Die Texte der 29 Autorinnen sind so vielschichtig wie die Frauenbewegung, sie umfassen Geschichtliches ebenso wie „widersprüchliche Perspektiven“, Öffentlichkeiten und „schwierige Konstellationen“. Zu diesen Konstellationen zählt die umstrittene Bündnispolitik der Plattform, die von mehreren Autorinnen reflektiert wird. Die autonomen Frauen des Frauenzentrums (von den Herausgeberinnen als „radikal-autonom“ bezeichnet) ziehen andere Schlüsse als die Plattform: Sie votieren für verstärkte Basisarbeit und Selbstorganisation, sie wollen den Funktionärinnen nicht „nachlaufen“ und beurteilen die Beteiligung von Männern an Demos anders. Diese Kontroverse ist aber beileibe nicht das einzig Spannende! Geschichtlich höchst interessant, die Frauenbewegungen und die akademischen Feminismen reflektierend, geben die Aufsätze umfangreiche Ein- und Überblicke über feministische Aktivitäten vor allem der letzten Jahrzehnte, vor allem in Wien. Bei einigen Autorinnen schwingt Biografisches mit. Damit – und durch den Bezug zu Aktionen – werden auch theorielastige Beiträge sehr lebendig und gut lesbar. Besonders spannend wird es, wenn Feminismen intergenerationell reflektiert und neue öffentliche Interventionen wie Strickismus erklärt werden. Mehrere Frauen zeigen, wie „die emanzipatorischen Forderungen von Frauen zu Forderungen an Frauen geworden sind, die ihnen vom System, von der Verwaltung, der Ökonomie abverlangt werden“ (Duden). Enthalten sind auch die Forderungen der Plattform zum Aktionsjahr 2011, Berichte über originelle Aktionen und eine gemeinsame Reflexion.
Hedi Presch
Frauen-Fragen. 100 Jahre Bewegung, Reflexion, Vision. Hg. von Birge Krondorfer und Hilde Grammel, Fotos von Bettina Frenzel. 384 Seiten, Promedia Verlag, Wien 2012 EUR 19,90
„Das ABC des guten Lebens“ ist eine Zwischenbilanz von neun Frauen, die seit vielen Jahren in immer neuen Projekten „mit der postpatriarchalen Arbeit am Symbolischen“ beschäftigt sind: Ursula Knecht, Caroline Krüger, Dorothee Markert, Michaela Moser, Anne-Claire Mulder, Ina Praetorius, Cornelia Roth, Antje Schrupp und Andrea Trenkwalder-Egger. Im Stile eines Wörterbuches werden die wichtigsten Begriffe – darunter neu entstandene Wörter wie „Geburtlichkeit“, „Wirtinschaft“ oder „Scheißologie“ – erläutert, in der patriarchalen Symbolik übliche Zuschreibungen hinterfragt und teilweise völlig neu gedeutet. „In immer neuen Anläufen haben wir also die symbolische Ordnung Schritt für Schritt schon so auf- und neu eingeräumt, dass sie auf die Wirklichkeiten, in denen wir uns vorfinden, besser passt“, schreiben die Autorinnen in der Einleitung. „Aufräumen im postpatriarchalen Durcheinander“ nennen sie das. Das Blättern im bunten, handlichen ABC von „Abhängigkeit“ bis „Zugehörigkeit“ ist echt spannende Lektüre und macht viele Räume fürs Weiterdenken auf. Das ist auch das Ziel des Projektes, denn das ABC ist auch im Internet (www.abcdesgutenlebens.de) zu lesen und zu kommentieren, sodass die Arbeit an den Begriffen von jeder weitergeführt werden kann. Und damit die Nachhaltigkeit gewahrt ist, planen die Frauen auch gleich das zweite postpatriarchale Symposium: von 29. August bis 1. September 2013 in St. Arbogast (Vorarlberg). Kleines Buch, große Wirkung!
GaH
ABC des guten Lebens. Hg. von Ursula Knecht, Caroline Krüger, Dorothee Markert, Michaela Moser, Anne-Claire Mulder, Ina Praetorius, Cornelia Roth, Antje Schrupp und Andrea Trenkwalder-Egger. 158 Seiten, Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 2012 EUR 7,80
Ein leidenschaftliches Pamphlet gegen die „Verdinglichung weiblicher Körper im Kapitalismus“ von Laurie Penny und eine aktuelle Ausgabe einer 1930 erschienenen Komödie von Vicki Baum widmen sich dem selben Feld: dem Schönheitszwang und der Vermarktung des weiblichen Körpers. Laurie Penny, eine 25-jährige Bloggerin aus London, hat eine Schrift herausgebracht, die sich mit dem „weiblichen Körper im Kapitalismus“ beschäftigt und eine Verbindung herstellt zwischen Theoretikerinnen der Anfangsjahre der Neuen Frauenbewegung wie Shulamith Firestone oder Juliet Mitchell und der Empörung junger Frauen heute, die nicht mitmachen wollen beim Schönheits-, Schlankheits- und Perfektionswahnsinn, der auch nach über vierzig Jahren Neuer Frauenbewegung noch virulent ist. Die Autorin lässt von Sexualität über Prostitution, von Essstörungen bis Hausarbeit (fast) kein Politikfeld der aufrechten Feministin aus. Voller Furor, ein Rundumschlag, der offensichtlich funktioniert, auch wenn er manchmal ein wenig undifferenziert ist. Eher mit feiner Klinge hat Vicki Baum, die 1960 im kalifornischen Exil verstorbene jüdische Schriftstellerin, in ihrer Komödie „Pariser Platz 13“ den Schönheitszwang, der auf der „Neuen Frau“ lastete, analysiert. Ein fiktiver Schönheitssalon am Pariser Platz mit Helen Bross, deren Schönheitsmethoden die perfekte Verjüngung versprechen, bildet den Rahmen, in dem Vicki Baum die realen Schönheitssalons von Helena Rubinstein oder Elizabeth Arden und die absurden Zwänge, die auf Frauen wie Vicki Baum selbst lasteten, vorführt. Die Herausgeberin Julia Bertschik weist in ihrem informativen Nachwort unter anderem auch darauf hin, dass Vicki Baum eigene Zeitschriftentexte als sich selbst entlarvende Textbausteine einfügte und so eine „Lektüre mit doppeltem Boden“ ermöglicht.
Helga Widtmann
Laurie Penny: Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus. Übersetzt von Susanne von Somm. 125 Seiten, Edition Nautilus, Hamburg 2012 EUR 10,20 Vicki Baum: Pariser Platz 13. Eine Komödie aus dem Schönheitssalon und andere Texte über Kosmetik, Alter und Mode. Hg. von Julia Bertschik. 220 Seiten, AvivA Verlag, Berlin 2012 EUR 14,30
Petra Unger, Frauenforscherin und feministische Kulturvermittlerin, hat wieder einige ihrer Frauenspaziergänge durch Wien in Buchform gegossen. Auf vier Routen führt sie durch die Stadt, vorbei an historischen Gebäuden und Plätzen, auf denen schön sichtbar viele Männer verewigt sind – jedoch kaum Frauen. Frauen und ihre Geschichte sichtbar und lebendig werden zu lassen, ist das erklärte Ziel von Unger. Die vielen kurzen Sequenzen sind kurzweilig zu lesen, bringen einen guten Überblick, aber auch so manch spannende Details. Ganz aktuell ist etwa auch schon die Anfang 2012 eröffnete neue Frauenbuchhandlung „Chicklit“ dabei. Das Personenregister am Ende ist ganz gut zum Nachschlagen geeignet: von Sofonisba Anguissola bis Liane Zimbler, von Johanna Dohnal bis Lina Loos. Dabei stehen in dem Register nur jene Frauen, über die es weitergehende Informationen gibt – namentlich erwähnt werden in den Texten weit mehr Frauen, historisch interessante wie auch junge Aktivistinnen der heutigen Zeit. All jene Leserinnen, die gerne weiter lesen würden, Querverweise ziehen und eigene Wissenslücken füllen würden, werden ob der gänzlich fehlenden Quellenangaben enttäuscht sein. Welche mit dem Buch in der Hand einfach durch die Stadt spazieren möchte, wird das nicht stören.
GaH
Petra Unger: Frauenspaziergänge. Entdeckungsreisen durch Wien. 191 Seiten, Metroverlag, Wien 2012 EUR 19,90
Schön, dass die Frauenfußball-Bibliothek mal wieder Zuwachs bekommen hat. Ein Sammelband begibt sich laut Selbstdarstellung auf die „Spuren des Frauen- und Mädchenfußballs“ und tut dies in drei Schritten: das erste Kapitel beschäftigt sich mit historischen Grundlagen und beschreibt im Endeffekt die Geschichte einer Ausgrenzung, mit Fokus auf Deutschland, aber auch mit internationalen Perspektiven. Akteur_innen des Frauenfußballbetriebes sind Thema des zweiten Teils, und gesellschaftliche und wirtschaftliche Facetten des Sports kommen in Kapitel drei zu Wort. Beim Lesen fällt schon im Inhaltsverzeichnis und beim ersten Text von Gertrud Pfister – ein an sich sehr lesenswerter Text! – auf, dass das Buch auch viele Spuren von Schreibfehlern und Auslassungen beinhaltet. Ausgelassen wurde auch eines der zentralen Themen, mit dem Frauenfußball konfrontiert ist: von Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit ist zwar manchmal zu lesen, Sexualität und Homophobie werden jedoch kein einziges Mal erwähnt. Stattdessen ist in zwei Texten die Rede von „Indianern“ und „Entwicklungsländern“, was auf keinen allzu hohen Reflexionsgrad manch einer der Autor_ innen schließen lässt. Allgemein ist der Band zwar ein guter Überblick mit einigen tollen und einigen vernachlässigenswerten Texten sowie ein Zusammenbringen der im Themenfeld relevanten Autor_ innen, lässt aber eine kritische Perspektive auf immer noch ungleiche Strukturen und Geschlechterverhältnisse leider vermissen.
Nikola Staritz für die BALLerinas
Auf den Spuren des Frauen- und Mädchenfußballs. Hg. von Silke Senning. 284 Seiten, Beltz Juventa, Weinheim- Basel 2012 EUR 24,95
Eine „fällige Zusammenschau“ der zahlreichen Publikationen der letzten Jahre über das weibliche Genital fasst Ulrike Helmer unter dem augenzwinkernden Titel „Muschiland“. Mögen die neuen Erkenntnisse über Klitoris und andere Körperteile Frauen (und Männern) einen informierten und lustvollen Zugang zu wie auch Respekt vor der „Schatzkiste“ zwischen den Beinen von Frauen ermöglichen. Das sehr flüssig bis schnodderig geschriebene Buch ist oft Literaturzusammenfassung, öfter aber eine Gegenschrift gegen Eingriffe und Veränderungen an Muschis (und Körpern), die ein ungeahntes Ausmaß erreicht hätten. Von Brustvergrößerungen über Schamlippenverkleinerungen, Intimpiercings und -enthaarungen bis hin zu Schlankheitskuren und Hymenrekonstruktionen reicht das globale Spektrum, das Helmer geißelt und ihren persönlichen Normvorstellungen von ahistorischer „Natürlichkeit“ und „natürlicher Schönheit“ entgegensetzt. Distanziert erklärt sie dabei auch Lesben und deren Sprache für Sex und Genital. Helmers gut gemeinte Absicht um mehr Sichtbarkeit und Wissen um Muschis bietet Einblick über die zahlreichen Neuerscheinungen über weibliche Genitalien der letzten Jahre und in ihre Meinung über diese Werke. Nicht hinwegsehen lässt sich aber über die weit mehr als geschmacklose Assoziation des Anblicks des „mageren Halses“ eines abgeschlankten Freundes mit „traurigen Fotos aus dunkelster deutscher Vergangenheit“.
mel
Ulrike Helmer: Muschiland. Exkursionen in eine kulturelle Intimzone. 175 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2012 EUR 15,40
Im Milieu der gut ausgebildeten Mittelschicht, wo so etwas wie Karriere auch möglich ist, siedelt Barbara Streidl ihr Buch an. Eine Woche lang wird der Alltag einer fiktiven Frau dokumentiert. Die Ich-Erzählerin beschreibt minutiös ihre tägliche Hetze zwischen 30-Stundenjob, ihrem dreijährigen Sohn und ihrer Beziehung. „Ich habe Angst es eben doch nicht zu schaffen, in allen drei Leben gut zu sein: als Mutter, als Karrierefrau, als Ehefrau“, sagt sie in einem Gespräch mit ihrem Mann. Auch wenn sie ihre Beziehung als partnerschaftlich erlebt, übernimmt sie zunehmend mehr Verantwortung für das reibungslose Familienleben. Zwischen hohen Ansprüchen und schlechtem Gewissen versucht sie, es allen recht zu machen und mit allen Widrigkeiten fertig zu werden. Fußnoten greifen die politische und rechtliche Situation in Deutschland auf oder verweisen auf Studien, Artikel oder Kommentare. Durch den starken innenpolitischen Bezug und die Unentschiedenheit zwischen Sachbuch, Roman und Dokumentation teilt das Buch eine gewisse innere Zerrissenheit mit seiner Protagonistin.
Margarete Neumann
Barbara Streidl: Kann ich gleich zurückrufen? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter. 253 Seiten, Blanvalet Taschenbuch Verlag, München 2012 EUR 9,30
Ich gebs ja zu: Ab und an lese ich gern mal einen guten Ratgeber – sogar zum Thema „Erziehung“. Gute Ratgeberliteratur verfügt über einen flüssigen Schreibstil und gewährt neue und erhellende Einsichten, die sich bestenfalls auch noch im Alltag umsetzen lassen. Mit diesen Erwartungen mache ich mich also an die Lektüre des Buches der beiden Autorinnen Heidi Andersen und Anna-Maria Stawreberg. Und so lerne ich, dass Achtsamkeit das Um und Auf für einen gelassenen Alltag mit Kindern ist: Ich werde mit den drei Perlen der Achtsamkeit vertraut gemacht – Akzeptanz, Empathie und Integrität – und den drei As – atmen, akzeptieren, agieren. Unterdessen frage ich mich, welche Art von Eltern dieser Ratgeber wohl ansprechen mag? Die Frage bleibt für mich offen. Es müsste sich allerdings um Eltern handeln, die über den anstrengenden Ton und die Vielzahl an Banalitäten – „Jetzt findet das Leben statt“, „Genießen Sie mehr!“, „Nehmen Sie nicht alles so ernst“ – großzügig hinweg sehen können. Und es müsste sich um Eltern handeln, deren feministischer Anspruch nicht weiter ausgeprägt ist; die Thematisierung von Geschlechterdifferenzen und deren Auswirkungen im Familienalltag wird man in vorliegendem Buch nämlich vergebens suchen.
natascha vittorelli
Heidi Andersen und Anna-Maria Stawreberg: Achtsamkeit für Eltern. Mehr Gelassenheit im Alltag mit Kindern. Übersetzt von Sigrid Irimia. 199 Seiten, Kreuz Verlag, Freiburg im Breisgau 2012 EUR 17,50
Christiane Rösinger, u.a. Sängerin der Bands „Lassie Singers“ und „Britta“, hat schon früher ihre Abneigung gegen die Paarbeziehung in Liedtexten wie „Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch“ zum Ausdruck gebracht. Nun legt sie mit einem kritischen Sachbuch zum Thema Liebe nach. Im Mittelpunkt ihrer Kritik stehen die RZB (die romantische Zweierbeziehung) und die dahinterstehende Gesellschaftsideologie von der einzigen, erfüllenden und wahren Liebe. Mit Hilfe von biologischen, historischen, psychologischen und soziologischen Studien deckt Rösinger den Mythos Liebe auf und entlarvt diese als (heterosexuelles) normatives Konstrukt, das in die „Pärchenzwangsmatrix“ mündet. So zeigt sie u.a. wie Liebe und Kapitalismus zusammenhängen (Stichworte: Rosen, Candle- Light-Dinner) und wie Single-Ratgeber ein zufriedenes und erfülltes Leben auch ohne Partner_in propagieren. Letztendlich wird diese Form aber nur als Überbrückung zwischen zwei Beziehungen betrachtet. Ergänzt wird der theoretische Teil von tagebuchartigen Anekdoten aus dem Berliner Leben der Autorin. Christiane Rösingers Buch ist unterhaltsam, witzig und mit einer gehörigen Portion Ironie gespickt. Manchmal verfällt sie in Klischees, z.B. wenn sie die „Zehn Pärchenlügen“ beschreibt und an manch anderer Stelle liest sich ihre Gehässigkeit wie Verbitterung. Rösinger greift in ihrem Buch kein besonders neues Thema auf. Für Leser_innen, die sich noch nicht kritisch mit dem Konzept Liebe und Beziehungen auseinandergesetzt haben, entfaltet der Inhalt jedoch durchaus erkenntnisreiches Potenzial.
Julia Martin
Christiane Rösinger: Liebe wird oft überbewertet. Ein Sachbuch. 208 Seiten, S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2012 EUR 14,40
Die ORF-Nahost-Expertin Karin Kneissl hat ein Buch geschrieben, in dem sie, eher essayistisch- journalistisch als wissenschaftlich, zwei zentrale Thesen proklamiert. Die erste These ist, dass junge Männer, die keine Möglichkeit haben ihren Testosteronüberschuss anderweitig, z.B. durch Sex mit Frauen, zu kanalisieren, eher bereit sind in den Krieg zu ziehen oder sich an Revolutionen zu beteiligen. In ihrer zweiten These weist die Autorin darauf hin, dass Politik nicht lediglich auf rationalen Überlegungen beruht, sondern Menschen (bzw. Männer) Politik machen, und dabei Intuition, Bauchgefühl und Sympathien eine große Rolle spielen. Und genau diese Bauchgefühle können eben auch Gründe für Kriege und Revolutionen sein. Die Autorin untermauert ihre Thesen mit einer Vielzahl von Quellen: Griechische Philosophen, Endokrinologen, Hannah Arendt, eigene Interviews mit jungen Frauen und Männern, Filme und Romane, um nur einige zu nennen. Leider fehlt mir manches Mal zwischen den verschiedenen Essays der rote Faden. Manche Essays (vor allem im 2. Kapitel, wo sie Geschlechterverhältnisse in verschiedenen asiatischen Regionen beleuchtet) waren für mich dabei durchaus interessant zu lesen. Ihre Thesen werden im Buch aber kaum wissenschaftlich oder logisch stringent belegt. Schlussendlich bleibt es wohl jeder selbst überlassen, ob sie Kneissls Bauchgefühl folgen will oder lieber nicht. Meinem Bauch hat es jedenfalls nicht gut getan.
Sara John
Karin Kneissl: Testosteron macht Politik. 149 Seiten, Braumüller, Wien 2012 EUR 22,90
Charlotte Wiedemann ist seit drei Jahrzehnten Journalistin, sie hat in 26 außereuropäischen Ländern – v.a. islamischen – recherchiert. Mit ihrem „Versuch, nicht weiß zu schreiben“ wendet sie sich ebenso an KollegInnen in den Redaktionen wie auch an ein allgemeines Publikum. Denn RezipientInnen sind wir alle – „Mediennutzer, die durch den täglichen Ansturm kontextloser Nachrichten mehr verdummt und überwältigt als aufgeklärt werden“. Wiedemann schildert zahllose Recherchen in Ländern, deren „politische Psychologie“ nur zu verstehen sei, wenn der eurozentristische Blick abgelegt werde. Sehr viele Reportagen und Begegnungen drehen sich um Frauen und ihre alltägliche und auch politische Partizipation. So war sie etwa in Pakistan auf den Spuren der Frauen. „Später sträubte sich alles in mir, die Ergebnisse meiner Recherchen aufzuteilen: für die eine Zeitung die Reportage über ein fortschrittliches Frauen-College, für eine andere den Ehrenmord. Nur das gesamte Mosaik würde eine Ahnung von der Wirklichkeit vermitteln.“ Wer Musliminnen auf die Opferrolle reduziere, „wird deren Länder kaum akkurat beschreiben können“. Wiedemanns Analysen und Erklärungsmuster sind durchaus feministisch reflektiert, sie spart auch nicht mit Kritik an „einigen prominenten Feministinnen Europas“, die in den Chor der „Islam-Kritik“ einstimmen, sich als Kämpferinnen gegen das Kopftuch hervortun. Im Jemen hat sie Frauen in Vollverschleierung erlebt, die im Zuge der Revolution die öffentliche Bühne eingenommen hatten. „Es war der Beginn ihrer politischen Emanzipation, und es war – ob es uns gefällt oder nicht – eine Emanzipation im Niqab, nicht vom Niqab.“ Ein guter Beitrag zu einer intelligenten Analyse islamischer Realitäten – und ein wichtiges Buch für selbstkritische JournalistInnen!
GaH
Charlotte Wiedemann: Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben. Oder: Wie Journalismus unser Weltbild prägt. 186 Seiten, PapyRossa, Köln 2012 EUR 13,30
Die Journalistin und Supervisorin Monika Hey beschäftigt sich in dem vorliegenden Band ausführlich mit dem Thema Pränataldiagnostik. Vor dem Hintergrund eigener traumatischer Erfahrungen beschreibt sie, wie bei Schwangeren oft pränataldiagnostische Verfahren zum Einsatz kommen, ohne dass den betroffenen Frauen klar ist, dass dem erstens so ist und sie zweitens diese Untersuchungen nicht machen lassen „müssen“. Hey erklärt die unterschiedlichen Testverfahren, welche Krankheiten oder sogenannte Behinderungen damit festgestellt werden können und welche Behandlungsmöglichkeiten es (nicht) gibt. Auch die (deutsche) Gesetzeslage und internationale ExpertInnenmeinungen fließen mit ein. Das Ziel der Autorin, mit diesem Buch Frauen über ihre Rechte in Bezug auf (die Verweigerung von) pränataldiagnostischen Verfahren aufzuklären und die Selbstverständlichkeit und teilweise Arroganz von MedizinerInnen, die mit ihrer Autorität Schwangere zu Entscheidungen zwingen, denen sie unter Zeitdruck und mit mangelnder Information nicht gewachsen sind, aufzuzeigen, ist unterstützenswert. Doch die Verwobenheit von persönlichem Schicksal und Fakten im Text zwingt die Leserin fast ebenso in eine Entscheidungsrichtung, wie die MedizinerInnen, die einer Schwangeren in dunkelsten Farben schildern, wie das Leben mit einem Kind mit Trisomie 21 sei. Obwohl sich Hey dezidiert für die Fristenregelung und die Selbstbestimmung von Schwangeren ausspricht, bleibt auf Grund des subjektiven Tons, der sich durch das ganze Buch zieht, auch keine Ergebnisoffenheit. Somit ist das Buch sicher informativ für alle, die sich noch nie mit dem Thema beschäftigt haben, aber nicht unbedingt hilfreich für jene, die ein unsicheres Testergebnis haben und nach objektiven Informationen suchen.
ESt
Monika Hey: Mein gläserner Bauch. Wie die Pränataldiagnostik unser Verhältnis zum Leben verändert. 223 Seiten, DVA, München 2012 EUR 20,60
Die AutorInnen haben anhand von Interviews mit der Widerstandskämpferin Renée Wiener deren Leben rekonstruiert. Aufgewachsen in einem streng religiösen, jüdischen und bürgerlichen Elternhaus, wird zunächt ihre Kindheit in den 1930er Jahren in Wien beschrieben. Es ist die Zeit, wo für sie als erlebnishungriges Kind die Welt noch in Ordnung war. Die Familie flieht nach dem Anschluss 1938 zunächst nach Italien, dann nach Belgien. Ihr Vater weigert sich, mit den bezahlten Ausreisevisa und der Familie nach Südamerika zu flüchten. Sie gehen nach Frankreich. 1943 wird der durch einen Schlaganfall geschwächte Vater von den deutschen Besatzern inhaftiert. Seine Spuren verlieren sich in einem Anhaltelager. Renée beschließt, sich dem zionistischen Widerstand anzuschließen, nachdem sie bereits in der Jugendbewegung Kontakte geknüpft hat. Sie beteiligt sich an verschiedensten Anschlägen gegen das Naziregime und ihre Spitzel, schmuggelt Waffen und gefälschte Ausweispapiere und rettet jüdischen Kindern das Leben, indem sie diese vor dem Transport in ein Konzentrationslager bewahrt und sie aufs Land bringt. Nach dem Krieg begleitet sie ihren ersten Ehemann nach New York und lässt ihre Mutter und ihre Schwester nachkommen. Nachdem sie zahlreiche prekäre Jobs ausgeübt hat, startet sie ein weiteres Mal durch und wird bis zu ihrer Pension Sozialarbeiterin in einer Drogentherapieeinrichtung. Die reflektierte Lebensgeschichte zeigt, dass es Handlungsspielräume gab, und das stärkt und ermutigt.
Antonia Laudon
Renée Wiener: Von Anfang an Rebellin. Hg. von Maria Ecker, Daniela Elmauer und Albert Lichtblau. 259 Seiten, Picus Verlag, Wien 2012 EUR 22,90
„Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, nennen sich manchmal Überlebende.“ Doch die Autorin will nicht Überlebende sein. Sie will leben. Als Vertriebene aus dem eigenen Körper, aus dem eigenen Leben, beginnt sie schon früh mit der Suche nach Zusammenhängen, nach Verstehen, nach Sprache und Bildern für das Erfahrene und ihr Sein und Tun. Auf verschlungenen Wegen folgt sie den Spuren einer Familiengeschichte voll Armut, Entwertung, Ausgrenzung, Angst und Gewalt. Die Sprachlosigkeit und Verdrängung ihrer Umwelt, besonders die ihrer Mutter, treiben sie weiter auf ihrem Weg zum Verständnis. Auch für ihre Mutter wollte sie Sprache und Gestalt für das Geschehene finden. Doch diese wählte einen anderen Umgang mit dem für sie Unaussprechlichen. Zunächst mit verwirrenden, verstörenden Fragmenten konfrontiert, findet die Autorin Schritt für Schritt ein neues für sie sinnvolles und sinnliches Leben. Wichtige Stationen, aber auch Irrwege auf diesem Weg sind Beziehungen, berufliche Herausforderungen, Therapien und die Mitarbeit bei der Selbsthilfeorganisation Wildwasser. In Prosa, Gedichten und Bildern findet Gita Iff Ausdruck für ihren Weg zur Gesundheit.
Katja Russo
Gita Iff: Ich lebe. Ich bin. Mutter und Tochter im Schatten von sexueller Gewalt – ein Aufbruch. 227 Seiten, Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 2012 EUR 17,50