FrühjahrFrühjahr 20112011:: Auto/BiografienAuto/Biografien

bar jeder mitzwa

„Ich bin Jüdin. Jahrgang 1960. So, jetzt ist es heraus.” Eine schlichte Klarstellung zu Beginn, gefolgt von einer komplexen, weit verzweigten Familienchronik. Nach dem Tod der Eltern beginnt sich Adriana mit deren Nachlass auseinanderzusetzen. „Ich habe in zwei Tagen 12 Jahre Naziregime, 25 Jahre jugoslawischen Sozialismus und 20 Jahre BRD durchlebt, anhand von Unterlagen, Briefen und Dokumenten aus zwei alten hellbraunen Lederkoffern. Mir geht's gut…”, ein Satz, der wohl als die knappste Zusammenfassung dieser Familiengeschichte dienen kann. Ohne sich um Chronologie zu kümmern und mit großer Warmherzigkeit arbeitet sich Adriana durch diese Hinterlassenschaft und wird dabei auf die Frage zurückgeworfen, was es denn bedeutet, als Kind von Partisanen und Holocaustüberlebenden in Deutschland aufzuwachsen. Dass im Zuge dessen lange gehütete Geheimnisse ans Licht kommen ist natürlich unvermeidlich. Altaras versteht es gekonnt mit charmantem Witz ein rundes Bild ihrer „strapaziösen Familie” zu zeichnen ohne dabei sentimental zu werden. Unbedingt selber lesen! bw
 
Adriana Altaras: Titos Brille. Die Geschichte meiner strapaziösen Familie. Roman. 272 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011 EUR 19,50

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Autorinnenleben

Fanny Lewald ist eine der bekanntesten deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. Ihre Arbeiten, in denen unter anderem die Emanzipation von Frauen eine wichtige Rolle hat, sind Teil des germanistischen Kanons geworden; bereits zu ihren Lebzeiten war aber auch ihr literarischer Salon in Berlin eines der wichtigsten literarischen Zentren. Wie Lewald als Tochter ihrer Zeit zu einem selbstbestimmten und beruflich erfolgreichen Leben finden konnte und sich so der vorbestimmten Biographie einer bürgerlichen Frau des 19. Jahrhunderts widersetzen konnte, zeichnet Roswitha Hoffmann in ihrer schnörkellosen biographischen Untersuchung nach. Hoffmann erzählt von der herausragenden Bildung, die Lewald als Kind durch ihre Eltern und Lehrer zuteil wurde, von den damaligen Bildungskonzepten des Jüd_innentums und den schwierigen Jugendjahren nach dem Schulabgang, in denen Lewald das Gymnasium vorenthalten wurde, da es damals für Mädchen noch keine weiterführenden Schulen gab. Dabei stützt sich Hoffmann vor allem auf Lewalds Autobiographie „Meine Lebensgeschichte” (Ulrike Helmer Verlag 1998), womit anhaltend Lewalds eigene Stimme in der Untersuchung hörbar bleibt. Jana Sommeregger
 
Roswitha Hoffmann: Das Mädchen mit dem Jungenkopf. Kindheit und Jugend der Schriftstellerin Fanny Lewald. 153 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2011 EUR 25,70

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Jeder zweite Mensch ist ein Trottel

„Es ist schon so, wie ein Taxler einst zu mir sagte: Jeder zweite Mensch ist ein Trottel. Ich habe eben so einen zweiten als Mitbewohner.” Ute Bock, wie gewohnt ohne viele Blätter vorm Mund, erzählt in Gesprächen mit der Ö1-Journalistin Cornelia Krebs vom Leben und Arbeiten als Flüchtlingshelferin. Wie es im Verein zugeht, was sie sich letztens wieder von einem Polizisten anhören musste, was die Katze tagein tagaus macht und natürlich: wie sie versucht, in dem politischen Wahnsinn der österreichischen Migrationspolitik ein paar Rettungsboote in See stechen zu lassen. Und was „ihre Schützlinge” davon halten. Wie immer wirkt der Ton nach der fünfzehnten Anekdote schon ein wenig zu jovial, und das strukturelle Verständnis von Rassismus wird ein bisschen zu gewollt simplifiziert; aber gleichzeitig finden die Autorin und die Portraitierte in ihrer Erzählart einen Weg, mit den Brutalitäten der Operation Spring, den Intrigen in der Stadtverwaltung und dem alltäglichen Drama der Obdachlosigkeit und Illegalisierung ein weiteres Mal an die Öffentlichkeit zu gehen, ohne übersättigend zu sein: So ist die Realität, so muss sie immer wieder festgestellt werden, und so müssen wir im alltäglichen Kampf für das bessere Leben Strategien (er)finden. In einem zweiten Teil werden dann noch mehr oder weniger relevante Akteure um ihre Meinung zum Lokalstar Bock befragt, sodass das Buch zu einer honorigen Femmage an die Leopoldstädter Frau des Jahres 2007 wird — und das ist ja mehr als berechtigt. Lisa Bolyos
 
Cornelia Krebs: Ute Bock. Die Geschichte einer Flüchtlingshelferin. 192 Seiten, Molden Verlag, Wien/Graz/Klagenfurt 2010 EUR 19,95

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Zwei Musen einer bedeutenden Frau

Zwei neue Publikationen befassen sich mit Leben und Werk der russisch-stämmigen Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé (1861-1937). Gunna Wendt beschreibt in ihrer Publikation die Beziehung zwischen Lou Salomé und Rainer Maria Rilke, die von 1897 bis 1901 dauerte und auch danach bis Rilkes Tod 1926 in tiefer Freundschaft fortgesetzt wurde. Salomé wird hier allerdings, im Gegensatz zu anderen Biographien, historischen Studien oder literarischen Werken, nicht nur durch ihre Bekanntschaften mit prominenten Denkern der Zeit (Nietzsche usw.) sichtbar, sondern als hochbegabte, intellektuell äußerst fruchtbare und gebildete Philosophin und Autorin, die willensstark und voll Selbstvertrauen ihre eigene Wege ging und Rilkes Beziehungsansprüche, die letzten Endes immer unglückliche und von ihm enttäuschte Frauen hinterließen, als einzige seiner Freundinnen zurückwies: „Kaum hatte er sie auf den Sockel gehoben, da stieg sie schon herab und verließ den Platz, der sie zur leblosen Statue machte.” Auch in Christine Wieders Studie nimmt der Dichter einen zentralen Platz ein, doch legt die Autorin ihren Fokus auf eine spätere Lebenszeit Lou Andreas-Salomés. Ab 1911 sollte die Psychoanalyse im Zentrum ihrer intellektuellen und auch beruflichen Tätigkeit stehen. Christine Wieder arbeitet hier die Rolle Rilkes heraus, der es trotz schwerer neurotischer Symptome ablehnte, sich einer psychoanalytischen Behandlung zu unterziehen, da er befürchtete, seine Kreativität zu verlieren. Andreas-Salomé entwickelte daraufhin eine eigene Synthese von Rilkes poetischem Anspruch und Freuds rationalistischer, an den Naturwissenschaften orientierter Psychologie und fungierte in ihren Werken (vor allem zur Ödipalität und zur Narzissmus-Theorie Freuds) als eigenständige — und von Freud hochgeschätzte — „Weiterdenkerin”, die in vieler Hinsicht spätere Entwicklungen der psychoanalytischen Theorie in Richtung der Objektbeziehungs- und Bindungstheorie vorwegnahm. Nach der Lektüre der beiden vorgestellten Studien wird kaum jemand noch von Lou Andreas-Salomé ausschließlich als „Muse bedeutender Männer” sprechen. Sabine Reifennauer
 
Gunna Wendt: Lou Andreas-Salomé und Rilke — eine amour fou. 131 Seiten, Insel Taschenbuch, Berlin 2010 EUR 8,30 Christiane Wieder: Die Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé. Ihr Werk im Spannungsfeld zwischen Sigmund Freud und Rainer Maria Rilke. 109 Seiten, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011 EUR 15,40

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Eine unkonventionelle Liebe

Als Elizabeth Barrett, hochtalentierte Autorin in den Mittdreißigern, den sechs Jahre jüngeren, noch unbekannten Schriftsteller Robert Browning heiratet, muss sie ihre Hochzeit vorerst dem überautoritären Vater verheimlichen, unter dessen Dach sie weiterhin lebt. Indem sie England den Rücken kehrt, um mit Browning nach Italien zu gehen, löst sie einen gesellschaftlichen Skandal aus. Ihr Vater und ihre beiden Brüder werden ihr niemals vergeben; ihre beiden Schwestern zeigen Verständnis und Mitgefühl und pflegen weiterhin Kontakt mit ihr. Sie erleidet vier Fehlgeburten, bevor sie mit 43 Jahren einen Sohn zur Welt bringt. Während Elizabeth Gedichte schreibt, versiegt die poetische Kraft ihres Ehemannes. Reisen führen die beiden nach Paris und London, danach kehren sie nach Florenz zurück, wo Browning endlich zu neuer Schaffenskraft und die Familie durch eine Erbschaft zu mäßigem Wohlstand findet. Im Alter von 55 Jahren stirbt Elizabeth in den Armen Brownings. Ein gelungenes Portrait einer unkonventionellen Liebe und anschauliches Familiensittenbild vor dem historisch-politischen Hintergrund Mitteleuropas in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in dessen Zentrum die bedeutendste britische Autorin ihrer Zeit steht, welche durch vielfache Zitate aus ihren Briefen und Gedichten zu einer „greifbaren” Person für die Leserin wird. Nina Muth
 
Elsemarie Maletzke: Eine Liebe in Florenz. Elizabeth Barrett und Robert Browning. 195 Seiten, Insel Verlag, Berlin 2011 EUR 7,80

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Dorothy Parker, die Königin der Bonmots

Endlich ist eine deutschsprachige Biographie über die bedeutende New Yorker Schriftstellerin, Drehbuchautorin, Theaterkritikerin und Journalistin Dorothy Parker (1893-1967) erschienen. Michaela Karl hat mit sehr viel Leidenschaft ihr exzentrisches aber nicht ganz einfaches Leben nachgezeichnet und dabei sehr viele Intellektuelle, die in Dorothy Parkers Leben eine Rolle gespielt haben, aufleben lassen. Zahlreiche unglückliche Liebesgeschichten, verstärkt mit exzessivem, betäubendem Alkoholkonsum gestalten Dorothys Leben mühsam. Das Ergebnis ihrer eigenen Unsicherheit und Selbstzweifel ist eine geradezu erschreckende Bosheit. Dorothys beißender Spott lässt niemanden aus, ganz im Gegenteil, er wird zum Kult in einer zerrissenen Welt. Sie unternimmt zwei Selbstmordversuche, um doch das Leben mit all seinen Härten zu ertragen. Berühmte intellektuelle KünstlerInnen kreuzen ihren Weg und verbringen ihre Zeit mit Dorothy auf ausschweifenden Partys, und am Ende ist sie ganz allein. Auf der anderen Seite wird eine scharfsinnige Dorothy vorgestellt, die sich für politische Inhalte (Sacco und Vanzetti, Spanischer Bürgerkrieg, Rassendiskriminierung und Armut, McCarthy Ära) engagiert. Immer dann, wenn das inhaltliche sozialistische Engagement der Akteurin hervorgehoben wird, wird deutlich, wie mutig sie gleichzeitig war. Tja, vielleicht hätte sich die Autorin Michaela Karl weniger auf die Alkoholexzesse im Algonquin konzentrieren sollen, denn am interessantesten lesen sich die Passagen, wo sich die Künstlerin inmitten der äußeren Welt bewegt, egal ob im Redaktionsbüro oder in der Öffentlichkeit. Wer Karls einfühlsame Biographie liest, wird sicher auch wieder die Erzählungen von Dorothy Parker zur Hand nehmen oder diese kennenlernen wollen. ML
 
Michaela Karl: Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber. 281 Seiten, Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2011 EUR 24,80

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Überleben und den Tod überwinden

Eva Eisenstaedt wurde 1940 in Buenos Aires geboren, ihre Eltern hatten sich auf der Flucht vor den Nazis dort niedergelassen. Eisenstaedt, studierte Pädagogin und Sozialwissenschafterin, arbeitete viele Jahre in einer Kanzlei, die sich um Restitutionszahlungen für die nach Argentinien ausgewanderten Holocaustüberlebenden kümmert. Als sie im Rahmen dieser Tätigkeit die Überlebende Sara Rus kennenlernte, konnte Eisenstaedt, wie sie selbst in zahlreichen Interviews erzählte, nicht anders, als mit 66 Jahren ihr erstes Buch zu veröffentlichen. „Zweimal überleben” ist die Lebensgeschichte einer Frau, deren Leben gleich zweimal durch politische Verfolgung zutiefst erschüttert wurde. Die polnische Jüdin Sara Rus, die eine Reihe von Vernichtungslagern überlebte, konnte 1948 nach Argentinien auswandern, wo sie sich ein friedlicheres Leben erhoffte. Doch 1977 wurde ihr Sohn Opfer der argentinischen Militärdiktatur und verschwand spurlos. Von da an engagiert sich Rus bei den „Müttern der Plaza de Mayo”, einer Organisation von Frauen, deren Kinder während der Militärdiktatur ermordet wurden. Mit der Übersetzung ins Deutsche hat der Mandelbaum-Verlag mit „Zweimal überleben” ein weiteres bemerkenswertes Buch über beeindruckende jüdische Frauen vorgelegt, die sich ihre Zivilcourage und ihr politisches Engagement nicht nehmen lassen. Jana Sommeregger
 
Eva Eisenstaedt: Zweimal überleben. Von Auschwitz zu den Müttern der Plaza de Mayo. Die Geschichte der Sara Rus. 152 Seiten, Mandelbaum Verlag, Wien 2010 EUR 15,—

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Sechs Leben

Manche von uns tun sich schon schwer, wenn sie einmal die Heimat wechseln müssen — meist zu Beginn des Erwachsenenlebens. Andere halten es nicht lang an einem Ort aus. Anna Maria Jokl musste ihren Wohnort mehrmals aufgeben, ein paar Mal auch ihre Heimat — nicht freiwillig, sondern weil sie nicht zu jenen 52 Millionen Menschen gehören wollte, die „mit der Hakenkreuzsense gemäht” wurden. „Aus sechs Leben” bringt teilweise unveröffentlichte Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Essays der bekannten Schriftstellerin, die ihren Weg durch die Welten nachzeichnen. Das erste ihrer sechs Leben war in Wien, wo sie Kindheit und Jugend verbrachte. Es folgte ein aufregendes Jahr in Berlin, wo sie Liebe und Verliebtsein kennen lernte. Dann 1933 die erste Flucht nach Prag, das ihr zur wirklichen Heimat wurde. Der Abschied fiel ihr sehr schwer, aber 1939 standen die Nazis im Land und über Umwege erreichte sie London. Sie entdeckt neben der Schriftstellerei das Interesse für die Tiefenpsychologie und Traumdeutung nach C.G. Jung. 1951 geht sie einem „Hirngespinst von Pflicht” nach und kehrt nach Berlin zurück, gesteht sich aber bald ein, dass ihr Ziel eigentlich „Palästina” ist. „Ich bin ein Waise in der Welt”, schreibt eine zur Ruhe kommen wollende Jokl. Nicht zuletzt immer wiederkehrende antisemitische Zurückweisungen drängen sie nach Israel, wohin sie 1965 endgültig auswandert. Auch hier hat sie zunächst mit dem Gefühl der Fremde zu kämpfen, muss sich mühsam die Sprache aneignen — Jokls Erfahrungsberichte zeigen, dass es für europäische Juden/Jüd_innen keineswegs immer ein freudiges und lustvolles „Heimkommen” nach Israel gewesen sein muss, sondern vielmehr ein mühevolles Einleben. Das sechste Leben wird für Jokl schließlich aber zur letzten Heimat, in der sie 2001 stirbt. Das Schreiben war für Jokl eine „Überlebensstrategie”, meint Jennifer Tharr im Nachwort. Jokl: „Ich muss mir Türen aufmachen, wenn sie sich sonst nirgends zeigen. Ich muß mir einen Boden unter meine Füße schreiben, wenn mir der wirkliche zu unreal ist.” Gabi Horak
 
Anna Maria Jokl: Aus sechs Leben. 368 Seiten, Jüdischer Verlag , Berlin 2011 EUR 23,60

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Schreiben im Kampf gegen die Ohnmacht

Mignon Langnans bleibt nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland freiwillig in Wien, um ihre gebrechlichen Eltern zu pflegen, während ihrem Mann und den beiden gemeinsamen Kindern die Flucht in die USA gelingt. Mignon arbeitet fortan als Krankenschwester für die Israelitische Kultusgemeinde in Wien, wo sie sich aufopfernd sowohl um Säuglinge als auch um alte Leute kümmert. Sie erlebt die Grausamkeiten der NS-Schreckensherrschaft mit, welche sie durch geheime Briefwechsel und Tagebucheinträge dokumentiert und gleichzeitig für sich selbst erträglich macht. Durch das Schreiben verliert sie ihre Ohnmacht. Sie erlebt die Befreiung durch die Alliierten und es gelingt ihr, zu ihrer Familie in die USA zu reisen. Doch die Zeit der gewaltsamen Trennung und das erlebte Grauen haben sie und ihren Gatten Leo psychisch so verändert, dass ihre Ehe nur noch auf dem Papier besteht. Mignon verstirbt 1949 in den USA und hinterlässt eine Tagebuch- und Briefsammlung, welche durch ihren Sohn George der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird. Durch diese authentischen Schriftstücke und Briefe anderer Zeitzeugen sowie durch zahlreiche Fotoillustrationen entsteht das Portrait einer mutigen Frau, welches Einblick in den unerträglichen Alltag der jüdischen Bevölkerung Wiens zwischen 1938 und 1945 gibt. Nina Muth
 
Mignon. Tagebücher und Briefe einer jüdischen Krankenschwester in Wien von 1938-1949. Hg. von Elisabeth Fallerer und George Langnas. 504 Seiten, StudienVerlag, Innsbruck 2010 EUR 29,90

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Kräftige, kluge und mutige Frauen

Wer kennt Claire Heliot, Elise Serafin oder Paula Busch? Alle drei waren Zirkusartistinnen und lebten im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Zu einer Zeit, wo Frauen noch nicht wählen durften und die bürgerliche Frau kaum alleine über die Straße gehen konnte, führten sie als Raubtierbändigerin, Kraftakrobatin und Zirkusdirektorinnen ein relativ gleichberechtigtes Leben. Sie waren wild, mutig und ungebunden und hatten des Öfteren unkonventionelle Beziehungen. Eher als andere Frauen konnten sie sich gegen Kinder entscheiden. Einige lebten in offenen lesbischen Beziehungen wie die Zirkusdirektorin Paula Busch, die mit ihrer Lebensgefährtin Eleonore Cador fast 50 Jahre zusammen war — bis zu ihrem Tod. Die Porträts dieser und vieler anderer Zirkusartistinnen lesen sich spannend wie ein Krimi, lassen zwischendurch die Magie des Zirkus aufblitzen, machen aber auch immer wieder die Grenzen der Gleichberechtigung deutlich, wenn die Artistinnen mit Weiblichkeitsvorstellungen konfrontiert werden oder wenn die Beziehung zwischen Dompteuse und Löwe erotisiert wird. Wenig zur Sprache kommen die harten Arbeitsbedingungen, mit denen sich z.B. Paula Busch in Aufsätzen wie „Die Frau im Circus” auseinandersetzte. vab
 
Stephanie Haerdle: Amazonen der Arena. Zirkusartistinnen und Dompteusen. 207 Seiten, Wagenbach, Berlin 2010 EUR 13,30

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