Zu Beginn des Bandes steht die Feststellung, dass es in den letzten Jahren ruhig um die geschlechterhistorische Erforschung Westdeutschlands geworden sei. Grund dafür ist den Herausgeberinnen zufolge die nach wie vor große Zurückhaltung in der Berücksichtigung von Geschlecht als Analysekategorie in zeithistorischen Untersuchungen. Das spiegelt sich besonders in den gängigen Interpretationsmustern zur Geschichte der alten Bundesrepublik wider. Konzepte wie Westernisierung, Strukturbruch, Liberalisierung oder Generationalität beschäftigen sich – wenn überhaupt – nur am Rande mit Fragen nach Geschlechterordnungen. Ziel des Bandes ist es daher, aktuelle Ergebnisse der zeithistorischen Geschlechterforschung vorzustellen und dabei das zahlreichen Arbeiten zu Grunde liegende Narrativ von der fortschreitenden Emanzipation von Frauen seit den 1950er Jahren zu differenzieren. Die Beiträge, die Themen wie (Aus)Bildung und Arbeitswelten, familiäre Ordnungsvorstellungen, Erfahrungen und Wahrnehmungen von Sexualitäten und Körper sowie politische Partizipation umfassen, bestätigen, dass sich gesellschaftlich stark verankerte Vorstellungen über Geschlecht sowohl in Zeiten der gesellschaftlichen Stagnation als auch in Phasen dynamischen Wandels nur äußerst langsam verändern. Der Band bietet interessierten Leser_innen gerade durch die einzelne Themenblöcke reflektierenden Kommentare eine anregende Lektüre über den Wandel von Geschlechterordnungen und Emanzipationsprozessen nach 1945.
Elisa Heinrich
Zeitgeschichte als Geschlechtergeschichte. Neue Perspektiven auf die Bundesrepublik. Hg. von Julia Paulus, Eva-Maria Silies und Kerstin Wolff. 336 Seiten, Campus, Frankfurt/M. 2012 EUR 41,10
Die Historikerin Sylvia Heinemann legt mit diesem Buch eine erste umfassende Studie über die Politikerinnen der Freien Demokratischen Partei Deutschlands (FDP) in der Nachkriegszeit vor. Die materialreiche Studie, als Dissertation an der Universität Göttingen angenommen, beleuchtet das Themenfeld aus verschiedenen Perspektiven: biografische Einzelfallanalysen ausgewählter liberaler Politikerinnen anhand von Interviews sowie schriftlichen Quellen, wobei insbesondere ihr Leben in der NS-Zeit befragt wurde; der organisatorische Aufbau der Frauenarbeit sowie Strategien zur Erhöhung des Frauenanteils und diesbezügliche innerparteiliche Widerstände; Kooperationen und Mitarbeit in überparteilichen Frauenvereinen; inhaltliche Positionierung in frauen- und geschlechterpolitischen Fragen sowie das Gleichberechtigungsverständnis der Aktivistinnen. Besonders spannend sind die Befunde, dass FDP-Politikerinnen Mitfrauen wie auch führende Funktionärinnen in nicht-parteipolitischen Frauenverbänden waren: Die (teilweise bereits seit der Weimarer Republik bestehenden) Kooperationen und Netzwerke, die zwischen strategischer Ausrichtung und politischer Überzeugung oszillierten, spielten etwa eine bedeutende Rolle bei der Durchsetzung der in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes verankerten Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau bei der Reform des Eheund Familienrechts. Heinemann gelingt es, ausgehend von dem spezifischen Forschungsfeld ein dichtes Bild der politischen Kultur der deutschen Nachkriegszeit zu zeichnen.
Heidi Niederkofler
Sylvia Heinemann: „Frauenfragen sind Menschheitsfragen“. Die Frauenpolitik der Freien Demokratinnen von 1949 bis 1963. 496 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/ Taunus 2012 EUR 41,50
In der im Rahmen der dOCUMENTA (13) herausgegebenen Reihe „100 Notizen – 100 Gedanken“ befindet sich auch ein Büchlein von Silvia Federici. Darin beschreibt die Professorin an der Hofstra University und bekannte Forscherin über Hexenverfolgungen ganz kompakt auf 14 Seiten, wie auf den Scheiterhaufen „nicht nur die Körper der ,Hexen‘ zugrunde gerichtet“ wurden, sondern „eine ganze Welt sozialer Beziehungen, die die Grundlage für die gesellschaftliche Autorität der Frauen gebildet hatten“. Die kurze Abhandlung weckt weiteres Interesse, denn „Hexenverfolgungen“ werden hier nicht nur als Auswüchse christlicher FundamentalistInnen verstanden, sondern vielmehr als bewusste Kampagne im Zuge der kapitalistischen Revolution, um eine gezähmte, domestizierte Form der weiblichen Sexualität zu etablieren.
GaH
Silvia Federici: Hexenjagd, Vergangenheit und Gegenwart und die Angst vor der Macht der Frauen. Zweisprachig Deutsch und Englisch. 30 Seiten, Hatje Cantz Verlag, Reihe dOCUMENTA 13: 100 Notizen – 100 Gedanken, N096, Ostfildern 2012 EUR 4,10