Christa Wolf
18.3.1929 ? 1.12.2011Der Himmel teilt sich zuallererst
Ihr letzter großer Roman war ein ehrliches, persönliches und berührendes Vermächtnis. Stadt der Engel erschien 2010 und war eine besondere Herausforderung: Es ging um nichts Geringeres als die literarische Aufarbeitung ihres eigenen Lebens, ihre politischen Einstellungen im sich stark verändernden Lichte der Geschichte. Sie musste und wollte sich rechtfertigen gegen Anfeindungen wegen ihrer DDR-Vergangenheit.
Christa Wolf wurde 1929 in Landsburg, im heutigen Polen, geboren. Sie war zwanzig Jahre jung, als die DDR gegründet wurde, war eine von vielen jungen, überzeugten SozialistInnen, die nach einer Kindheit im Faschismus mit voller Kraft an einer besseren Welt arbeiten wollten. Doch schon in ihrem ersten Roman Der geteilte Himmel (1963) waren Zweifel und Widersprüche spürbar, ob das deutsche Modell inklusive Mauerbau der richtige Weg sein könne. Den Himmel wenigstens können sie nicht zerteilen, sagt Manfred im Roman. Dieses ganze Gewölbe von Hoffnung und Sehnsucht. Seine junge Frau Rita erwidert: Doch. Der Himmel teilt sich zuallererst.
Als 1993 bekannt wurde, dass ausgerechnet Christa Wolf, die Mahnerin für Frieden und Gerechtigkeit, jahrelang Gesellschaftliche Mitarbeiterin der Stasi gewesen sein soll, war die Entrüstung groß.
Aus der Ende der 1980er Jahre noch als Nobelpreiskandidatin gehandelten Autorin war plötzlich eine Staatsdichterin der DDR geworden. Christa Wolfs Erklärung und Entschuldigung für ihre StasiVergangenheit klang wenig überzeugend und war kaum geeignet, das Feuilleton zu besänftigen: Sie habe das schlichtweg vergessen. Viele Jahre, immer wieder unterbrochen durch Krankheiten, arbeitete sie an ihrem letzen Roman Stadt der Engel, darin wollte sie sich erklären, zeichnet ein sehr differenziertes Bild der DDR. Sie beschreibt ebenso persönlich die Zeit der Enthüllung, die Anfeindungen und Verletzungen. Es wird mir die Haut abgezogen, sie wollen wissen, was darunter ist, und finden wie bei einem gewöhnlichen Menschen Muskeln Sehnen Knochen Adern Blut Herz Magen Leber Milz. Sie sind enttäuscht, sie hatten auf die Innereien eines Monsters gehofft.
Und immer im Mittelpunkt die quälende Frage: Wie konnte ich das vergessen? Selbst erschrocken von der Fremde in mir versucht sie, ihr PatchworkLeben zusammenzuheften, merkt selbst wie unglaubwürdig das klang: vergessen. Ich schäme mich schreibt Christa Wolf und die Leserin spürt, wie schwer ihr diese Selbstentblößung fallen muss. Jede Zeile, die ich jetzt noch schreibe, wird gegen mich verwendet werden. Sie hat nicht nur einmal darum gebeten, doch in erster Linie ihr Werk zu beurteilen.
Die deutsche Schriftstellerin Christa Wolf ist am 1. Dezember 2011 mit 82 Jahren in Berlin gestorben. Ihr literarisches Vermächtnis ist großartig und bleibt, wenn die Diskussionen um ihre politische Vergangenheit längst verstummt sind. Ihre Werke sind weit über den deutschen Sprachraum von Bedeutung und wurden in vierzig Sprachen übersetzt. Es rast auf ein ungutes Ende zu…
Die sozialistische Utopie, an der Christa Wolf als junge Frau teilhaben wollte, platzte nicht plötzlich und unerwartet, sondern der Untergang hatte sich lange angekündigt. Als politische Schriftstellerin hatte sie das früh erfasst. Waren erste Zweifel schon in Der geteilte Himmel spürbar, notierte sie 1968 in ihr Tagebuch: Es rast auf ein ungutes Ende zu …. 1983 versteckte sie in Kassandra eine Botschaft, die die Zensur offenbar nicht verstanden hat: Troja muss untergehen. Wenn ihr aufhörn könnt zu siegen, wird diese eure Stadt bestehn, lässt sie die Seherin sagen.
Kassandra ist in mehrfacher Hinsicht ein zentrales Buch vor allem für die Frauen- und Friedensbewegung. Christa Wolf selbst hatte diese beiden Aspekte im Blick, wie sie bei einer Rede 1997 erklärte: Die Frage, die ich mir stellte, als ich mich dem Kassandra-Stoff näherte das war zu Beginn der achtziger Jahre, zu beiden Seiten der deutschdeutschen Grenze wurden Mittelstreckenraketen aufgestellt (…): Wann und wodurch ist dieser selbstzerstörerische Zug in das abendländische Denken, in die abendländische Praxis gekommen? Zudem war es ihr wichtig zu betonen, dass das, was wir durch die männliche Überlieferung erfahren haben, nicht zwingend ,die Wahrheit‘ sein muß. Sie wollte sich den Ereignissen aus der Sicht starker Frauenfiguren nähern, als Literatin Szenarien entwickeln, die jene weiblichen Welten, die in historischen Überlieferungen gerne unter den Teppich gekehrt werden, in den Mittelpunkt stellen.
In ihren Romanen und Erzählungen nahm Christa Wolf immer Bezug auf gesellschaftliche, politische Befindlichkeiten, auf aktuelle Ereignisse. Die Menschen, ihre subjektiven Sichtweisen dieser Ereignisse, waren das Leitmotiv. Auch die Autorin war stets präsent, weshalb ihr oft eine persönliche Interpretation ihrer Werke abverlangt wurde was sie nur sehr ungern tat. Denn bei allen autobiografischen Anhaltspunkten schuf sie doch immer literarische Fiktion, ein Kunstwerk.
Es war ihre schriftstellerische Haltung, das Politische auf das Private/Persönliche herunterzubrechen. Sie selbst bezeichnete das als subjektive Authentizität eine kleine Revolution in der Literatur der DDR, wo das Kollektiv über allem stand.
Die Verhandlung gesellschaftlicher Umbrüche am Subjekt macht ihre Werke zeitlos. 1987 veröffentlichte sie Störfall, in dem die Tage nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl beschrieben werden, parallel zu einem persönlichen Störfall: der lebensgefährlichen Operation des Bruders der Protagonistin. Nicht umsonst wurde Christa Wolf in den Tagen nach der Fukushima-Katastrophe in Japan im Vorjahr um Interviews gebeten, sie hatte die wichtigsten Fragen, die sich aus so einem Störfall für Gesellschaft und Leben ergeben, bereits 1987 verhandelt. Doch aus irgendwelchen Gründen stehe der Glaube, daß es für alles und jedes eine technische Lösung gibt, immer wieder auf.
Christa Wolf erhielt für ihr literarisches Schaffen zahlreiche Preise und Auszeichnungen, darunter 1980 den Georg-Büchner-Preis, 1985 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur und 2002 den Deutschen Bücherpreis für ihr Lebenswerk. Wenn wir Christa Wolf einen letzen Wunsch erfüllen wollen, dann ist das jener, sie als Schriftstellerin in Erinnerung zu behalten, ihre großartige Literatur zu würdigen und weiterhin die großen Fragen der Menschheit zu behandeln, dem Subjekt verpflichtet. Ihre letzten Worte in Störfall: Wie schwer würde es sein, von dieser Erde Abschied zu nehmen.