Eurana Park, 1982. Drei Mädchen in Badeanzügen
sind voll mit Eissschlecken beschäftigt.
Nur eine macht eine kurze Pause, um zu posieren.
Die Szene lässt die ganze konzentrierte Wichtigkeit
des Kindersommers nachfühlen: Baden, Eiscreme,
Freund_innen. Wie ein Still aus einem Film, den
frau sich anschauen möchte. Zweimal umgeblättert:
Eine junge Frau schaut in spitzem Winkel an der
Kamera vorbei. Ihre Brille würde heute in jedem
Retrogeschäft zwischen Mazzesinsel und Ottakring
ein Verkaufsschlager sein.
Für Detailverliebte ist jedes einzelne Bild von Judith
Joy Ross ein gefundenes Fressen: die überkreuzten
Füße und die eingerollten Kinderfinger
des Mädchens auf Seite 67, das mit seiner Gang auf
der Straße steht wie die Gewinner_innen der Miniplaybackshow;
die Schmuckpistole um den Hals
eines Mannes, der liebevoll eng mit einem kleinen
Kind nach irgendetwas Ausschau zu halten
scheint; das sicher abgestellte BMX, auf dem eine_r
die ersten Stunts übt. Und riesige Sportschuhe an
ungelenken Teeniefüßen auf dem Bild Schulfreunde,
auf dem sich zwei über gemeinsame
Bücher lehnen.
Eurana Park, 1982, gilt als Beginn der Porträtserien
der Fotografin Judith Joy Ross, die, 1946 geboren,
in Pennsylvania lebt und arbeitet, wo sie unter
anderem im Jahr 2000 mit dem vielsagenden
Anonymous was a Woman-Award ausgezeichnet
wurde.
Lisa Bolyos
Judith Joy Ross: Photographien/Photographs. Hg.
von Die Photographische Sammlung SK/Stiftung Kultur. 144
Seiten, 85 Abbildungen, Schirmer Mosel Verlag, München
2011 EUR 41,
Virginia Woolf sitzt nachdenklich in ihrem Arbeitszimmer,
ein aufgeschlagenes Buch im
Schoß, in der rechten Hand eine Zigarette auf einer
langen eleganten Spitze. Das Foto von Gisèle
Freund ist sicherlich eines der Highlights im Bildband
Rauchende Frauen. Sandra Danicke versammelt
hier (leider völlig willkürlich angeordnete)
Abbildungen verschiedener Kunstepochen und
-stile, die in allerlei Kontexten rauchende Frauen
zeigen: Mal geht es um eine gewisse Erotik, die von
rauchenden Frauen angeblich ausgeht, mal um deren
Gefährlichkeit, Exotik, Aufmüpfigkeit Eigenschaften,
die ihnen lange zugeschrieben wurden,
galt das Rauchen doch bis weit in die 1970er Jahre
hinein als unweiblich. Toll sind deshalb v.a. jene
Fotoarbeiten, in denen genau das inszeniert wird,
wie etwa Valie Exports Selbstporträt mit der zum eigenen
Logo umgestalteten Smart-Packung oder
das Posing der Schwestern Hanna und Klara Lidén
auf einer Baustelle. Oder Sarah Lucas, die sich
selbst qualmend und denkend auf dem Bett liegend
fotografiert, im Stil eines 68er-Bohème-Jünglings.
Schade, dass das mit dem Selbstporträt Ich und
meine Papageien von Frida Kahlo schon alle
Künstlerinnen sind, die neben 21 Männern in den
Band aufgenommen wurden. Die Begleittexte von
Danicke sind zwar stellenweise kritisch, wenn es
um den männlichen Blick auf die rauchenden Frauen
geht eine gründlichere Reflexion darüber hätte
aber nicht geschadet.
Sylvia Köchl
Sandra Danicke: Rauchende Frauen brandgefährlich.
Bildband. 64 Seiten, Belser Verlag, Stuttgart 2011
EUR 15,40
Wieder einmal wurde eine Monographie publiziert,
die es schafft, eine Malerin nicht nur
zu loben und zu preisen, sondern auch, ihr kaum
zu fassendes Werk fassbar zu machen. Das Werk
einer, die malen gelernt hat, Schritt für Schritt und
scheinbar mit der notwendigen Geduld (wobei
das auch eine unzulässige Interpretation sein kann
nicht zu sehen sind schließlich die vielen weggeworfenen
Skizzen und Nerven). Eine akademische
Ausbildung, die sich ausgezahlt hat. Nicht
nur Techniken beherrscht Kuhn, von denen die
Rezensentin höchstens vage träumen kann, sondern,
sie anzuwenden, um mehr noch als Dreidimensionalität
in die Szenerie zu bringen. Auch die
vierte Dimension, die Zeit, wird offensichtlich.
Das Warten in den Gesichtern auf das, was vielleicht
kommt, das Sich-Erinnern an etwas, das
einmal war, das Bist dus bald? der posierenden
Models im Fauteuil und am roten Sofa. Später
kommt hinzu, was gemeinhin Landschaften genannt
wird, aber es ist mehr als das. Blicke wie aus
dem Flugzeug, aus dem im Stau steckenden Auto,
aus dem Zimmer hinaus über die Stadt, abends,
morgens, oder in der stehenden Hitze des kalifornischen
Mittags. Es ist alles so wie es ausschaut,
und nicht so wie es ist. Es ist das Erleben mehr
als das Wissen, das Kuhn abzubilden vermag.
Durch Stadt- und Landschaften gehend wird frau
sich nach der Begegnung mit dieser Kunst der
Darstellung denken: Schön ist es hier, aber wie
schön wäre es erst, wenn Rosina Kuhn es gemalt
hätte.
Lisa Bolyos
Rosina Kuhn: Ein Leben lang Malerin. Hg. von Guido
Magnaguagno. 204 Seiten, 120 Abbildungen, Benteli Verlag,
Bern 2011 EUR 55,50
The Helsinki School A Female View ist der
inzwischen vierte Band einer Reihe von Publikationen
der Aalto University School of Art and Design.
Diese international renommierte Uni für Design,
Film, neue Medien, audiovisuelle Kommunikation,
Kunstunterricht und Kunst positioniert sich
mit dem Konzept der Helsinki School im Bereich
Fotografie und Video. Dabei geht es um die spezielle
Herangehensweise in der universitären Lehre,
die jeder Generation die Chance geben soll, sich
selbst zu erfinden und die Kamera dabei als konzeptionelles
Tool zu verwenden.
Der vorliegende Band trägt den Zusatz A Female
View, was heißt, dass 22 Fotografinnen Raum gegeben
wird, um ihre Werke zu präsentieren. Es
wird dabei sehr schnell klar, dass von einer weiblichen
Sicht keine Rede sein kann. Jede Künstlerin
hat ihren ganz eigenen Stil, ihre individuellen Techniken
und Blickwinkel. Das reicht von wunderbaren
Porträts (Nelli Palomäki) über kaleidoskopartige
Architekturaufnahmen (Nanna Hänninen)
und großartige Installationen von Vintage-Kleidungsstücken
in der Natur (Riitta Päiväläinen) bis
zu Fotografien im Stil traditioneller chinesischer
Landschaftsmalerei (Sandra Kantanen). Ein schön
ausgestatteter Band, der inspiriert.
ESt
The Helsinki School. Vol. 4. A Female View. Hg. von
Aalto University School of Art and Design. 188 Seiten. Hatje
Cantz Verlag, Ostfildern 2011 EUR 40,90