Die Zeiten, in denen die Strafverteidigerin Lena Bokken die
spannenden Fälle bekommen und diese auch noch mit Bravour gewonnen
hat, scheinen endgültig vorbei zu sein. Ein Fehler, den sie bei der
Lösung ihres letzten großen Falles begangen hat, hat sie nicht nur
ihren Hakama, sondern auch Karriere und Beziehung gekostet. Nun
beauftragt sie ihr Chef wieder mit einem Fall, den er für schon
gelöst hält. Aber in Lena erwacht erneut etwas von ihrer schon
verloren geglaubten Intuiton und sie beginnt zu recherchieren. Alte
Feinde tauchen plötzlich auf, Totgeglaubte leben ja bekanntlich
ohnehin länger und die beste Freundin des Mordopfers ist nicht nur
von der Unschuld der Hauptverdächtigen überzeugt, sondern auch noch
eine Frau zum Verlieben. Ein Wermutstropfen an Manuela Kucks neuem
Roman sind die vielen Männer in ihren machtvollen Positionen des
Chefs, des Aikido-Meisters, des Täters. Das besonders Schöne und
Genussvolle an Kucks Romanen sind die Frauenfiguren,
unterschiedlichste Frauen in unterschiedlichsten Rollen, Welten
voller Frauen. Trotzdem: einen Manuela-Kuck-Roman auslassen geht
sowieso nicht. Also kann eine für große Spannung und eine
sexy-coole Anwältin schon mal so ein paar nervige Typen ertragen.
Paula Bolyos
Manuela Kuck: Freispruch. Roman. 343 Seiten, Krug
und Schadenberg, Berlin 2010 EUR 17,40
Die Figuren dieser Lesben-Soap zwischen Buchdeckeln sind: Das
symbiotische Lesbenpaar, das offen lebende Traum-Lesbenpaar, die
Single-Lesbe der Sex-Parties, der Samenspender, die Transsexuelle,
die wunderschöne Türkin und die koksende Geschäftsfrau. Die
Geschichten dieser Protagonist_inn_en werden angereichert mit
Kinderwunsch, Schildkröte, Graffitti-Kunst und Bezügen zu realen
Lesbenwelten. Der Reigen beginnt munter, der Bauch wächst und
Ungewissheiten über Geschlecht, Begehren, Gefühle und Lebenswünsche
breiten sich aus. Zunehmendes Chaos und Verschachtelungen werden von
einem Spannungsbogen gut zusammen gehalten, sprachlich flüssig
müssen nur Klippen überstanden werden wie die „karibikwasserblaue
Iris, die schon so viele Herzen auf dem Gewissen hat”. Der erste
Roman der Mitherausgeberin von „Drag Kings. Mit Bartkleber gegen
das Patriarchat” erzählt von den kleinen und großen Dramen und
Fragen, wie sie sich in dieser und ähnlicher Weise wohl in vielen
Lesbenszenen finden lassen. Meike Lauggas
Tania Witte:
beziehungsweise liebe. Roman. 229 Seiten, Querverlag, Berlin 2011 EUR
15,40
Anis Welt liegt in Trümmern. Ihre Traumkarriere als Glaziologin,
ihre geliebte Heimat Alaska und ihre große Liebe Eve musste sie
wegen eines tragischen Vorfalls, an dem sie sich die Schuld gab,
fluchtartig verlassen. Ihr neu aufgebautes Leben in Florida führt
sie einsam und bereuend. Bis sie eines Tages — motiviert und
begleitet durch die Surferin Lisa — zurück nach Alaska fährt, um
ihrer Vergangenheit ins Auge zu sehen. Erstaunlicherweise schafft es
Kallmaker, diesen großen Trümmerhaufen in 300 Seiten aufzubauen und
zu bereinigen, so dass die Leserin ein wahrlich märchenhaftes
Happyend bekommt. Welche auf seichte Hollywood-Romantik steht, kommt
hier auf ihre Kosten — „Tanz auf dem Eis” ist eine nette,
romantische Unterhaltung, gespickt mit witzigen Dialogen,
sympathischen Lesben und Eindrücken des faszinierenden Eislandes
Alaska. Das kann angenehm, tröstend und befried(ig)end sein, was
auch in Ordnung ist. Doch wer etwas weniger vorhersehbare Plots,
etwas widersprüchliche Charaktere und etwas komplexere
Problemstellungen schätzt, sollte wohl doch zu einem anderen Buch
greifen. Rosa Costa
Karin Kallmaker: Tanz auf dem Eis. Roman.
Übersetzt von Gitta Büchner. 315 Seiten, Krug und Schadenberg,
Berlin 2010 EUR 23,60
Es macht wirklich Freude, diese zehnte Ausgabe von „Mein
lesbisches Auge” durchzublättern! Der Jubiläumsband widmet sich
diesmal den Themen: Coming-Out, Älterwerden, Butches, Clubs und Sex,
Tod und Crime, Kennenlernen und Trennung. Manches kommt eher hart
daher, anderes feinsinnig, witzig oder auch strange und verstörend.
Beeindruckend sind die wunderbaren stoffgeklebten Bildchen, eine
Inspiration für das einst verhasste Mädchenhandarbeiten.
Körperfotografien wie jene von Shilo Mc Cabe, Goodin Green oder
Caroline Juillard sind nicht nur beeindruckend schön, sondern rufen
Emotionen hervor, die eine mindestens solange bei den Bildern
verweilen lässt, bis sich die — je nachdem — erotisch oder sonst
gefühlvoll aufgeladene Stimmung gelegt hat, und sich frau wieder den
spannenden Texten widmen kann. Was in manchen „erotischen Blättern”
oft zu jugendlich und spritzig daher kommt und ein bisschen wie
Leistungsdruck für die durchschnittliche Couchpotato-Lesbe anmutet,
wird hier durchbrochen, manchmal mit schlaffer Haut, dann wieder mit
einem bezaubernden Lächeln oder auch mal mit einem grantigen Gesicht
… Lisa Frey & Karin Schönpflug Lesbenberatung Lila Tipp
Laura Méritt: Mein lesbisches Auge 10. 272 Seiten, Konkursbuch
Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 2011 EUR 15,00
Joey, Automechaniker in einer Kleinstadt, hat vieles: eine
Werkstatt, eine Mutter, die auf ihn schaut, viel Arbeit … und
plötzlich hat er auch ein Cello, das einer ihm als Bezahlung für
ein Auto anbietet. Joey hat manches nicht mehr, zum Beispiel eine
Frau, weil seine ihn verlassen hat, um mit einer Frau
zusammenzuleben, oder auch irgendeine Form von Lebenslust. Zumindest
diese Lebenslust soll er nun durch ein Hobby zurückgewinnen, findet
seine Mutter. Das ist der Ausgangspunkt eines berührenden Romans
über den Weg zurück ins Leben. Zuerst fiedelt Joey nur herum auf
dem Cello, dann sucht er eine Lehrerin, macht sogar ein bisschen
Urlaub in der nächsten Stadt, in der auch seine Exfrau Allyson mit
ihrer neuen Partnerin Kathleen lebt. Er lernt seine Nachbar_innen im
Motel kennen, hat Gefühle und Erlebnisse und Cello spielen lernt er
auch. Als Allyson und Kathleen ihm ein Angebot machen, wie sein Leben
mit ihrem verbunden bleiben könnte, eröffnen sich neue Wege für
alle. Was das Lesbische an diesem wunderschönen Roman sein soll,
darüber lässt sich viel nachdenken; für mich sind es neben der in
Kanada sehr bekannten Autorin auch kleine Nebenbemerkungen und
überraschende Perspektiven, die Platz schaffen für
unterschiedlichste Lebensentwürfe und neue Blicke auf Frauen,
Lesben, Männer und Schwule ermöglichen. Zu dieser Frage gibt es
übrigens auch ein
spannendes Interview mit der Übersetzerin und Verlegerin Andrea
Krug. Helga Widtmann
Yvan E. Coyote: Als das Cello
vom Himmel fiel. Roman. Übersetzt von Andrea Krug. 221 Seiten, Krug
und Schadenberg, Berlin 2011 EUR 20,50
Die Lesbenring-Aktivistinnen und Sprach- und
Literaturwissenschafterinnen Jule Blum und Elke Heinicke haben mit
der „Dreivariantencouch” einen zeitgeschichtlichen Roman
geschrieben, der für jüngere und ältere Leserinnen aus Nord und
Süd, Ost und West, dringend zu empfehlen ist. Clever und witzig
verweben sie die Gegenwart der drei Protagonistinnen Kerstin, Astrid
und Dorothea, in der sie sich um eine offene Mehrfach-Beziehung
bemühen, mit ihren Mädchenzeiten in Ost- und Westdeutschland. So
werden Brüche in der scheinbar nahtlos vereinten Gegenwart der
„beiden” Deutschlands sichtbar, die sich wie feine Haarrisse
durch die lesbischen Lebenswelten ziehen. Es erscheint, als ob sich
die Freuden in Mehrfachbeziehungen mit den Problematiken der
nationalen Vereinigung die Waage halten: Gefährden die
unterschiedlichen Herkünfte das Gelingen des polyamourösen
Abenteuers? Der Ausgang der mehrfachen Liebesverhältnisse in der
„Dreivariantencouch” wird hier nicht verraten, und die Leserin
selbst grübelt nach der spannenden Lektüre über eine dringend
gewünschte Fortsetzung: Wie gehts weiter mit Kerstin, Astrid und
Dorothea? Kann der erste Band zur Serie werden? Katharina Pewny
Jule Blum, Elke Heinicke: Dreivariantencouch. Roman. 319 Seiten,
Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 2011 EUR 10,20