Als Beitrag zur Internationalismusforschung bietet dieses Buch
eine weitreichende kritische Beschreibung und Analyse der
Reforminternationalismen: Antisklavereipolitik, christliche Mission
und Frauenbewegung. Susan Zimmermann beleuchtet die Vorgehensweisen
und Strategien dieser Bewegungen in Bezug auf die jeweiligen
gesellschaftlichen und globalen Machtverhältnisse. Besondere
Bedeutung hat die Analyse der Positionierung der Bewegungen in Bezug
auf globale Ungleichheit und Nationalstaatlichkeit. Wird Kritik an
globaler Ungleichheit aus strategischen Gründen vermieden? Gibt es
Tendenzen, sich auf Einpunktagenden zu beschränken, um
möglicherweise deren Umsetzbarkeit zu erleichtern? Die
Verstrickungen der Reforminternationalismen in die Politiken der
globalen Ungleichheit werden aufgezeigt. Zu diesen Politiken gehört
das Schweigen zu Fragen der globalen Ungleichheit ebenso wie die
Rechtfertigung der Kooperation mit geltenden Machtpolitiken im
Dienste „der guten Sache”. Vielfach werden
Reforminternationalismen genutzt, um den Einflussbereich für
vordefinierte Vorstellungen von Reformen auszuweiten und sie
angeblich rückständigen Ländern oder Bevölkerungsgruppen
vorzugeben. Besondere Wirksamkeit zeigt die Verbindung von
Reformagenden mit kapitalistischer Expansionspolitik. Die Öffnung
von Märkten, die Transformation von Arbeitsverhältnissen hin zu
Marktorientierung sind Beispiele dafür. Katja Russo
Susan
Zimmermann: Grenzüberschreitungen. Internationale Netzwerke,
Organisationen, Bewegungen und die Politik der globalen Ungleichheit
vom 17. bis zum 21. Jahrhundert. 270 Seiten, Mandelbaum Verlag, Wien
2010 EUR 24,90
Zu dem Zerwürfnis zwischen ihr und Gershom Scholem hat Hannah
Arendt irgendwann einmal in etwa gesagt, dass dieses zu den
enttäuschendsten Erfahrungen gehörte, da sie davon ausginge, dass
eine Freundschaft als nichtfamiliale Verbindung alle (politischen)
Differenzen aushalte. Nun liegt der komplette Briefwechsel
(1939-1964) der beiden vor; nicht nur das persönliche Zeugnis einer
Freundschaft zwischen dem „kabbalistischen”
Religionswissenschafter und der politischen Philosophin, sondern auch
ein historisches Dokument, das die (mentalen) Erfahrungen und
unterschiedlichen Perspektiven jüdischer Intellektueller der Kriegs-
und Nachkriegszeit auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des
Judentums spiegelt. Unterschiede, die schließlich in unaufhebbare
Widersprüche mündeten. Wobei sich hier zwei unbeirrbare Charaktere
begegnen, die wenig geneigt sind, sich auf Kompromisse einzulassen.
Erste Verbindung der beiden ist die Sorge um Walter Benjamins
verstreuten Nachlass. Neben kleinen Berichten aus den
(Forschungs-)Alltagen in Jerusalem (gewollte Migration eines
deutsch-jüdischen Assimilierten) und New York (erzwungene Migration
einer deutsch-jüdisch Assimilierten), dem Austausch über das
beidseitige Engagement in der Rettung der jüdischen Kultur nach
1945, den Denkarbeitsvorhaben, dem Zusenden der jeweils neuesten
Schriften spannt sich der Bogen bis zur Veröffentlichung von Arendts
Berichterstattung über den Eichmannprozess. Die darin formulierte
Kritik an den jüdischen Funktionären während der Shoah, sowie ihre
Reflexion auf „Die Banalität des Bösen” (des Massenmörders
ohne Motivation) führten zu einer unversöhnlichen Kontroverse, denn
Scholem, der diese dann auch in die Öffentlichkeit trug, sah dies
als Verrat an der Liebe zu den Juden an, ein Vorwurf der für Arendt
absurd war. Was sie jedoch ablehnte war eine jegliche geschlossene
Weltanschauung. Diese fundiert editierte und kommentierte
Briefsammlung ist für Materieneulinge wie für KennerInnen eine
Fundgrube an jüdisch-intellektueller ZeitzeugInnenschaft. Birge
Krondorfer
Der Briefwechsel. Hannah Arendt. Gershom Scholem. Hg.
von Marie Luise Knott, unter Mitarbeit von David Heredia. 694 Seiten,
Jüdischer Verlag, Berlin 2010 EUR 41,10
Pünktlich zum 100. Jubiläum des Internationalen Frauentags
erscheint mit diesem Frauentagsbuch ein gut recherchiertes Werk, das
die Ursprungsgeschichte(n) und Wandlungen dieses besonderen Tages
hierzulande in den Blick nimmt. Somit ist das Buch auch ein wichtiger
Beitrag zur Frauen- und feministischen Geschichtsschreibung. Anhand
der am Frauentag öffentlich präsentierten, jeweils aktuellen
politischen Forderungen zeichnet es zunächst die Kämpfe der Frauen
um mehr Rechte als Bürgerinnen nach, um dann mit der Neuen
Frauenbewegung einen Paradigmenwechsel hin zur Selbstbestimmtheit
über das eigene Leben zu reflektieren. Der Frauentag in Österreich
hat im Wesentlichen zwei Wurzeln: eine sozialistisch/kommunistische
und eine feministisch-autonome. Die Pole, zwischen denen sich die
frauenpolitischen Veränderungsbestrebungen bewegten, waren und sind
jener, der das Leben und die Möglichkeiten von Frauen in die
gesamtgesellschaftliche Entwicklung eingebettet sieht, und jener, der
„Frau” als Individuum denkt, das sein volles Potential entfalten
möchte, und zwar durch Überschreitung der vorgegebenen
Rahmenbedingungen. Ein Buch wie dieses wirft auch die Frage auf, wie
die Geschichte weitergeht. Weder ist die neoliberale Entwicklung der
letzten Jahrzehnte spurlos an den Frauenbewegungen vorübergegangen,
noch ihre Integration ins Establishment, was möglicherweise Ausdruck
genau dieser Entwicklung ist. 100 Jahre sind zwar seit dem ersten
Internationalen Frauentag vergangen, aber die Situation von Frauen
ist noch immer die der „Anderen”, unabhängig davon, welche
Optionen sich für einen Teil von uns inzwischen eröffnet haben. Und
obwohl jede neue Frauengeneration dies zunächst nicht wahrhaben zu
wollen scheint, sprechen Fakten und Zahlen, ebenso wie Lebens- und
Karriereverläufe eine deutliche Sprache. Insofern braucht es noch
viele Frauenkampftage — mit der Beteiligung von Frauen über die
üblichen Szenen und Kreise hinaus, die leidenschaftlich genug sind,
für eine andere Welt und für ein anderes Leben für sich selbst
einzutreten. Hilde Grammel
Frauentag! Erfindung und Karriere
einer Tradition. Hg. von Heidi Niederkofler, Maria Mesner und Johanna
Zechner. 343 Seiten, Löcker, Wien 2011 EUR 29,80
Zum 65. Geburtstag von Angelika Ebbinghaus entstand dieser
gelungene Band, der zunächst einige ihrer Weggefährtinnen zu Wort
kommen lässt, die gemeinsam mit ihr die verschiedensten autonomen
frauenspezifischen Sozial- und Forschungsprojekte in den 1960er und
-70er Jahren gestaltet haben. Interessant ist daran neben den
vorgestellten praktischen Erfahrungen das interdisziplinäre
Hinterfragen von klassischen wissenschaftlichen Konzepten, das
Abweichen von der Linie, um auf Antworten von unten zu kommen. Immer
wieder der Gedanke: wie kann die Praxis mit der Theorie verknüpft
werden? Es folgen von Ebbinghaus publizierte Beiträge aus
unterschiedlichen zeitlichen Etappen ihrer Forschungspraxis. Der
erste Beitrag repliziert die politischen Themen um 1968. Angemessen
ist dann ihr gnadenloser Beitrag über die Ewiggestrigen im
Wissenschaftsbetrieb, ebenso wie der Beitrag über den Massenmord in
Konzentrationslagern durch Zyklon B und die Rolle der
Chemieunternehmen. Sie lässt auch den Widerstand gegen den
Nationalsozialismus nicht unbeachtet. An anderer Stelle greift sie
die blinden Flecken der Frauenforschung auf. Das Thema „Frauen”
als Täterinnen im Faschismus hat sie mitbesetzt, indem sie die
berufliche Rolle der Fürsorgerin in Wohlfahrtsämtern oder der
Krankenschwester in psychiatrischen Kliniken oder der KZAufseherin in
Ravensbrück nicht unterschätzt. Auch die „andere
Arbeiter_innenbewegung” wird trotz Taylorismus und anderer Waffen,
die gegen diese aufgefahren werden, hervorgehoben. Die Themen
kennzeichnen die Stärke der Autorin, ihre unermüdliche Bemühung,
die Koordinaten ihrer Zeit auf den Punkt zu bringen. ML
Angelika Ebbinghaus: Ein anderer Kompass. Soziale Bewegungen und
Geschichtsschreibung. Texte 1969—2009. Hg. von der Stiftung für
Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts. 334 Seiten, Assoziation A,
Hamburg 2010 EUR 20,60
Der in den USA bereits in den 1990ern als „Gayby”-Boom
bezeichnete rasante Zuwachs an Kindern, die in gleichgeschlechtliche
Beziehungen hineingeboren werden, scheint endgültig auf den
(mittel-)europäischen Raum übergegriffen zu haben. Anzeichen
hierfür lassen sich nicht zuletzt anhand der Entwicklungen im
Bereich des Adoptionsrechts sowie der wachsenden medialen
Berichterstattung über diese neuen Familienformen ausmachen. Die
systematische wissenschaftliche Behandlung des kontroversiellen
Themas führe aber, so die Herausgeberinnen des umfangreichen
Sammelbandes, bislang ein Schattendasein. Dieses zu beenden ist
zentrales Anliegen des Bandes, der Auseinandersetzungen mit
demographischen, medizinischen, rechtlichen, ethischen,
psychologischen, soziologischen, therapeutischen und künstlerischen
Aspekten gleichgeschlechtlicher Elternschaft versammelt. Vor allem
für Personen mit Kinderwunsch und solche, die schon Kinder haben,
bieten die informativen Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven
Einblick in vielfältige Facetten der Lebenssituation
gleichgeschlechtlicher Personen mit Kindern. Deren Zusammenführung,
so sei abschließend kritisch angemerkt, obliegt dabei jedoch
weitgehend den Leser_innen. Sushila Mesquita
Die
gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern. Interdisziplinäre
Beiträge zu einer neuen Lebensform. Hg. von Dorett Funcke und Petra
Thorn. 498 Seiten, transcript, Bielefeld 2010 EUR 33,80