Julia ist die perfekte bürgerliche Ehefrau im London von 1848: wunderschön, schwächlich, ihrem Mann ergeben und
untertänig. Camiel hingegen ist im kolonisierten Indien aufgewachsen, malt, testet die engen Grenzen der Konventionen aus
und ist finanziell sowie geistig unabhängig. Diese etwas unoriginelle Entgegensetzung der sich zunehmend begehrenden Frauen
weicht jedoch schnell zugunsten fein ausgeloteter Beschreibungen über die stark eingeschränkten Bewegungs- und
Entscheidungsmöglichkeiten für Frauen der unterschiedlichen sozialen Schichten. Stefanie Zesewitz bleibt in ihrem Erstlingswerk
hart an der Realität des 19. Jahrhunderts, webt die Brontë -Schwestern, die erste Ärztin Englands und Semmelweis ein, was umso
mehr um den glücklichen Ausgang einer großen Liebe bangen lässt. Zugleich tun sich hinter den Fassaden tadelloser Ehen
Parallelleben auf, in denen sich Frauen und Männer das emotionale Überleben sichern – mit viel Lust, aber auch in
ständiger Gefahr. Zesewitz ist ein berührender, fesselnder Roman voller spannender Wendungen gelungen, in dem sie gekonnt
Handlungsspielräumen und dem oft ungeheuerlichen Wagemut von Frauen Platz gibt. Gekonnt erzählt entwirft sie damit auch ein
Geschichts-Bild von frauenliebenden Frauen, die ihr Schicksal allen Widerständen zum Trotz kreativ und tatkräftig in die eigene
Hand nahmen.
mel
Stefanie Zesewitz: Der Duft von Seide. Roman. 316 Seiten, Querverlag, Berlin 2012 EUR 15,40
Paula tritt plötzlich in Susannes Leben und berührt sie tief im Herzen. Doch genauso schnell wie Paula erschienen ist, verschwindet
sie auch wieder, was bei Susanne eine große Wunde hinterlässt. Voller Sehnsucht macht sie sich auf eine interessante und abenteuerliche
Reise, um Paula wieder zu finden. Doch je länger die Reise dauert, desto fremder und faszinierender erscheint ihr diese Frau, mit der sie
einmal den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Die Ereignisse überschlagen sich immer mehr und mehr, und ein abenteuerlicher Kampf um das
große Glück beginnt. Insgesamt eine schön kitschige und romantische Geschichte, welche sich aller Facetten der Romantik bedient –
von romantisch bis herzzerreißend bietet das Buch ganz großes Kino.
Regina Pechotsch für die Bibliothek des Lila Tipp
Toni Lucas: Geliebte Fremde. Liebesroman. 234 Seiten, el!es-Verlag, o.O. 2012 EUR 16,40
Ein Entwicklungsroman um die Mitglieder eines „queeren“ Freundeskreises in Berlin. Mitten im Leben steigt die Leserin
ein, erkennt nach und nach das große Rad des wer-mit-wem, der Liebes- und Fortpflanzungswirren um eine transsexuelle Frau, die zwar
Vater, aber doch Mutter wird und ein Elternpaar mit dem heterosexuellen Mitbewohner der besten Freundin, der von drei Frauen begehrten
Superfemme und deren für-immer-undewig miteinander glücklichen besten Freundinnen in Betonbeziehung bis hin zu den bisexuellen
Affären – all das wird zum teilweise von Koks beschleunigten Trip von Berlin nach Johannesburg, Reykjavik und schließlich
nach Ingolstadt. Mal schneller, mal langsamer entfalten sich die Ereignisse, die Personen brechen und zerbrechen am Leben, verraten
sich und unterstützen einander, tauchen mal wieder auf, dann ab. Spannend sind die unterschiedlichen Perspektiven, z. B. jene der
ältlichen, geheimnisvollen, zwanghaften Haushälterin, die alle Wirrungen nur über den Putzperlenalltag mitverfolgt. Aber
beim unerwarteten Schluss, der vielleicht schon die Einleitung zum zweiten Teil ist, katapultiert sie sich gelungen ins Zentrum des
Geschehens, wird sie zur Heldin? Denn eigentlich ist nichts gelöst und wenig klar geworden, wie im richtigen Leben.
Karin Schönpflug für die Bibliothek des Lila Tipp
Tania Witte: leben nebenbei. Roman. 327 Seiten, Querverlag, Berlin 2012 EUR 15,40
So ungezwungen wie Meikes und Franzis Sex gelebt und detailliert beschrieben wird, so unlocker kann Meike mit der für sie plötzlichen
Liebe zu einer Frau in ihrem Alltag umgehen. Meike ist Lehrerin und Tochter katholischer Eltern sowie eines patriarchalen Vaters, dem sie versucht,
alles recht zu machen. Die erste Hälfte eines weiteren Liebensromans von Julia Schöning im Lesbenbuchverlag „el!es“ ist dem
Rausch der Sinne zwischen „aufgerichteten Knospen“, „Perlen“ und dem „nassen Paradies“ in „ihrer
Mitte“ gewidmet, während es in der zweiten Hälfte zu dramatischen Entscheidungen kommt. Franzi, die nach dem Unfalltod ihrer
langjährigen Geliebten mit Meike endlich zu neuer Lebensfreude findet, muss ausloten, wie viel Nachsicht und Selbstlosigkeit sie für
Meikes schwierigen Outing-Prozess aufbringen kann. Meike manövriert sich ins eigene Unglück, wird erpressbar und muss erst entdecken,
dass sie nicht die erste und einzige lesbische Lehrerin ist. Bis zur letzten Seite bleibt es spannend, ob die zwei wohl miteinander glücklich
werden können.
mel
Julia Schöning: Klassentreffen. Roman. 240 Seiten, el!es-Verlag, o.O. 2012 EUR 16,40
Die widerspenstige, ungezähmte Bäuerin Nina, die zumindest kein Mannweib ist, begegnet auf ihrem Bauernhof der
Erholungsgästin Maren, einer machtgeilen Investmentbankerin, die gefährliche Abenteuer mit den Ehefrauen ihrer
Geschäftspartner lebt. Anfangs sieht es gar nicht danach aus, dass diese beiden ungleichen Frauen, die sich spontan
sehr unsympathisch sind, jemals zusammenkommen könnten. Aber schon bald stiebt das trockene Gras auf dem Heuboden im
Feuer der Leidenschaft nach allen Seiten davon – bis die dunkle Vergangenheit beide Frauen einholt. Sehr schwierige
Situationen müssen gemeistert werden, in denen sich die Heldinnen fast verlieren, doch am Ende wird wohl alles gut
werden… ? Sex und Drama pur!
Karin Schönpflug für die Bibliothek des Lila Tipp
Verena Darms: Und dann kamst du. Roman. 274 Seiten, el!es-Verlag, o.O. 2012 EUR 17,40
In ihrem Debütroman erzählt Antonia Becker über Lebens- und Lesbenthemen wie das Stehen zu sich selbst, zur
eigenen Homosexualität und zu den eigenen Gefühlen, langjährige abgestumpfte Beziehungen und den Rausch des
Verliebtseins, butch-femme-Dynamiken, Risikobereitschaft und das Leben in Gewohnheiten. Verpackt sind diese Themen in eine
gefällige, auch streckenweise sehr amüsant erzählte Geschichte von Lynn, die in ihrem schön geordneten
Dasein als Sekretärin und Freundin von Jonas einen eher tristen Alltag führt, ehe sie auf die kühl, cool und
interessant wirkende Fotografin Sascha trifft. Die Höhen und Tiefen dieser Amour fou sind eingebettet in partylaunige
Frauendiscos, familiäre Tristesse und Erwartungsdruck, berufliche Kontexte und FreundInnenschaft. Die anfängliche
Annäherung zwischen Lynn und Sascha wirkt sprachlich etwas plump, im Laufe des Buches entwickelt Becker aber doch einen
Erzählfluss, der ein flottes Lesevergnügen verschafft.
Kordula Knaus
Antonia Becker: Vielleicht fühlt sich Liebe so an. Roman. 224 Seiten, Krug & Schadenberg, Berlin 2012 EUR 17,40