Das Material zu Sabine Prokops Studie übers
alltägliche Fernsehen stammt aus den 1990er
Jahren. „Bevor Big Brother kam“ regt intensiv dazu
an, sich die eigene TV-Sozialisation zu vergegenwärtigen:
Wie zappten wir damals? Ihren Arbeitsprozess,
die eigenen Analyseschritte macht die Autorin
sehr genau nachvollziehbar. Sie bleibt durchgängig
im Dialog mit der Leser_in, so dass wir mit
hinein genommen werden ins Nachdenken, ins Erklären,
in offene Fragen, in die Aufbereitung theoretischer
Ansätze zum Thema und schließlich in die
Praktiken des „Glotzens“. Medienhistorisches, Apparatustheorie,
kulturwissenschaftliche Ansätze zu
Textproduktion und Leser_innenkonstruktion formen
den theoretischen Horizont; viele Stunden
protokollierte TV-Soaps und TV-News schließlich
bilden das Anschauungsmaterial, dessen Inszenie-
rungen diese Studie kompetent erschließt und demontiert.
Sabine Prokops Erkenntnisinteresse richtet sich auf
die Schlüsselfrage, wie es denn mit dem Vergnügen
steht, wenn – insbesondere – Frauen fernsehen. Wo
(er-)findet die Zuschauerin selbstdefinierte Zwischen-
oder Freiräume des Wahrnehmens und der
Sinnproduktion, beziehungsweise, wo konnte sie
sie im TV-Konsum der Neunziger finden? Stilles bis
lauthalses Vergnügen macht beim Lesen des Buches
auf jeden Fall der gelegentlich nahezu surreale Witz
der Protokollnotizen. Eine banale, liebesverwickelte
Soap-Szene liest sich da beispielsweise so: „Wird
sie abheben? Nein, sie legt sein Mobiltelefon in den
Tiefkühler.“ Hanna Hacker
Sabine Prokop: Bevor Big Brother kam. Über das
Fernsehen am Ende des 20. Jahrhunderts. 331 Seiten, Praesens
Verlag, Wien 2010 EUR 30,–
Ausgehend von Texten Foucaults zur Diskursanalyse
und von Derrida zur Différance nimmt
Hanke die mediale Performativität von Zahlen und
Bildern in Prozessen wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung
ins Visier, um abschließend unter
dem Aspekt des Realitätseffektes und des Spektakels,
Sehgewohnheiten und Reflexionsweisen beispielsweise
anhand der Verwendung der „Videoüberwachungskamera-
Optik“ in Hanekes Film
„Caché“ zu diskutieren. Einleitend ist hier von einem
Spannungsfeld zwischen Texten, Zahlen und
Bildern die Rede, während inhaltlich der Zusammenhang
zwischen den einzelnen Darstellungen
ein fühlbarer und wider die Intention der Autorin
unvermittelter bleibt. Dies ist jedoch auf das Konzept
der Schriftenreihe labor:theorie zurückzuführen,
deren Herausgeberinnen mit jedem Band
jeweils einer Autorin die Möglichkeit geben wollen,
ihre über einen längeren Zeitraum getätigte Forschungsarbeit
zu präsentieren, anstatt – wie gewohnt
– verschiedene Autorinnen zu einem Thema
zu versammeln. Nichtsdestotrotz bietet dieser Band
interessante diskursanalytische und methodenkritische
Überlegungen zur Wissenschaftsgeschichte,
zu feministischer Filmtheorie und zur Politik des
Performativen. Deshalb ziert nicht von ungefähr
das Bild eines Dinosauriers den Bucheinband, denn
wie dessen Konzeption behandelt auch Hanke Fragen
zur Konstruktion von Geschichte, Natur, Evolution,
Fortschritt, Geschlecht, Rasse und Ethnizität. Barbara Vockenhuber
Christine Hanke: Texte – Zahlen – Bilder. Realitätseffekte
und Spektakel. Schriftenreihe labor:theorie Bd. 5. 265
Seiten, Thealit, Bremen 2010 EUR 12,30