Die zweite Publikation des Netzwerkes „Geschlechterwissen &
soziale Praxis” fasst die Ergebnisse der 3. Arbeitstagung, die
unter dem gleichnamigen Titel im April 2009 in Graz stattfand,
zusammen. Die Autorinnen beschäftigen sich im ersten Teil damit, was
der Körper weiß, und wie das, was er weiß, dadurch entsteht, was
wir über ihn wissen. Anhand der Analyse von Diskurssträngen über
scheinbar körper-inhärente Attribute und Körper-Identitäten wird
entschlüsselt, wie Geschlecht in Deutungsräumen von Dominanz,
Sexualität und Behinderung hergestellt, aufgelöst und umgeschrieben
wird. Der zweite Teil des Buches befasst sich mit Körperwissen in
Bewegung und Bild — damit, wie der Körper das, was er weiß,
ausführt und so nach außen hin sichtbar macht. Damit verbunden ist
vor allem die Reproduktion und Transformation von Geschlecht im
Kontext ganz unterschiedlicher, alltäglicher Situationen und deren
visueller und medialer Vermittlung. Nach einem einleitenden Text über
das handelnde Moment des Körpers werden Bilder von Tanz, Musik,
Sport, Familie und Alter auf ihre Repräsentation von
Geschlecht(erverhältnissen) hin analysiert. Zentral bleibt das Thema
Privatheit/Öffentlichkeit und die damit verbundene Deutungsmacht von
Geschlecht, die somit auch im von seinem Geschlecht wissenden Körper
zum Ausdruck kommt. Eva Miklautz
Körper Wissen Geschlecht.
Geschlechterwissen und soziale Praxis II. Hg. von Angelika Wetterer.
244 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2010 EUR 27,70
Welches Alter ist die beste Zeit des Lebens? Was gewinnt eine_r
durch das Alter(n), was verliert eine_r, und was wollte eine_r
ohnehin nie haben und kann es demzufolge gern hinter sich lassen? Was
bedeutet es, eine alte Frau zu sein? Welche Verbundenheit mit der
Jugend lässt sich finden? Was bedeutet Zeit und was bedeutet sie im
Rückblick? Was macht die Essenz eines Lebens aus und wann wird sie
erkennbar? Jane Miller, selbst 1932 geboren, hat ein kluges,
charmantes und nie idealisierendes Buch über das Alter(n)
geschrieben, ein Buch, das so wundervoll ist, dass es alle lesen
sollten: die ganz Jungen wie die Mitteljungen, die Mittelalten wie
die ganz Alten. Sie nähert sich dem Phänomen Alter(n) aus
verschiedenen Richtungen und greift dabei sowohl auf ihre eigenen
Erfahrungen und ihre eigene Familiengeschichte zurück als auch auf
literarische Darstellungen des Alter(n)s, auf Romanfiguren und
philosophische Abhandlungen. Man muss viel lachen bei der Lektüre,
so hat Miller etwa ein besonderes Talent dafür, eine Anekdote in
einem einzigen Satz zu erzählen, was nicht bedeutet, dass es nicht
auch traurige oder zumindest von Melancholie geprägte Momente gibt,
Momente, in denen die Leser_in ihres eigenen Alter(n)s gewahr und an
die Menschen erinnert wird, die nicht mehr unter uns weilen. Große,
wirklich große, Empfehlung, dieses Buch in unterschiedlichsten
Lebensabschnitten zu lesen, ist es doch ein Buch für die, die wir
sind und die, die wir sein werden. Susanne Oechsner
Jane
Miller: Die magischen Jahre. Im Alter beginnt ein neues Leben.
Übersetzt von Barbara Jung und Hans-Christian Oeser. 270 Seiten,
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010 EUR 20,60
Die Soziologin Grit Höppner untersucht, was Schönheit für
ältere Menschen bedeutet und wie deren jeweilige Arten des
Schönheitshandelns im Kontext neoliberaler Gesellschaftsverhältnisse
zu verorten sind. Sie geht davon aus, dass die intersektionalen
Kategorien Geschlecht, Körper und Alter(n) nicht einfach gegeben
sind, sondern stetig hergestellt und performativ abgesichert werden
müssen. In Rückgriff auf die körperbezogenen
Regierungstechnologien Doing Gender, Doing Bodyfication, Doing Age
und Doing Beautyfication zeigt Höppner, dass geschlechtsspezifische
neoliberale Schönheitsideale einerseits zentraler Bestandteil von
Subjektivierungsprozessen älterer Menschen sind und diese
andererseits durch ihr Schönheitshandeln normative Vorstellungen von
Geschlecht, Körper und Alter(n) reproduzieren. Das Schönheitshandeln
älterer Frauen und Männer ist demnach durch und durch
vergesellschaftet und an machtgeladenen und vergeschlechtlichten
Normensystemen orientiert. Was Höppners Arbeit bestechend macht, ist
die schlüssige Entwicklung ihres theoretischen Begriffsrepertoires,
das im Anschluss gut nachvollziehbar und erhellend auf die
empirischen Daten angewandt wird. Obwohl das kleine Sample von sechs
Befragten zur Folge hat, dass Differenzen relativ klar zu Tage
treten, deren Bedeutung nicht repräsentativ sein kann, ist diese
explorative Arbeit bestens dazu geeignet, Thesen aufzuwerfen, die in
weiteren Forschungen unbedingt untersucht und geprüft werden
sollten, nicht zuletzt um den Blick genau auf jene Differenzen und
Widersprüchlichkeiten zu richten. Susanne Oechsner
Grit
Höppner: Alt und schön. Geschlecht und Körperbilder im Kontext
neoliberaler Gesellschaften. 130 Seiten, VS Verlag, Wiesbaden 2011
EUR 30,80
Der nunmehr 95. Band der Beiträge zur Sexualforschung ist dem
Thema Intimmodifikationen gewidmet. Die HerausgeberInnen Ada
Borkenhagen und Elmar Brähler versammelten dafür elf Beiträge,
unter anderem zu den Themen Piercings, Tattoos, genitale
Körpermodifikationen bei Männern und Frauen, wie
Hymen-Rekonstruktion, Genitalbeschneidung bei Männern und FGM
(Female Genital Mutilation, weibliche Genitalverstümmelung) bei
Frauen. Das Buch bietet zwar vertiefende, aber einfach dargelegte
Einblicke in die medizinischen Aspekte dieser sehr unterschiedlichen
Themenbereiche. Allerdings scheitert die Darstellung psychosozialer
und gesellschaftspolitischer Aspekte über weite Teile des Buches an
Ungenauigkeiten, peinlichen Wiederholungen von ganzen Textpassagen
und vor allem an sexistischen und rassistischen sowie
diskriminierenden Bewertungen. So wird zum Beispiel der weibliche
Orgasmus als nicht sichtbar beschrieben, und die Erkenntnisse und
Erfahrungen zur weiblichen Ejakulation werden negiert. Anderenorts
werden homo- und bisexuelle Personen unter die pathologischen Aspekte
von Intimpiercings gereiht. Leider gelingt es nur wenigen AutorInnen
des Bandes mit ihren Beiträgen an aktuelle feministische
Diskussionen (insbesondere zu FGM) anzuschließen. Insgesamt ist der
Sammelband in seiner textlichen, inhaltlichen und politischen
Qualität sehr durchwachsen und leider zum größten Teil nur jenen
zu empfehlen, die sich ausschließlich für medizinische Aspekte des
Themenfeldes interessieren. Roswitha Hofmann
Intimmodifikationen. Spielarten und ihre psychosozialen Bedeutungen.
Hg. von Ada Borkenhagen und Elmar Brähler. 219 Seiten,
Psychosozial-Verlag, Gießen 2010 EUR 20,50
Aus unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln fokussiert diese
Aufsatzsammlung, die aus der Ringvorlesung Gendered Subjects 2008/09
an der Universität Wien hervorging, darauf, wie Körper und
Geschlecht gesellschaftlich hervorgebracht und regiert werden.
Thematisiert werden unter anderem Schönheitsdiskurse und die
individuelle, der Selbstdisziplinierung dienende Internalisierung
normativer Codes, der machtgeladene und normierende Blick von außen
auf den Körper und Möglichkeiten der Wiederaneignung des Blicks
durch das Subjekt, die Interpretation des Zusammenhangs von
Körperinnerem und -äußerem sowie die Frage, welche Rolle
Biowissenschaften bei der Konstruktion von Geschlechtsunterschieden
spielen, aber auch welche neuen Identitätsentwürfe durch sie
ermöglicht werden. Es wird veranschaulicht, dass Körper und
Geschlecht über gesellschaftliche und (bio-)wissenschaftliche
Diskurse geformt und normalisiert, definiert und kontrolliert werden
und dass dies Einfluss auf individuelle Körpererfahrung,
Körperinterpretation und Körpergestaltung hat. Ein empfehlenswerter
Sammelband, breit angelegt und gleichzeitig sehr gut lesbar in die
Tiefe gehend, der deutlich macht, dass Körperbilder und
Körperpraktiken stets in ihrer historischen und gesellschaftlichen
Kontingenz zu verstehen sind und dass trotz der diskursiven
Konstruiertheit geschlechtlicher Körper auch ihre Materialität
nicht außer Acht gelassen werden darf. Susanne Oechsner
Körperregime und Geschlecht. Hg. von Maria Katharina Wiedlack und
Katrin Lasthofer. 248 Seiten, Studienverlag, Innsbruck 2011 EUR 24, —
Alle Menschen essen, keine Frage. Was und wie gegessen wird, ist
jedoch soziokulturell bedingt. Männer essen vollkommen anders als
Frauen. Wie sind diese Unterschiede im Ernährungsverhalten zu
erklären? Welche Auswirkungen haben die unterschiedlichen
Ernährungsweisen auf die Konstruktion von Geschlechterrollenbildern?
Katarina Schritt geht diesen Fragen nach. Sie beleuchtet den
aktuellen Ernährungsdiskurs: Was gilt als „gesund”, wer
definiert Gesundheit? Anhand des Deutschen Ernährungsberichtes zeigt
die Autorin, welche Einschränkung der vorwiegend
naturwissenschaftlich-medizinische Fokus auf das Verständnis von
Ernährung bedeutet. Das Ernährungsverhalten wird gemessen und
dargestellt. Versuche, das Verhalten zu erklären oder zu
interpretieren, werden im Ernährungsbericht nicht unternommen.
Lebensbedingungen beziehungsweise gesellschaftliche
Konstruktionsprozesse werden außer Acht gelassen, Ernährung wird
als individuelles (Fehl)Verhalten „abgestempelt”. Im zweiten Teil
des Buches stellt die Autorin schlüssig dar, dass die vielen Aspekte
der Ernährung eine wichtige Ressource zur Produktion von
Geschlechterhierarchien sind. Sie plädiert daher für eine
systematische Verknüpfung von Ernährungswissenschaft und
Geschlechterforschung. Rosemarie Zehetgruber
Katarina Schritt:
Ernährung im Kontext von Geschlechterverhältnissen. Analyse zur
Diskursivität gesunder Ernährung. 132 Seiten, VS Verlag, Wiesbaden
2011 EUR 30,80
Dieser Sammelband präsentiert Beiträge eines Workshops am
Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim im
Juni 2009, die drei Jahrzehnte Forschung zu Gender und Schule in
Deutschland und Österreich (mit zwei Beiträgen zum Gymnasium
Rahlgasse in Wien) umreißen. Geboten wird sowohl eine gediegene
Grundlagentextsammlung für Einsteiger_innen als auch ein
konzeptionelles Ausschildern von aktuellen Forschungsfragen:
erweiterte Gender-Konzepte im Zusammenhang mit Heterogenität,
Homogenität, Intersektionalität, queeren und Diversity-Ansätzen.
Im Fokus der Autor_innen stehen Lehrkräfte als (Mit)Produzent_innen
von Gender, die Bedeutung von hierarchischer und funktionaler
Arbeitsteilung in der Schule, Schulräume als Ausdruck von
Geschlechterhierarchie, Schulfächer (Deutsch und Physik) als
Widerspiegelung von doing und undoing gender Prozessen, die
Qualifizierung von Schüler_innen als Genderbeauftragte an Schulen,
genderkompetenter Schulsport sowie Gender Mainstreaming und die
Bedeutung von verlässlichen, zielorientierten
Organisationsstrukturen und der Professionalisierung der Lehrkräfte
für die Institutionalisierung von Gender in schulischen Strukturen.
Claudia Schneider
Genderkompetenz und Schulwelten. Alte
Ungleichheiten — neue Hemmnisse. Hg. von Dorothea Krüger. 260
Seiten, VS Verlag, Wiesbaden 2011 EUR 30,80
Beatrice Kustor-Hüttl stellt die Ergebnisse ihrer spannenden
wissenschaftlichen Studie zum Thema Bildungserfolg in der Migration
vor. Das Buch verdankt seine Dichte und Aussagekraft umfassenden
wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem reflektierten Aufgreifen von
Lebensgeschichten. Den Themen Trauma und Risiko in der Migration und
dem Stand in der Migrationsforschung wird große Bedeutung
zugemessen. Methodisch bedient sich die Forscherin der qualitativen
Resilienzforschung. Im theoretischen Teil des Buches definiert die
Autorin „Resilienz” als „Fähigkeit zum (aktiven) Widerstand
gegen Stress und ungünstige psychosoziale Lebensbedingungen”. Sie
arbeitet mit biografisch-qualitativen Interviews mit sechs
bildungserfolgreichen Frauen im Alter von 25 bis 40 Jahren
(Gemeinsamkeit ist Deutsch als Zweitsprache für alle Probandinnen)
und analysiert deren trotz „widriger Umstände” erreichten
Bildungserfolg. Die Autorin folgt einem Ansatz, der die Erfahrungen
stressbelasteter oder auch traumatischer Lebensumstände in der
Migration und den kreativen Gestaltungswillen im Bildungserwerb
zusammenhängend widerspiegelt. Eines der wichtigsten Ergebnisse der
Forschung ist die Erkenntnis der Autorin, dass die Resilienz ihrer
Probandinnen auf ihre Fähigkeit, „das kulturelle Kapital” ihrer
weiblichen Netzwerke in der Familie (sehr oft die unterstützende
Beziehung zur Mutter) zu nutzen, zurückgreift. Das Buch
verdeutlicht, welche enormen Anpassungsleistungen besonders
Migrantinnen erbringen müssen, um Anerkennung in der
Aufnahmegesellschaft erlangen zu können. Es ist auch eine
wissenschaftlich untermauerte Hypothese, dass das Potenzial von
Frauen und Mädchen in der Migration bislang nicht ausreichend
gefördert wurde. Das Buch thematisiert den bisher einseitigen Blick
der Forschung auf verminderte Chancen zur (Weiter-)Bildung für
Frauen mit Migrationshintergrund und leistet eine wichtige Ergänzung
zu dieser vieldiskutierten Materie. Sehr empfehlenswert! Diana
Karabinova
Beatrice Kustor-Hüttl: Weibliche Strategien der
Resilienz. Berufserfolg in der Migration. 304 Seiten, Brandes &
Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2011 EUR 30,80