FrühjahrFrühjahr 20102010:: LänderLänder

Das Ökonomische durchstreichen

Die aus Indien stammende Geisteswissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak ist gewiss die prominenteste und wahrscheinlich die am schwierigsten zu lesende Theoretikerin der Postcolonial Studies, also jenes Theorieansatzes, der sich mit globalen kulturellen Machtverhältnissen im und „nach“ dem Kolonialismus befasst. Spivak war eine der ersten, die schon in den 1980er-Jahren postkoloniale und feministische Fragestellungen zusammenführte, und sie ist eine der wenigen, die beruflich ihre Theorieproduktion in den USA mit basisnahem Engagement für praktische Beratungsarbeit in ihrem Herkunftsland verbindet. Nun legt Christine Löw, Politikwissenschaftlerin und Philosophin, eine im deutschsprachigen Raum erste umfangreiche Monografie zu (großen Teilen von) Spivaks Werk vor. Sehr genau, kompetent und durchgängig würdigend stellt sie Spivaks Analysen dar. Sie führt uns dabei auf das weite Feld der eurozentrischen Philosophiegeschichte und der globalen Finanzmärkte der Gegenwart, theoretisiert die Repräsentation kolonialisierter indischer Frauen und die Bedeutung von Eingriffen in die Landwirtschaft, diskutiert Problematiken des Menschenrechtsdiskurses und thematisiert Verhältnisse zwischen transnationalen NGOs und nationaler Staatlichkeit. Im Brennpunkt steht durchgängig die Frage danach, welchen Status erkenntniskritische Perspektiven haben können und müssen, die Autorinnen aus der so genannten Dritten Welt in den wissenschaftlichen und politischen „globalen“ Diskurs einbringen. Hanna Hacker
 
Christine Löw: Frauen aus der Dritten Welt und Erkenntniskritik? Die postkolonialen Untersuchungen von Gayatri C. Spivak zu Globalisierung und Theorieproduktion. 320 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2009 EUR 30,80

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Mutter-Tochter- Beziehungen

Asiye Kaya untersucht in ihrer Studie alevitische und sunnitische Mütter-Töchter-Beziehungen. Sie zeigt auf, wie das Leben in diesen Beziehungen durch die Zugehörigkeit zu einer Minderheits- oder Mehrheitskultur, gesellschaftliche Machtbedingungen und institutionelle Kontexte (wie Familie, Schule, Moschee,…) geprägt wird. Die Fallgeschichten mit den Interpretationen der Autorin eröffnen interessante Einblicke in politische und kulturelle Hintergründe und deren Tradierung und Transformation innerhalb der Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern. Das Buch lenkt die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Frauen mit türkischem Migrationshintergrund und erweitert das Verständnis für die religiösen Praxen und damit verbundenen Ausschlussmechanismen, denen sich die Frauen in Deutschland gegenüber sehen. Zudem vermitteln die erzählten Lebenserfahrungen türkischer Frauen in der Einwanderungsgesellschaft wichtige Informationen für politisch brisante Debatten im deutschsprachigen Raum. Die berührenden Erzählungen haben mich über kulturelle Grenzen hinweg zur Reflexion meiner eigener Mutter-Tochter Erfahrungen angeregt. Christa Walenta
 
Asiye Kaya: Mutter-Tochter Beziehungen in der Migration. Biographische Erfahrungen im alevitischen und sunnitischen Kontext. 295 Seiten, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009 EUR 41,10

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Paradoxien der Globalisierung

Das Jubiläumsjahr 2009 (u. a. 90 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland und Österreich; 30 Jahre CEDAW) nahm die Soziologin und Journalistin Christa Wichterich zum Anlass, um Zwischenbilanz zu ziehen: Wie steht es heute um Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte? In den 1990ern fand Wichterich zufolge eine - durchwegs erfolgreiche - „Globalisierung von Frauenrechtsbewegungen und Frauenrechten“ statt (siehe etwa die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking). Zugleich stellte sich jedoch mit den neoliberal geprägten Globalisierungsprozessen und den damit einhergehenden sozialen Veränderungen keine Gendergleichheit ein: Die global verschärfte Standortkonkurrenz und Sparzwänge im öffentlichen Sektor trieben die „(Re)Feminisierung“ verschiedener Bereiche voran, etwa in der arbeitsintensiven Exportindustrie im globalen Süden, in der informellen Beschäftigung und in der Sorge- und Pflegearbeit, ebenso wie den wachsenden Frauenanteil unter den Armen und in der Migration. Wichterich analysiert diese Verschiebungen anhand zahlreicher Länderbeispiele und mit profunder Kenntnis. Im letzten Kapitel versucht die Autorin emanzipatorische Handlungsansätze an den Bruchstellen dieser Globalisierung zu formulieren - und erinnert daran, dass der Feminismus einst als umfassend herrschaftskritisches Projekt antrat: Nicht nur die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern, sondern die „Transformation der gesellschaftlichen Spielregeln und Machtstrukturen, die Ungleichheiten immer neu produzieren“ sollten dabei im Blick behalten werden. Vina Yun
 
Christa Wichterich: gleich, gleicher, ungleich. Paradoxien und Perspektiven von Frauenrechten in der Globalisierung. 240 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2009 EUR 19,60

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