FrühjahrFrühjahr 20112011:: RechtRecht

Hat Strafrecht ein Geschlecht?

Zur Bedeutung der Kategorie „Geschlecht” im Strafrecht vereint dieser Sammelband Beiträge aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Dabei wird ein weiter Bogen gespannt: Vom Vorkenntnisse fordernden Beitrag „Welchen Sinn hat die Frage nach dem „Geschlecht” des Strafrechts?”, der diese Kategorie überhaupt in Frage stellt, und einem Plädoyer für die Intersektionalität bis mitunter etwas zusammengewürfelt erscheinenden Texten zu spezifischen Thematiken wie Kindsmord, Sexualstrafrecht, Strafvollzug ua. Dabei werden mitunter sehr konkrete Fragestellungen, wie nach dem Bild der „ostdeutschen Mutter” oder der Geschlechterpädagogik eines Frauengefängnisses an Hand dessen Bibliotheksbestandes im Jahr 1928, aufgeworfen. Durchgehendes Thema ist die Herausarbeitung eines Androzentrismus im Strafrecht sowie einer Zuschreibungspraxis von stereotypen weiblichen Eigenschaften. Diese führt zu negativer, aber auch (vermeintlich) positiver Diskriminierung von Frauen. So wird zum Thema „Geschlecht und Strafrecht im NS-Staat” aufschlussreich gezeigt, wie in der Urteilspraxis auf Grund von Zuschreibungen eine Umdeutung der Rolle von im Widerstand aktiven Frauen zu jener von „unpolitischen” Gehilfinnen stattfand. Wiederholt wird auch die Verknüpfung von strafrechtlich relevanten Sachverhalten mit „sexueller Devianz” von Frauen problematisiert. Ergänzend zu dem — von den Herausgeberinnen ursprünglich nicht intendierten Schwerpunkt auf Untersuchungen zu Frauen — wird in einem Beitrag aufgezeigt, wie „sexuelle Devianz” von jungen Männern in der Weimarer Republik (erst) im Falle der Prostitution sanktioniert wurde. Insgesamt bietet sich ein, mit wenigen Ausnahmen, auch ohne facheinschlägige Kenntnisse lesbarer, sehr breit angelegter Band, der von den Herausgeberinnen selbst erst als Ansatz zu einer differenzierteren Forschung gesehen wird. Petra Streithofer
 
Hat Strafrecht ein Geschlecht? Zur Deutung und Bedeutung der Kategorie Geschlecht in strafrechtlichen Diskursen vom 18. Jahrhundert bis heute. Hg. von Gaby Temme und Christine Künzel. 278 Seiten, transcript, Bielefeld 2010 EUR 27,80

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