Zur Bedeutung der Kategorie „Geschlecht” im Strafrecht vereint
dieser Sammelband Beiträge aus verschiedenen
sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Dabei wird ein weiter Bogen
gespannt: Vom Vorkenntnisse fordernden Beitrag „Welchen Sinn hat
die Frage nach dem „Geschlecht” des Strafrechts?”, der diese
Kategorie überhaupt in Frage stellt, und einem Plädoyer für die
Intersektionalität bis mitunter etwas zusammengewürfelt
erscheinenden Texten zu spezifischen Thematiken wie Kindsmord,
Sexualstrafrecht, Strafvollzug ua. Dabei werden mitunter sehr
konkrete Fragestellungen, wie nach dem Bild der „ostdeutschen
Mutter” oder der Geschlechterpädagogik eines Frauengefängnisses
an Hand dessen Bibliotheksbestandes im Jahr 1928, aufgeworfen.
Durchgehendes Thema ist die Herausarbeitung eines Androzentrismus im
Strafrecht sowie einer Zuschreibungspraxis von stereotypen weiblichen
Eigenschaften. Diese führt zu negativer, aber auch (vermeintlich)
positiver Diskriminierung von Frauen. So wird zum Thema „Geschlecht
und Strafrecht im NS-Staat” aufschlussreich gezeigt, wie in der
Urteilspraxis auf Grund von Zuschreibungen eine Umdeutung der Rolle
von im Widerstand aktiven Frauen zu jener von „unpolitischen”
Gehilfinnen stattfand. Wiederholt wird auch die Verknüpfung von
strafrechtlich relevanten Sachverhalten mit „sexueller Devianz”
von Frauen problematisiert. Ergänzend zu dem — von den
Herausgeberinnen ursprünglich nicht intendierten Schwerpunkt auf
Untersuchungen zu Frauen — wird in einem Beitrag aufgezeigt, wie
„sexuelle Devianz” von jungen Männern in der Weimarer Republik
(erst) im Falle der Prostitution sanktioniert wurde. Insgesamt bietet
sich ein, mit wenigen Ausnahmen, auch ohne facheinschlägige
Kenntnisse lesbarer, sehr breit angelegter Band, der von den
Herausgeberinnen selbst erst als Ansatz zu einer differenzierteren
Forschung gesehen wird. Petra Streithofer
Hat Strafrecht ein
Geschlecht? Zur Deutung und Bedeutung der Kategorie Geschlecht in
strafrechtlichen Diskursen vom 18. Jahrhundert bis heute. Hg. von
Gaby Temme und Christine Künzel. 278 Seiten, transcript, Bielefeld
2010 EUR 27,80