FrühjahrFrühjahr 20112011:: KunstKunst

Einfach werden ist kompliziert

Schon als Miss.Tic 1972 auf einer Wand im 14. Arrondissement eines ihrer ersten Schablonenbilder hinterließ, funktionierte dieses als Einheit von Bild, Text und Signatur. Die allgegenwärtigen Motive der Werbung, und damit in erster Linie Frauen, werden in ihren Arbeiten mit wenigen, wohl gewählten und stets doppeldeutigen Worten in einen völlig neuen Kontext gesetzt und selbstbewusst mit der Signatur „Miss.Tic” versehen. Eine Signatur, die sich als das Einfordern von Anerkennung deuten lässt. Mir sechzehn verlässt die französische Künstlerin ihr Elternhaus und damit die Banlieue, schauspielert, kellnert und entdeckt schließlich Street Art. „Von Anfang an hatte ich eine Intention: Aufmerksamkeit zu erregen und anerkannt zu werden. Ich wollte von meiner Arbeit leben können — und mir einen Platz in der Kunstgeschichte erobern.” Beides ist ihr inzwischen gelungen. Schade ist jedoch die „ich halt mich aus allem raus” Haltung der Künstlerin, wenn es um die politische Interpretation ihrer Arbeiten geht, da gerät die Reaktion auf feministische Kritik schon zum gar pampig-dreisten Rundumschlag. Ein schön gestaltetes Büchlein, das einen guten Überblick über Miss.Tics Arbeiten verschafft, jedoch ein recht widersprüchliches Bild der Künstlerin hinterlässt. Lisbeth Blume
 
Bomb it, Miss.Tic! Mit der Graffiti-Künstlerin in Paris. Hg. von Jorinde Reznikoff /KP Flügel. 96 Seiten, Edition Nautilus, Hamburg 2011 EUR 12,40

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Queere Materialisierungen

Unter dem Titel „Double Sexus” stellte die Nationalgalerie Berlin im letzten Jahr Werke der kürzlich verstorbenen New Yorker Bildhauerin Louise Bourgeois (1911-2010) und des deutschen Künstlers Hans Bellmer (1902-1975) einander gegenüber. Mit ihren ambigen Körpern und Geschlechtsfragmenten bringen Bourgeois und Bellmer teils auf interessant ähnliche Weise eine doppelte Geschlechtlichkeit zum Ausdruck, die sexuelle Geschlechterrollen thematisiert und sie zugleich materiell auflöst. Besonders beeindruckend ist dabei, wie unbeschwert lustvoll diese Auflösung bei Bourgeois wirkt und mit welcher Ironie sie die Materialien für ihre Skulpturen auswählt. Der im Distanz-Verlag erschienene Ausstellungskatalog kommentiert deutsch- und englischsprachig Parallelen und Unterschiede in Werk und Leben der zwei KünstlerInnen. Als eine Gemeinsamkeit wird dabei die Auflehnung gegen den Vater beschrieben. Bellmers Widerstand richtet sich gegen konservative Familienwerte und die faschistische Engstirnigkeit des Vaters. Bourgeois' Serie „Destruction of the Father” setzt sich mit der Abwertung und Ignoranz auseinander, die sie als Mädchen von ihrem Vater erfahren hat. Abgerundet wird der sehr schön gestaltete Band mit Texten von Elfriede Jelinek und Henry Miller. Doris Allhutter
 
Hans Bellmer — Louise Bourgeois. Double Sexus. Hg. von Udo Kittelmann und Kyllikki Zacharias. 160 Seiten, Distanz Verlag, Berlin 2010 EUR 41,10

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Performing Gender

Der Sammelband erscheint begleitend zur Gender-Ringvorlesung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Der Fokus liegt auf Genderdimensionen in Auf- und Vorführungen. Die Bereiche, in denen solche gesucht werden, sind Musik, Theater/Tanz/Performance und Film, wobei der Musik mit vier von acht Beiträgen relativ viel Platz eingeräumt ist. Die Musikaufsätze umspannen daher auch ein breites Feld: Es geht um die Musikanalyse als „genderfreie” Wissenschaft, um als „männlich” definierte Performance von Aggression im Heavy Metal, um slowenischen Punk der 1980er Jahre und seine Rolle im Demokratisierungsprozess und um Volksmusik, genauer Geschlechterrollen(spiele) im Ausseerland. Auch der Theater-Teil beginnt mit Wissenschaftstheorie: hier werden die feministischen Performance Studies der Theaterwissenschaft gegenüber gestellt. Die anderen beiden Aufsätze von einer Tänzerin/Choreografin und einer Performerin beschäftigen sich mit praktischen Arbeiten. Der einzige Filmbeitrag untersucht die Wirkmächtigkeit von Whiteness. Auch wenn der Film und klassisches Theater ein wenig zu kurz kommen: Der Sammelband ist eine gute Zusammenschau, bei dem sowohl Wissenschaftstheorie und -kritik als auch interessante und außergewöhnliche Fallbeispiele enthalten sind. Irmgard Wutscher
 
Gender Performances. Wissen und Geschlecht in Musik, Theater, Film. Hg. von Andrea Ellmeier, Doris Ingrisch und Claudia Walkensteiner-Preschl. 184 Seiten, Böhlau, Wien 2011 EUR 24,90

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Träume ausschrägen Stoffen

Eine Gruppe von Frauen ist dabei, vier Tigern die schwarzen Streifen wieder am Fell zu befestigen, die wie zum Trocknen auf die dürren Äste morscher Baumreste gehängt sind. Realignement im übertragenen und im literarischen Wortsinn: Eine Neuordnung wird vorgenommen, die gleichzeitig ein Wiedermontieren der Linien ist. Amy Cutler spielt mit den Bedeutungen ihrer Titel: Auch Embargo meint sowohl die Gütersperre als auch das wörtliche zum-Schiff-Werden. Schiffgewordene Frauen starren sich an und scheinen mit stummem Vorwurf über die Meerestiere in ihren Netzen zu verhandeln. Die Malereien, Zeichnungen, Drucke und Installationen der US-amerikanischen Künstlerin wirken wie feministische Variationen von unangenehmen Kindermärchen. Frauen, die sich gegenseitig auf Elefantenfähren retten, eine andere, deren Körper ein Torso auf einem Ventilator ist; und alle scheinen ständig zu tun zu haben, sind fest konzentriert auf ihre nicht unbedingt auf den ersten Blick nachvollziehbaren Tätigkeiten: den Stoff eines Rockes untersuchen, eine Bergziege huckepack tragen, mit den Methoden eines Bibers Bäume fällen. Eingepackt sind die Bilder in teils indigenamerikanische, teils siebziger-Jahre-europäisch anmutende Stoffe und Muster, zu einer Endlosigkeit von schönen Kleidern vernäht, die in der Atmosphäre latenter Gewalt und innerer Unruhe etwas immens Vertrauenswürdiges ausstrahlen. Lisa Bolyos
 
Amy Cutler: Turtle Fur. Einführung von Laura Steward, Beiträge von Aimee Bender. 176 Seiten, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2011 EUR 40,90

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Female Pop Art

Die Ausstellung „Power Up Female Pop Art” in der Kunsthalle Wien sollte die „herausragenden Künstlerinnen neu entdecken” und die von Männern dominierte Kunstrichtung der Pop Art „einer Neuinterpretation unterziehen”. Ein ambitionierter Ansatz, dessen nachhaltiges Ergebnis, der Katalog zur Ausstellung, eher als „unverständlich” zu bezeichnen ist. Unverständlich sind vor allem die Texte des Katalogs, die nahezu alle in sperriger, mit Fachvokabular überladener Sprache verfasst sind. Die Abbildungen zu den Werken der sehr unterschiedlich arbeitenden Künstlerinnen Niki de Saint-Phalle, Sister Corita, Kiki Kogelnik, Evelyne Axell, Christa Dichgans, Jann Haworth, Marisol, Dorothy Iannone und Rosalyn Drexler wirken zusammenhanglos nebeneinander gestellt, ohne erkennbares inhaltliches Konzept. Der Qualität der starken, meist feministischen Aussagekraft ihrer Kunst tut dies jedoch keinen Abbruch, wenngleich keine_r der zehn Autor_innen des Kataloges es wagt, sie als solche zu beschreiben und einige lieber auf die Bezeichnung „protofeministisch” ausweichen. Sollte ein Katalog ein leicht handhabbares und lesbares Nachschlagewerk für Laien wie für Expert_innen sein, so ist dies trotz der großartigen Künstlerinnen und der qualitätsvollen Bilder leider nicht gelungen. Ein Einschreiben feministischkünstlerischer Positionen in den männlichen Kunstbetrieb gelingt so leider ebenso wenig. Petra Unger
 
Power Up Female Pop Art. Katalog zur Ausstellung. Kunsthalle Wien 5. November 2010 bis 8. März 2011. Hg. von Angela Stief. 288 Seiten, Dumont, Köln 2010 EUR 30,90

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Antiorientalistisch etiquettiert

„Solo für …” ist eine Reihe der deutschen ifaGalerien, in der Künstler_innen der frühen Jahre, die heute internationales Renommee genießen, noch einmal zu Einzelwerkschauen eingeladen werden. Die erste dieser Monographien ist der Installationskünstlerin Gülsün Karamustafa gewidmet. Ihr für die Ausstellung zentrales und titelgebendes Werk „Etiquette” baut auf einem 1923 publizierten Buch mit gleichem Namen auf, das Karamustafa im Antiquariat gefunden hat. Diese Publikation eines türkischen Autors ist eine Art Übernahme eines französischen Buches gleicher Machart: die westeuropäische „Etiquette” soll so in die türkische Übergangsgesellschaft übertragen werden (1923 wurde die Republik Türkei ausgerufen, die Ära des „Kemalismus” begann). Diese im Bürgerlichen angesiedelte „Sehnsucht nach Verwestlichung” nimmt Karamustafa zum Anlass für eine raumfüllende Installation, mittels derer sie darin enthaltene Inklusionen und Exklusionen untersucht und mit ihrer Kritik nicht in den 1920er Jahren stehen bleibt. Darüber hinaus gewährt der Katalog einen Überblick über Karamustafas Gesamtwerk, das sich zwischen feministischen, antiorientalistischen Positionen und Fragen der Migration bewegt. Ein simples, unaufdringliches Büchlein, gerade kitschig genug gestaltet von Phlippa Walz und Andreas Opiolka. Lisa Bolyos
 
Solo für … Gülsün Karamustafa: Etiquette. 84 Seiten, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2011 EUR 22,70

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Brüche im Bild

Ein überraschendes, volles Werk präsentiert der Jonas Verlag mit Viktoria Schmidt-Linsenhoffs „Ästhetik der Differenz”. In zwei grafisch ansprechenden Bänden (Texte und Abbildungen), die getrennt voneinander oder parallel lesbar sind, macht die Kunsthistorikerin anhand von Fallbeispielen Bruchlinien und Gegenströme zum eurozentristischen Blick in der Kunstproduktion vom 16. bis 21. Jahrhundert aus. Künstlerische Beispiele kolonialer Erfahrung von Seiten der Profiteur_innen werden in ihrer Widersprüchlichkeit analysiert und mit jeweils aktuellen Gegenpositionen aus der Erfahrung beziehungsweise Politisierung der Kolonisierten kontrastiert. Die Materialsammlung, die Schmidt-Linsenhoff betont professionell-subjektiv zusammengetragen hat, bestehend aus Bildern, „die mich faszinierten, weil sie den Paradigmen der postcolonial und gender studies, mit denen ich in Lehre und Forschung alltäglich beschäftigt war, auf eine unbestimmte, angenehme Art und Weise zu widersprechen schienen”, überlässt sie entsprechend kommentiert dem weiteren Gebrauch. Beeindruckend ist sowohl der Querblick durch die koloniale und antikoloniale Kunstgeschichte als auch die Aktualität der Debatte, die sich in klaren Positionen wie Lisl Pongers Arbeiten zum rassistischen Markenzeichen der Firma Meinl oder Iké Udés medienguerillaartigen „Covergirls” zeigt. Die Übernahme rassistischer Bezeichnungen im Text ist mehr als irritierend, der Verweis auf die Auseinandersetzung mit Schmidt-Linsenhoffs Student_innen und ihren Ansprüchen an die Dekonstruktion wiederum gibt Hoffnung auf produktive Debatten zwischen den wissenschaftlichen und aktivistischen Generationen. Lisa Bolyos
 
Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. bis 21. Jahrhundert. 1. Band: Texte, 369 Seiten, 2. Band: Abbildungen, 216 Seiten, Jonas Verlag, Marburg 2010 EUR 41,20

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Trickreiche Frauen

Zehn Jahre erfolgreiches Trickfilmfestival sind schon mal einen Festband wert. Und der ist jetzt beim filmaffinen Annette Schüren Verlag auch publiziert worden: Das Abfeiern der ungetricksten Erfolgsgeschichte wird weniger über die Geschichtsschreibung des Geburtstagskindes selbst, als über jene der großen Ladies des Animationsfilms begangen. Und wenn mensch auch gerne ein wenig mehr Einblick in den Festival-Backstagebereich gewonnen hätte, so ist es doch dankenswert, dass hier stattdessen ganz uneitel Filmherstory und -analyse betrieben wird. Neben Beiträgen zu den Ikonen der einen oder anderen Autorin gibt es (1) „Rückblicke” auf diverse Meilensteine der Animationsfilmgeschichte, (2) „Ausblicke” auf die Entwicklungen, die wir für die nächsten Jahre freudig erwarten dürfen und (3) „Durchblicke” in die Film produktion zu gewinnen. Und wenn Theorie und Geschichte durchgeackert sind, gibt es zum Lohn eine DVD mit ein paar Schmankerln aus 2011. Auf jeden Fall im nächsten Jahresbudget schon mal den Festivalpass einplanen! Lisa Bolyos
 
Tricky Women. Animationsfilmkunst von Frauen. Buch & DVD. Hg. von Birgitt Wagner und Waltraud Grausgruber. 176 Seiten, Schüren Verlag, Marburg 2011 EUR 25,60

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The Porn Identity

Großartig und mit spendablen Bildfolgen gezeichnet und in angemessen gold-schwarzem Schmuckdesign herausgegeben von der Edition Moderne ist das neue Buch von Jungstar Nine Antico: Zwei Ladies heuern als Fotomodelle für den Playboy an. Statt eines Vorstellungsgesprächs lädt ein erstaunlich wohlmeinender Hugh Hefner sie auf eine Zeitreise ein. Anhand der Geschichten der Pornofilmikonen Bettie Page und Linda Lovelace wird die Geschichte der Arbeitsbedingungen von Frauen in der frühen Pornoindustrie erzählt. An vielen Stellen gerät der Comic in seiner detailgetreuen Nachbildung so selbst zum Porno, aber die Perspektive von Hefner wird abgelöst durch die der Protagonistinnen, die tough, gewitzt und meistens im Recht erscheinen: beinahe post-porn also. Schräg wird die Story, wenn die unterschiedlichen Motive, aus den patriarchalen Verhältnissen der Pornofilmindustrie auszusteigen (Religion, Feminismus) gleichermaßen missionarisch und latent wahnsinnig daherkommen. Die eine wandelt betend durch regnerische Landschaften, die andere brüllt an der Seite Gloria Steinems haarsträubende Vergleiche ins noch zu moralisierende Plebs. Was bleibt, ist ein besorgter Hugh Hefner, dessen zeitreisende Geisterbahn sich als abgekartetes Spiel herausstellt, in dem er gemeinsam mit Bettie Page versucht, junge Frauen von der Pornoindustrie fernzuhalten — das wiederum lässt die angehenden Models ähnlich verwirrt zurück wie die Leserin. Lisa Bolyos
 
Nine Antico: Coney Island Baby. 232 Seiten, Edition Moderne, Zürich 2011 EUR 24,70

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