Als sozialwissenschaftlich Forschende und im
achten Monat Schwangere gleich einen ganzen
Sammelband zur Soziologie der Geburt zu lesen
ist ein etwas zwiespältiges Erlebnis, soviel sei vorab
verraten. Damit ist auch gleich jene Ich-Perspektive
in diese Buchbesprechung eingeführt, die im Orchester
der einander sonst recht gut ergänzenden
Beiträge fehlt. Die Lektüre fiel also durchaus dornig
aus, auch weil die Aufsätze gründlich mit terminologischer
und analytischer Munition bewehrt sind
und sich dem Thema der Geburt als Prozess und
Praxis, als Handlung und Erfahrung, als Diskurs
und Dispositiv mitunter über Umwege widmen;
das gegenwärtig Gängige wird vielfach indirekt
durch die Dekonstruktion von Sondersituationen
wie die filmische Darstellung von Leihmutterschaft,
die mediale Darstellung hirntoter Schwangerer
oder den Beginn akademischer Geburtshilfe um
1800 beleuchtet. Umgekehrt überraschten mich
aber die unerwartet interessanten und grundlegenden
sozial- und kulturwissenschaftlichen Aussagen,
die weit über Geburt als Spezialthema hinausreichen,
positiv. So ist gleich der erste Beitrag von Joachim
Fischer eine lesenswerte Einführung in die
philosophische Anthropologie, die sich mutig einer
Versöhnung biologischer und sozial-konstruktivistischer
Interpretationsansätze stellt. Maya Nadig
gelingt es, aus ethnopsychoanalytischer wie gesellschaftstheoretischer
Perspektive unterschiedliche
Geburtsrituale vergleichend zu analysieren ohne
der Geburt allen Zauber entreißen zu müssen.
Dorothea Tegethoffs Aufsatz steuert wiederum einen
Einblick in Geburtsszenarien in Krankenhäusern
bei, die so erfahre ich von Anita Kottwitz
und KollegInnen die weitaus häufigere Geburtssituation
(98%) in Deutschland darstellen. Mein
Lektüre-Vorschlag: alle Texte in Folge im Lesekreis
mit Diskussion.
Karen Kastenhofer
Soziologie der Geburt. Diskurse, Praktiken und Perspektiven.
Hg. von Paula-Irene Villa, Stephan Moebius und Barbara
Thiessen. 243 Seiten, Campus, Frankfurt/M.-New York
2011 EUR 30,80
In ihrer theoretisch wie empirisch anspruchsvollen
Studie beschreibt die Soziologin Stephanie
Steinmetz nicht nur die horizontale und
vertikale Segregation und deren Entwicklung in 21
Mitgliedsstaaten der EU in der Zeit von 1995 bis
2004. An diesem Thema Interessierte finden einen
umfassenden Überblick über die unterschiedliche
länderspezifische Entwicklung der beruflichen Geschlechtersegregation.
Mittels der Analyse auf Basis
einzelner Indikatoren können die Stabilität der Segregation
im Zeitraum und das länderspezifisch unterschiedliche
Ausmaß gezeigt werden. Darüber
hinaus sucht die Autorin basierend auf Modellen
der Mehrebenenanalyse auch die Unterschiede in
der Segregation der einzelnen Staaten zu erklären.
Als Konsequenz aus einer kritischen Darstellung
bisheriger Ansätze und deren Grenzen der Erklärung
beruflicher Geschlechtersegregation geht
sie davon aus, dass es notwendig ist, Faktoren auf
der Mikro- wie Makroebene zu kombinieren, um
die komplexen Prozesse, die den nationalen Unterschieden
zugrunde liegen, zu verstehen. In einem
breiteren theoretischen Rahmen versucht sie, die
Verbindung der individuellen Faktoren mit der Rolle
institutioneller Determinanten wie der Bildungssysteme,
der postindustriellen Entwicklung, der Familienpolitik
und der Geschlechterkulturen in
ihrem Einfluss auf Segregationsprozesse zu klären.
Die Folgerung für die Beseitigung der Ungleichheit
zwischen den Geschlechtern ist, dass angesichts der
Komplexität des Phänomens neben weiterer Forschung
politische Maßnahmen nicht isoliert, sondern
nur vernetzt dauerhafte Ergebnisse bringen.
Eva Cyba
Stephanie Steinmetz: The Contextual Challenges
of Occupational Segregation. 288 Seiten, VS Verlag,
Wiesbaden 2012 EUR 41,10
Die Autorin, deren Buch eine Magisterarbeit zu
Grunde liegt, wirft als Soziologin und Germanistin
einen Blick auf das bürgerliche Wohnen. Sie
nähert sich ihm mit dem zivilisationstheoretischen
Zugang (Theorie der Figurationssoziologie) von
Norbert Elias, der für eine aus einer anderen Wissenschaftsdisziplin
kommende Rezensentin eine
Hürde beim Lesen und Verstehen der empirischen
Ausgangslage darstellt. Analysegegenstand ist das
bürgerliche Wohnen im Übergang zwischen 19.
und 20. Jahrhundert eingebettet in die Entwicklung
der Städte. Forschungsfragen sind die Bedeutung
der Wohnung im Lebenskonzept der Bewohnerinnen
und Bewohner, die Vorstellungen von
Wohnen und dem tatsächlichen Wohnen unter
dem Aspekt der Freiheit, die die bürgerliche Gesellschaft
verspricht, sowie die Wohnung als Rückzugsraum
und gesellschaftliche Vorstellungen davon,
wie gewohnt und gelebt wird.
Aus einer feministisch-kritischen Perspektive wird
das Wohnen in Deutschland zur Jahrhundertwende
beschrieben. Erst an dieser Stelle des Buches
wird deutlich, wie der Zusammenhang zwischen
der theoretischen Grundlage von Norbert Elias und
dem Zusammenleben im bürgerlichen Deutschland
hergestellt wird. Kritisch herausgearbeitet wird das
Konstrukt der Familie, Abhängigkeiten von Frauen
und Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern
in der bürgerlichen Gesellschaft, die sich auch
im Wohnen abbilden so in der Aufteilung von
Räumen und dem Zugang zu denselben. Hier spiegelt
sich die Affektkontrolle sowie die Beherrschung
von Lüsten (nach Elias) auch räumlich wider.
Ein durchaus empfehlenswertes Buch mit Blick
auf Planung und Soziologie.
Elke Szalai
Sophie Hellgardt: Zehn Zimmer. Die bürgerliche Stadtwohnung
des 19. Jahrhunderts. Eine Analyse nach Norbert
Elias. 112 Seiten, PapyRossa, Köln 2011 EUR 14,40