GeschichteAktuelle Ausgabe: Geschichte

„Volksgenossenschaft“ und „Trümmerfrauen“

Nicole Kramer entwickelt in ihrem Buch eine neue Perspektive auf die breite Mobilisierung deutscher Frauen als Unterstützerinnen der NationalsozialistInnen. Als Grundlage zieht sie umfangreiche Quellen heran, wie beispielsweise eine Großstudie des amerikanischen Militärs aus dem Jahr 1945. Die meisten der damals Befragten hatten positive Erinnerungen an das NS-Regime (insbesondere an wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen). Die Autorin trennt klar die Rolle der Frauen an der „Heimatfront“ von den Mythen über die „Trümmerfrauen“ und dem Kampf ums Überleben in den unmittelbaren Nachkriegsjahren. Gut herausgearbeitet wird der Kontrast der friedfertigen „Trümmerfrau“ als Idealbild zur Mittäterschaft vieler ehemaliger „Volksgenossinnen“. Es gab keine Minderheit von Täterinnen, die aktiv am nationalsozialistischen Regime beteiligt war, und auf der anderen Seite die breite, angeblich private und nach innen gerichtete weibliche Zivilbevölkerung bzw. „die guten Frauen“ und den „Krieg der Männer“. Im Gegensatz zu Götz Aly (Hitlers Volksstaat, Frankfurt/M. 2005) sieht Kramer die nationalsozialistische Sozialpolitik eher im Hinblick auf ihre Rolle der Disziplinierung. Sie zeigt erfolgreich, dass die deutschen „Volksgenossinnen“ nicht nur passiv den Krieg ertrugen, sondern auch aktiv versuchten, ihre eigene Rolle innerhalb dessen zu gestalten. Beispielsweise sei die „Einsatzbereitschaft” der Frauen am stärksten bei der Unterstützung der Männer an der Front gewesen. Angela H. Mayer
 
Nicole Kramer: Volksgenossinnen an der Heimatfront. Mobilisierung, Verhalten, Erinnerung. 392 Seiten, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011 EUR 56,50

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It-Girls der 1920er Jahre

In den 1920er Jahren erobert ein neuer Typ von Frau die Großstädte der USA und Europas. Jung, dynamisch, kurzer Rock, Bubikopf, eine Zigarette im Mundwinkel. Hungrig nach Abenteuer, Selbstbestimmung in Beruf und Privatleben, möglichst ausgefallener sportlicher Betätigung, wie Skilaufen, Bergsteigen oder Fliegen. Sie wollten einfach „Glanz” (Irmtraud Keun: Das kunstseidene Mädchen). Ihre Berufe waren Modeverkäuferin, Stenotypistin, Sekretärin, ihr wahrer Berufswunsch war – Filmvamp. Flappers nannte man sie in den USA. Sehr junge Mädchen, die mit einer Mischung aus Kindlichkeit und Ausschweifung gegen gesellschaftliche Regeln verstießen. Mehr Wunsch als Wirklichkeit für die allermeisten jungen Frauen, die ein ganz anderes Leben führen wollten als ihre Mütter. Aber ihre Träume wurden durch Filme und Romane befriedigt und sowohl die Romane als auch die Filme waren ein Riesenerfolg. Die Autorinnen haben in dem Sammelband „City Girls, Bubiköpfe und Blaustrümpfe in den 20iger Jahren“ in bemerkenswerten Aufsätzen die Vielschichtigkeit dieses Phänomens aufgezeigt, die Anziehungskraft, aber auch das Scheitern dieses Lebensstils in den beginnenden 1930er Jahren. Trotzdem hat dieses Phänomen aber bis heute kaum etwas von seiner Faszination verloren. Anita Pirker
 
City Girls. Bubiköpfe und Blaustrümpfe in den 20iger Jahren. Hg. von Julia Freytag und Alexandra Tacke. 227 Seiten, Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien 2011 EUR 30,80

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Geschlecht-(d)erRevolution 1848

Die Soziologin und Literaturhistorikerin Jenny Warnecke hat ein Buch über einen von Louise Aston im Jahr 1849 erschienenen Roman geschrieben. Und sie hat den Roman, der sich die Verteidigung der europäischen Revolution von 1848 und eine Revolutionierung der Geschlechterverhältnisse auf die Fahnen schreibt, sorgsam neu ediert und mit umfänglichen „Nachbemerkungen“ zu Inhalt, Editionsgeschichte, literarischen Techniken und zum historischem Kontext versehen. In ihrem eigenen Buch beschäftigt sich Warnecke insbesondere mit den Zusammenhängen von Revolution und Geschlechterkampf. Sie lässt zentrale Ergebnisse einer breit gefächerten Forschung Revue passieren, wenn sie beispielsweise die politischen und privaten Handlungsspielräume von Frauen und Männern unterschiedlicher Standes- und Klassenzugehörigkeit im Vormärz und in der Revolutionszeit beschreibt. In der Regel sind diese Ausführungen nahtlos mit der literarischen Analyse verflochten. Hier geht es um Astons literarische Vorbilder und Anleihen – darunter die Schriften von George Sand – ebenso wie um das, was Astons Roman gegenüber anderen revolutionären Frauenromanen der Epoche auszeichnet. Der Text wird als Louise Astons „politisches Tagebuch“ dechiffriert, als Instrument politischer Intervention und Medium der Teilhabe an Revolution und Kampf gegen die Konterrevolution gelesen und als Astons literarische Verarbeitung der eigenen Biografie und der Erfahrungen anderer Frauen interpretiert. Die literarischen Techniken erscheinen als Produkt der Zeit und Ausdruck von Astons Besonderheit, und natürlich beschäftigt sich Warnecke mit der zeitgenössischen Rezeption und den zentralen Topoi des Romans. „Revolution und Contrerevolution“ selbst mag als zeithistorisches Dokument über 1848 und eine versuchte Revolution der Geschlechterverhältnisse beeindrucken. Dass der Roman nun in einer vorbildlichen Neuedition vorliegt, werden Forscher_innen und andere Interessierte zu schätzen wissen. Als Lektüre wirkt das Buch ungeachtet seiner Radikalität und Freizügigkeit aber eher einschläfernd. Auch Warnecke beurteilt die literarische Qualität zurückhaltend – und betont, dass vieles davon Widerschein von zeitgenössischen literarischen Konventionen sei. Warneckes eigene literaturwissenschaftlich vergleichende, biografische und historischkontextuelle Analyse des Textes aber ist beeindruckend. Die sorgfältige und gekonnte Verbindung dieser Analyseebenen stellt eine der herausragenden Stärken der Arbeit dar. Gemessen daran fallen so manch apodiktisches Statement, ein oft unfrei erscheinender, stark nacherzählender Umgang mit der verwendeten Literatur sowie regelmäßige kleinere sprachliche Fauxpas nur als kleine Wermutstropfen ins Gewicht. Wer sich in die Atmosphäre und politische Dynamik der Revolutionszeit hineinlesen und die erstaunliche Bandbreite und Offenheit von Geschlechterdiskurs und Geschlechterauseinandersetzung im Augenblick des revolutionären Aufruhrs kennenlernen möchte, findet in Jenny Warnecke eine ebenso verlässliche wie kompetente und gewandte Führerin. Susan Zimmermann
 
Jenny Warnecke: Frauen im Strudel gewaltiger Thaten. Louise Astons „Revolution und Contrerevolution“ 1849. Vergleichende literarisch-historische Analyse. 293 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2011 EUR 30,80
 
Louise Aston: Revolution und Contrerevolution [1849]. Hg. von Jenny Warnecke. Edition Klassikerinnen. 256 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2011 EUR 30,80
 
Nicole Kramer: Volksgenossinnen an der Heimatfront. Mobilisierung, Verhalten, Erinnerung. 392 Seiten, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011 EUR 56,50

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Von „Material Girls“ und „Transvestiten“

Die Geschichte des deutschen Kinos ist untrennbar mit den Filmstudios in Potsdam-Babelsberg verbunden. 1912 wurden die Filmateliers in Betrieb genommen, in denen erstmals in Deutschland Großproduktionen möglich wurden. Zum 100-jährigen Jubiläum widmet sich der vorliegende Band jenen Frauen, die die deutsche Filmindustrie vor und hinter der Kamera entscheidend mitgeprägt haben: Schauspielerinnen, Regisseurinnen, Kostümbildnerinnen, Filmausstatterinnen, Schnittmeisterinnen. Porträtiert werden u.a. Asta Nielsen, der dänische Superstar der StummfilmÄra, Thea von Harbou, deren Romane die Grundlage für zahlreiche Klassiker des frühen deutschen Kinos waren, Zarah Leander, die als „heimlich transvestitische Damendarstellerin“ die herrschende Geschlechterordnung unterlief und zugleich bestätigte, Marlene Dietrich, berühmt durch ihre Rolle als das „Material Girl“ Lola Lola im Film „Der blaue Engel“, oder Hildegard Knef, der erste deutsche Filmstar der Nachkriegszeit, mit dem der Makel der nationalsozialistischen Vergangenheit abgeschüttelt werden sollte. Kooperation mit den Nazis lässt sich in zahlreichen der hier gefeatureten Biografien finden – nicht nur bei Leni Riefenstahl, die mit ihren Bildern für die faschistische Propaganda streitbare Berühmtheit erlangte. Auch nach 1945 stand Babelsberg im Dienste politischer Interessen, als die DEFA, das Filmunternehmen der DDR, in die Filmateliers kam und neue Gesichter wie Jutta Hoffmann oder Angelica Domröse hervorbrachte. Entlang der 18 Porträts bietet der Band einen kompakten Einstieg in die deutsche Filmgeschichte, mit kritischem Blick auf die Geschlechterverhältnisse von einst und heute. Vina Yun
 
Daniela Sannwald und Christina Tilmann: Die Frauen von Babelsberg. Lebensbilder aus 100 Jahren Filmgeschichte. 128 Seiten, edition ebersbach, Berlin 2012 EUR 20,40

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