Regina Nössler hat diesmal tatsächlich die
Grenze zum Abgrund überschritten! Nachdem
bislang zum Beispiel in “Tiefe Liebe freier Fall”
(2006) Mord oder Tod, wie in guten, soliden Liebesromanen
üblich, doch unmöglich schienen, hat
es dieser wunderbare Herbstthriller tatsächlich in
sich: zuerst die welkenden Blätter auf dem fremden,
unheimlichen Dorf; dann das Haus der gerade
verstorbenen Tante, wo Johanna Fink den Hausrat
auflösen soll; zuerst ein kleiner toter Vogel auf ihrer
Veranda – dann eine tote Frau! Unheimliche
Verfolger in der Nacht, knarzende Geräusche im
Haus, seltsame Menschen auf dem Land – und Berlin,
Johannas eigene Wohnung, ihre Freundin, alles
ist plötzlich unerreichbar und unwirklich geworden…
Ein schrecklich schöner Roman, Nössler ist
wieder mal at her best: zynisch, komisch, tragisch
und auch ein bisschen gruselig, für Fans und alle,
die es noch werden wollen, ein unbedingtes Muss! Karin Schönpflug, für die Lesbenberatung Lila Tipp
Regina Nössler: Kleiner toter Vogel. Thriller. 416 Seiten,
KonkursbuchVerlag Claudia Gehrke, Tübingen 2010
EUR 11,30
Wegen eines Seitensprungs wurde Valerie von
ihrer Freundin Irina verlassen, hadert seitdem
mit ihrem Schicksal und weiß nicht, ob sie noch an
die Liebe glauben soll. Wenigstens geht es ihr mit
ihrer Schriftstellerei besser, denn sie hat einen interessanten
Stoff für ihren Roman gefunden: Woche
für Woche trifft sie sich im Altersheim mit der über
neunzigjährigen Luise und lauscht ihrem bewegten
Leben. Und Luise redet vielleicht das erste Mal
wirklich offen über ihre Gefühle: Über ihre erste
Liebe und die Unmöglichkeit sie zu leben und über
ihre letzte Liebe, über den Nationalsozialismus,
Krieg und Verlust. Zwischen den beiden Frauen
entwickelt sich eine tiefe Freundschaft über Generationen
und Zeiten hinweg. Beinahe nebenbei findet
Valerie auch noch eine neue Liebe.
Veneda Mühlenbrink hat einen kurzweiligen Roman
vorgelegt, der aber keineswegs seicht ist. Heikle
Themen wie Inkontinenz und Sexualität im Alter
werden genau so wenig ausgespart wie die politischen
Verhältnisse. Neben aller Romantik ist es
sehr erfrischend, dass auch gevögelt und gefickt
werden darf. vab
Veneda Mühlenbrink: Irgendwo auf der Welt fängt
mein Weg zum Himmel an. 283 Seiten, Ulrike Helmer,
Sulzbach/Taunus 2010 EUR 15,40
Eine engagierte Bischöfin wird in Bergen ermordet
und weder ihr Mann noch ihr Sohn
wollen Kommissar Yngvar Stubø und Kommissarin
Silje Sørensen so richtig bei der Aufklärung der Tat
helfen. Als kurz darauf auch in Oslo mehrere Morde
passieren, dauert es lange, bis Yngvar Stubø
ebenso wie seine Frau Inger Johanne Vik, die als
Psychologin und Kriminologin auf eine US-amerikanische
Gruppe stößt, die gegen Lesben und
Schwule gerichtete Hassverbrechen verübt, einen
Zusammenhang mit den Morden herstellen ... Dieser
neue Krimi von Anne Holt aus ihrer Serie um
Inger Johanne Vik und Yngvar Stubø, in dem auch
die Kultfigur Hanne Wilhelmsen einen leider nur
kurzen Auftritt hat, besticht vor allem durch die
vielfältigen und liebevoll beschriebenen lesbischen
und schwulen Lebensformen und Charaktere. Vom
offen lebenden lesbischen Paar über die schwule
Regenbogenfamilie bis zur versteckt lebenden, heterosexuell
verheirateten Lesbe wird Anne Holt allen
gerecht, einzig die eigentliche Krimihandlung
um die christlich-fundamentalistische Sekte gerät
etwas dünn, aber das stört das Lesevergnügen
kaum! HW
Anne Holt: Gotteszahl. Kriminalroman. Übersetzt von
Gabriele Haefs. 463 Seiten, Piper Verlag, München 2010
EUR 20,60
Schattengesicht ist zweifellos ein interessanter
Roman, obwohl ich die Zuordnung zum Genre
Kriminalroman kritisch hinterfragen würde. Es
geht mehr um das Leben von Milana, das in einzelnen
Kapiteln erzählt wird, wobei jedes Kapitel eine
andere Epoche beleuchtet und sich Milanas Lebensgeschichte
so stückweise in Rückblenden zusammensetzt.
Einen großen Teil dabei nehmen
auch ihre Kindheit und die Verarbeitung verschiedener
unliebsamer Veränderungen ein. Und dann
gibt es auch manchmal Leichen, die aber ein Nebenprodukt
der Geschichte zu sein scheinen, was
für einen Kriminalroman eher unüblich ist. Viel interessanter
hingegen ist die Beziehung zu Polly und
ihre Bedeutung für Milana, die aber bis zum
Schluss etwas Rätselhaftes, Unverständliches hat
und nie ganz geklärt wird. Angelika Eisterer
Antje Wagner: Schattengesicht. Kriminalroman. 188
Seiten, Querverlag, Berlin 2010 EUR 13,30
Der zweite Krimi von Corinna Waffender mit
der lesbischen Kommissarin Inge Nowak ist
somit erschienen! Düster trotz Sommerstimmung
legt sich die Story mit wie aus kantigem Holzschnitt
gezeichneten Verdächtigen aufs Gemüt. Die sympathische
Pfarrerin, tot auf der 4. Seite, ihr schrecklicher
Gemahl folgt glücklicherweise nur wenig später.
Die Ich-Erzählerin hat endlich einen Jungen, einen
Engel, gefunden, dem sie von Ravensbrück erzählen
kann, Grauen aus einer Zeit, lange bevor ein
offenes, lesbisches Leben denkbar war. Die Vergangenheit
holt sie jedoch nur zu schnell ein ... Mittlerweile
ist Inges Freundin, auch Polizistin, unverhofft
und beziehungstechnisch schwierig angereist.
Gemeinsam bekommen sie mit zwei weiteren Toten
noch mehr aufgetischt, doch soll noch ein fünftes
Opfer aufgefunden werden, bevor Inge den schicksalhaften
Fall lösen kann. Atmosphärisch, verwebt
– direkt aus der „Grauzone“! Karin Schönpflug, für die Lesbenberatung Lila Tipp
Corinna Waffender: Töten ist ein Kinderspiel. 245
Seiten, Querverlag, Berlin 2010 EUR 13,30
Das Buch ist auch als Neuzugang in der Bibliothek
der Lesbenberatung in der Rosa Lila Villa zu finden!