FrühjahrFrühjahr 20112011:: Gesundheit/KörperGesundheit/Körper

Körper Wissen Geschlecht

Die zweite Publikation des Netzwerkes „Geschlechterwissen & soziale Praxis” fasst die Ergebnisse der 3. Arbeitstagung, die unter dem gleichnamigen Titel im April 2009 in Graz stattfand, zusammen. Die Autorinnen beschäftigen sich im ersten Teil damit, was der Körper weiß, und wie das, was er weiß, dadurch entsteht, was wir über ihn wissen. Anhand der Analyse von Diskurssträngen über scheinbar körper-inhärente Attribute und Körper-Identitäten wird entschlüsselt, wie Geschlecht in Deutungsräumen von Dominanz, Sexualität und Behinderung hergestellt, aufgelöst und umgeschrieben wird. Der zweite Teil des Buches befasst sich mit Körperwissen in Bewegung und Bild — damit, wie der Körper das, was er weiß, ausführt und so nach außen hin sichtbar macht. Damit verbunden ist vor allem die Reproduktion und Transformation von Geschlecht im Kontext ganz unterschiedlicher, alltäglicher Situationen und deren visueller und medialer Vermittlung. Nach einem einleitenden Text über das handelnde Moment des Körpers werden Bilder von Tanz, Musik, Sport, Familie und Alter auf ihre Repräsentation von Geschlecht(erverhältnissen) hin analysiert. Zentral bleibt das Thema Privatheit/Öffentlichkeit und die damit verbundene Deutungsmacht von Geschlecht, die somit auch im von seinem Geschlecht wissenden Körper zum Ausdruck kommt. Eva Miklautz
 
Körper Wissen Geschlecht. Geschlechterwissen und soziale Praxis II. Hg. von Angelika Wetterer. 244 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2010 EUR 27,70

zum Seitenanfang springen

„Auch für uns schien die Sonne!”

Welches Alter ist die beste Zeit des Lebens? Was gewinnt eine_r durch das Alter(n), was verliert eine_r, und was wollte eine_r ohnehin nie haben und kann es demzufolge gern hinter sich lassen? Was bedeutet es, eine alte Frau zu sein? Welche Verbundenheit mit der Jugend lässt sich finden? Was bedeutet Zeit und was bedeutet sie im Rückblick? Was macht die Essenz eines Lebens aus und wann wird sie erkennbar? Jane Miller, selbst 1932 geboren, hat ein kluges, charmantes und nie idealisierendes Buch über das Alter(n) geschrieben, ein Buch, das so wundervoll ist, dass es alle lesen sollten: die ganz Jungen wie die Mitteljungen, die Mittelalten wie die ganz Alten. Sie nähert sich dem Phänomen Alter(n) aus verschiedenen Richtungen und greift dabei sowohl auf ihre eigenen Erfahrungen und ihre eigene Familiengeschichte zurück als auch auf literarische Darstellungen des Alter(n)s, auf Romanfiguren und philosophische Abhandlungen. Man muss viel lachen bei der Lektüre, so hat Miller etwa ein besonderes Talent dafür, eine Anekdote in einem einzigen Satz zu erzählen, was nicht bedeutet, dass es nicht auch traurige oder zumindest von Melancholie geprägte Momente gibt, Momente, in denen die Leser_in ihres eigenen Alter(n)s gewahr und an die Menschen erinnert wird, die nicht mehr unter uns weilen. Große, wirklich große, Empfehlung, dieses Buch in unterschiedlichsten Lebensabschnitten zu lesen, ist es doch ein Buch für die, die wir sind und die, die wir sein werden. Susanne Oechsner
 
Jane Miller: Die magischen Jahre. Im Alter beginnt ein neues Leben. Übersetzt von Barbara Jung und Hans-Christian Oeser. 270 Seiten, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010 EUR 20,60

zum Seitenanfang springen

Schönes Alter(n)

Die Soziologin Grit Höppner untersucht, was Schönheit für ältere Menschen bedeutet und wie deren jeweilige Arten des Schönheitshandelns im Kontext neoliberaler Gesellschaftsverhältnisse zu verorten sind. Sie geht davon aus, dass die intersektionalen Kategorien Geschlecht, Körper und Alter(n) nicht einfach gegeben sind, sondern stetig hergestellt und performativ abgesichert werden müssen. In Rückgriff auf die körperbezogenen Regierungstechnologien Doing Gender, Doing Bodyfication, Doing Age und Doing Beautyfication zeigt Höppner, dass geschlechtsspezifische neoliberale Schönheitsideale einerseits zentraler Bestandteil von Subjektivierungsprozessen älterer Menschen sind und diese andererseits durch ihr Schönheitshandeln normative Vorstellungen von Geschlecht, Körper und Alter(n) reproduzieren. Das Schönheitshandeln älterer Frauen und Männer ist demnach durch und durch vergesellschaftet und an machtgeladenen und vergeschlechtlichten Normensystemen orientiert. Was Höppners Arbeit bestechend macht, ist die schlüssige Entwicklung ihres theoretischen Begriffsrepertoires, das im Anschluss gut nachvollziehbar und erhellend auf die empirischen Daten angewandt wird. Obwohl das kleine Sample von sechs Befragten zur Folge hat, dass Differenzen relativ klar zu Tage treten, deren Bedeutung nicht repräsentativ sein kann, ist diese explorative Arbeit bestens dazu geeignet, Thesen aufzuwerfen, die in weiteren Forschungen unbedingt untersucht und geprüft werden sollten, nicht zuletzt um den Blick genau auf jene Differenzen und Widersprüchlichkeiten zu richten. Susanne Oechsner
 
Grit Höppner: Alt und schön. Geschlecht und Körperbilder im Kontext neoliberaler Gesellschaften. 130 Seiten, VS Verlag, Wiesbaden 2011 EUR 30,80

zum Seitenanfang springen

Trivialisierung von Körpermodifikationen

Der nunmehr 95. Band der Beiträge zur Sexualforschung ist dem Thema Intimmodifikationen gewidmet. Die HerausgeberInnen Ada Borkenhagen und Elmar Brähler versammelten dafür elf Beiträge, unter anderem zu den Themen Piercings, Tattoos, genitale Körpermodifikationen bei Männern und Frauen, wie Hymen-Rekonstruktion, Genitalbeschneidung bei Männern und FGM (Female Genital Mutilation, weibliche Genitalverstümmelung) bei Frauen. Das Buch bietet zwar vertiefende, aber einfach dargelegte Einblicke in die medizinischen Aspekte dieser sehr unterschiedlichen Themenbereiche. Allerdings scheitert die Darstellung psychosozialer und gesellschaftspolitischer Aspekte über weite Teile des Buches an Ungenauigkeiten, peinlichen Wiederholungen von ganzen Textpassagen und vor allem an sexistischen und rassistischen sowie diskriminierenden Bewertungen. So wird zum Beispiel der weibliche Orgasmus als nicht sichtbar beschrieben, und die Erkenntnisse und Erfahrungen zur weiblichen Ejakulation werden negiert. Anderenorts werden homo- und bisexuelle Personen unter die pathologischen Aspekte von Intimpiercings gereiht. Leider gelingt es nur wenigen AutorInnen des Bandes mit ihren Beiträgen an aktuelle feministische Diskussionen (insbesondere zu FGM) anzuschließen. Insgesamt ist der Sammelband in seiner textlichen, inhaltlichen und politischen Qualität sehr durchwachsen und leider zum größten Teil nur jenen zu empfehlen, die sich ausschließlich für medizinische Aspekte des Themenfeldes interessieren. Roswitha Hofmann
 
Intimmodifikationen. Spielarten und ihre psychosozialen Bedeutungen. Hg. von Ada Borkenhagen und Elmar Brähler. 219 Seiten, Psychosozial-Verlag, Gießen 2010 EUR 20,50

zum Seitenanfang springen

Regierte Körper, regiertes Geschlecht

Aus unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln fokussiert diese Aufsatzsammlung, die aus der Ringvorlesung Gendered Subjects 2008/09 an der Universität Wien hervorging, darauf, wie Körper und Geschlecht gesellschaftlich hervorgebracht und regiert werden. Thematisiert werden unter anderem Schönheitsdiskurse und die individuelle, der Selbstdisziplinierung dienende Internalisierung normativer Codes, der machtgeladene und normierende Blick von außen auf den Körper und Möglichkeiten der Wiederaneignung des Blicks durch das Subjekt, die Interpretation des Zusammenhangs von Körperinnerem und -äußerem sowie die Frage, welche Rolle Biowissenschaften bei der Konstruktion von Geschlechtsunterschieden spielen, aber auch welche neuen Identitätsentwürfe durch sie ermöglicht werden. Es wird veranschaulicht, dass Körper und Geschlecht über gesellschaftliche und (bio-)wissenschaftliche Diskurse geformt und normalisiert, definiert und kontrolliert werden und dass dies Einfluss auf individuelle Körpererfahrung, Körperinterpretation und Körpergestaltung hat. Ein empfehlenswerter Sammelband, breit angelegt und gleichzeitig sehr gut lesbar in die Tiefe gehend, der deutlich macht, dass Körperbilder und Körperpraktiken stets in ihrer historischen und gesellschaftlichen Kontingenz zu verstehen sind und dass trotz der diskursiven Konstruiertheit geschlechtlicher Körper auch ihre Materialität nicht außer Acht gelassen werden darf. Susanne Oechsner
 
Körperregime und Geschlecht. Hg. von Maria Katharina Wiedlack und Katrin Lasthofer. 248 Seiten, Studienverlag, Innsbruck 2011 EUR 24, —

zum Seitenanfang springen

Zeig mir, was du isst …

Alle Menschen essen, keine Frage. Was und wie gegessen wird, ist jedoch soziokulturell bedingt. Männer essen vollkommen anders als Frauen. Wie sind diese Unterschiede im Ernährungsverhalten zu erklären? Welche Auswirkungen haben die unterschiedlichen Ernährungsweisen auf die Konstruktion von Geschlechterrollenbildern? Katarina Schritt geht diesen Fragen nach. Sie beleuchtet den aktuellen Ernährungsdiskurs: Was gilt als „gesund”, wer definiert Gesundheit? Anhand des Deutschen Ernährungsberichtes zeigt die Autorin, welche Einschränkung der vorwiegend naturwissenschaftlich-medizinische Fokus auf das Verständnis von Ernährung bedeutet. Das Ernährungsverhalten wird gemessen und dargestellt. Versuche, das Verhalten zu erklären oder zu interpretieren, werden im Ernährungsbericht nicht unternommen. Lebensbedingungen beziehungsweise gesellschaftliche Konstruktionsprozesse werden außer Acht gelassen, Ernährung wird als individuelles (Fehl)Verhalten „abgestempelt”. Im zweiten Teil des Buches stellt die Autorin schlüssig dar, dass die vielen Aspekte der Ernährung eine wichtige Ressource zur Produktion von Geschlechterhierarchien sind. Sie plädiert daher für eine systematische Verknüpfung von Ernährungswissenschaft und Geschlechterforschung. Rosemarie Zehetgruber
 
Katarina Schritt: Ernährung im Kontext von Geschlechterverhältnissen. Analyse zur Diskursivität gesunder Ernährung. 132 Seiten, VS Verlag, Wiesbaden 2011 EUR 30,80

zum Seitenanfang springen

Gender in der Schule

Dieser Sammelband präsentiert Beiträge eines Workshops am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim im Juni 2009, die drei Jahrzehnte Forschung zu Gender und Schule in Deutschland und Österreich (mit zwei Beiträgen zum Gymnasium Rahlgasse in Wien) umreißen. Geboten wird sowohl eine gediegene Grundlagentextsammlung für Einsteiger_innen als auch ein konzeptionelles Ausschildern von aktuellen Forschungsfragen: erweiterte Gender-Konzepte im Zusammenhang mit Heterogenität, Homogenität, Intersektionalität, queeren und Diversity-Ansätzen. Im Fokus der Autor_innen stehen Lehrkräfte als (Mit)Produzent_innen von Gender, die Bedeutung von hierarchischer und funktionaler Arbeitsteilung in der Schule, Schulräume als Ausdruck von Geschlechterhierarchie, Schulfächer (Deutsch und Physik) als Widerspiegelung von doing und undoing gender Prozessen, die Qualifizierung von Schüler_innen als Genderbeauftragte an Schulen, genderkompetenter Schulsport sowie Gender Mainstreaming und die Bedeutung von verlässlichen, zielorientierten Organisationsstrukturen und der Professionalisierung der Lehrkräfte für die Institutionalisierung von Gender in schulischen Strukturen. Claudia Schneider
 
Genderkompetenz und Schulwelten. Alte Ungleichheiten — neue Hemmnisse. Hg. von Dorothea Krüger. 260 Seiten, VS Verlag, Wiesbaden 2011 EUR 30,80

zum Seitenanfang springen

„Trotzdem erreicht”

Beatrice Kustor-Hüttl stellt die Ergebnisse ihrer spannenden wissenschaftlichen Studie zum Thema Bildungserfolg in der Migration vor. Das Buch verdankt seine Dichte und Aussagekraft umfassenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem reflektierten Aufgreifen von Lebensgeschichten. Den Themen Trauma und Risiko in der Migration und dem Stand in der Migrationsforschung wird große Bedeutung zugemessen. Methodisch bedient sich die Forscherin der qualitativen Resilienzforschung. Im theoretischen Teil des Buches definiert die Autorin „Resilienz” als „Fähigkeit zum (aktiven) Widerstand gegen Stress und ungünstige psychosoziale Lebensbedingungen”. Sie arbeitet mit biografisch-qualitativen Interviews mit sechs bildungserfolgreichen Frauen im Alter von 25 bis 40 Jahren (Gemeinsamkeit ist Deutsch als Zweitsprache für alle Probandinnen) und analysiert deren trotz „widriger Umstände” erreichten Bildungserfolg. Die Autorin folgt einem Ansatz, der die Erfahrungen stressbelasteter oder auch traumatischer Lebensumstände in der Migration und den kreativen Gestaltungswillen im Bildungserwerb zusammenhängend widerspiegelt. Eines der wichtigsten Ergebnisse der Forschung ist die Erkenntnis der Autorin, dass die Resilienz ihrer Probandinnen auf ihre Fähigkeit, „das kulturelle Kapital” ihrer weiblichen Netzwerke in der Familie (sehr oft die unterstützende Beziehung zur Mutter) zu nutzen, zurückgreift. Das Buch verdeutlicht, welche enormen Anpassungsleistungen besonders Migrantinnen erbringen müssen, um Anerkennung in der Aufnahmegesellschaft erlangen zu können. Es ist auch eine wissenschaftlich untermauerte Hypothese, dass das Potenzial von Frauen und Mädchen in der Migration bislang nicht ausreichend gefördert wurde. Das Buch thematisiert den bisher einseitigen Blick der Forschung auf verminderte Chancen zur (Weiter-)Bildung für Frauen mit Migrationshintergrund und leistet eine wichtige Ergänzung zu dieser vieldiskutierten Materie. Sehr empfehlenswert! Diana Karabinova
 
Beatrice Kustor-Hüttl: Weibliche Strategien der Resilienz. Berufserfolg in der Migration. 304 Seiten, Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2011 EUR 30,80

zum Seitenanfang springen