleich, gleicher, ungleich. Paradoxien
und Perspektiven von Frauenrechten in der Globalisierung.
240 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2009
EUR 19,60