Im ersten Teil dieses Buches geht Yvanka Raynova vier
verschiedenen philosophischen Forschungsfragen nach, im zweiten sind
neun Inter views mit feministischen Theoretikerinnen angefügt.
Zunächst arbeitet Raynova die Geschichte und wichtigsten
Definitionen von feministischer Philosophie in den USA und
„Westeuropa” heraus, danach geht sie Entwicklungen und Werken der
feministischen Philosophie in „Osteuropa” nach. Im dritten
Kapitel stellt sie die (durchaus kontroverse) These auf, dass es in
„Osteuropa” keine Frauenbewegungen gäbe — relativiert dies
dann allerdings für Ex-Jugoslawien und für Polen. Im vierten
Kapitel versucht sie Konflikte zwischen Forscherinnen aus „West”-
und „Osteuropa” mittels des „Dramadreiecks” aus der
Transaktionsanalyse zu analysieren. Leider sind die Interviews im
zweiten Teil aus den Jahren 1998 bis 2001. Da die Interviews mit
Herta Nagl-Docekal und Hedwig Meyer Wilmes vorwiegend inhaltliche
Fragen beantworten, spielt bei diesen das Alter weniger Rolle. Doch
die Antworten auf Fragen nach Strukturen und Institutionen sowie
wesentlichen bislang entstandenen Werken, die Theoretikerinnen aus
post-sozialistischen Ländern gestellt wurden, sind leider nicht mehr
aktuell. Die Autorin stellt wichtige Fragen und präsentiert
kontroverse, aber interessante Ansätze. Schade, dass eine
(partielle) Aktualisierung von Kapitel 2 in Teil 1 sowie der
Interviews ausgeblieben ist. Veronika Wöhrer
Yvanka B.
Raynova: Feministische Philosophie im europäischen Kontext.
Genderdebatten zwischen „Ost” und „West”. 273 Seiten, Böhlau
Verlag, Wien, Köln, Weimar 2010 EUR 39,—
Es ist eher ein Buch für wissenschaftliche ForscherInnen — für
Philosophie-, Literatur-, Sozial-HistorikerInnen, PädagogInnen und
KulturwissenschafterInnen — und handelt von „gelehrten
Frauenzimmern” im 18. Jahrhundert, d e r Zeit der philosophischen
Bildung von Frauen — so die Leitthese. Das erstaunt zunächst, ist
doch bekannt, dass die Aufklärer den Frauenzimmern Unbildbarkeit
attestierten beziehungsweise eine höhere Gelehrsamkeit zwecks
subordinierter Platzierung untersagten. Die hier eingenommene
Perspektive auf Philosophiegeschichte wendet sich gegen das übliche
Urteil der fehlenden Originalität und Fähigkeit weiblichen
Philosophierens und unterscheidet zwischen verschiedenen weiblichen
philosophischen Kompetenzen von bekannten und vergessenen Frauen: die
Leserin, die Schülerin, die das philosophische Wissen in den Alltag
Transformierende, die Vermittlerin übernommener Philosophien, die
Entwicklerin philosophischer Lehren, die diese in die Praxis umsetzte
und jene, die neue philosophische Erkenntnisse mit und ohne Hilfe
publizierten. Insbesondere die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts
begünstigte durch zunehmende Buchproduktion, abnehmende adelige
Privilegiertheit und entstehendes Bürgertum auch wachsende weibliche
Bildungsmöglichkeiten. Diese waren großteils, da der Zugang zu den
Hohen Schulen verwehrt war, abhängig von wohlwollenden Vätern,
Lehrern und Verlegern sowie der Organisation von
(Selbst)Bildungsräumen — den Salons. Auch der Bedeutung der noch
zu wenig erforschten Frauenstifte sowie der eigenständigen
philosophischen Arbeiten in dieser Zeit wird Rechnung getragen. Doch
mit zunehmender Machterweiterung des Bürgertums und damit der
Individualisierung der Bürgermänner werden Frauen zurechtgestutzt
auf häusliche Dienstbarkeit und wieder ausgeschlossen von
anspruchsvollen Bildungsräumen. Nebst dem, dass man sich solch
aufklärende und sich gegenseitig bildende Gesellschaftlichkeit in
unserer postaufklärerischen Zeit wieder wünschen würde, erinnern
die Lektüren an den Kampf von und für Frauen um Wissenszugang. Und
daran, dass Denken nicht nur selbst(bewusstseins)bildend, sondern
allgemein für eine ethische „Weltweisheit” notwendig ist. Birge
Krondorfer
Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der
Aufklärung. Hg. von Sabine Koloch. 315 Seiten, trafo
Wissenschaftsverlag, Berlin 2010 EUR 29,80