Science Fiction!
Fremde Welten, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat, üben auch abseits von schönen Sternenflottenkapitäninnen und resoluten Klingoninnen ihre Faszination aus. Wie schauen diese Welten in aktuellen Science Fiction Werken aus? Wird die Fortpflanzung inzwischen nur noch technisch erledigt, ist Geschlecht irrelevant geworden, ist Leben nur mehr unter künstlichen Kuppeln möglich? Und: wie queer sind die Aliens?
Von Margaret Atwood widmet sich in ihrem neuesten Buch „In other worlds. SF and the human imagination“ ausführlich der Frage, was denn das Genre Science Fiction überhaupt sei. Sie tut das unter anderem deshalb, weil sie einen Disput mit Ursula LeGuin laufen hat, einer weiteren feministischen Sci-Fi Doyenne, ob ihre (Atwoods) Werke nun Sci-Fi seien oder nicht. (Das Buch ist LeGuin gewidmet.) Atwood holt weit aus, beginnt mit den ersten SuperheldInnen-Begeisterungen ihrer Kindheit, widmet sich dann dem Zusammenhang zwischen Mythen und Science Fiction und zuletzt den Ustopien, die sowohl Utopien als auch Dystopien („great bad places“) beinhalten und ihr bevorzugtes Gebiet sind. Danach diskutiert sie einige Werke anderer AutorInnen (u.a. LeGuins „Der Winterplanet“/„ The Left Hand of Darkness“ aus 1969, in dem die Menschen je nach Bedarf ihr Geschlecht wechseln – übrigens ein sehr lesenswertes Werk!). Zuletzt veröffentlicht sie noch einige ausgewählte eigene Kurzgeschichten, wunderbar leicht zu lesende Ustopien.
Sci-Fi-Fans unter den WeiberDiwan-Leser_innen erinnern sich vielleicht an einen spannenden Sammelband aus dem Ulrike Helmer Verlag: „genderzukunft“ hieß das Buch und wurde im Herbst 2008 im WeiberDiwan rezensiert. Der damalige Befund lautete, dass sich die feministische Science Fiction von utopischen auf dystopische Ausrichtungen verlegt hatte (oder vielleicht mit Atwood gedacht auf ustopische?), und dass genetisch-biologische und technologische Diskurse zunehmend gesellschaftspolitische Visionen von Geschlechtergerechtigkeit ersetzen. Auch queer-feministische Sci-Fi als neues Feld war angeklungen. Interessant ist es nun zu sehen, ob auch einige ausgewählte Sci-Fi Werke, die in den vergangenen zwei Jahren neu erschienen bzw. neu aufgelegt wurden, diese beobachteten Richtungen weiter verfolgen.
Vor kurzem ist ein neuer Roman erschienen, der diese Befunde bestätigt und literarisch großartig auslegt: Anja Kümmels „Träume digitaler Schläfer“. Wir befinden uns in der Zeit nach dem dritten Weltkrieg, die Menschen sind unfruchtbar, da die Erde großteils verseucht ist, und sie von Konzernen beherrscht wird. Menschen sind nach außen hin ohne sichtbares Geschlecht, sie bezeichnen sich als „es“. Schnell zeigt sich, dass es aber nach wie vor Unterschiede gibt zwischen den XX- und den XYMenschen (und den XXY und all den anderen): Die XX müssen versteckt leben und können sich nur mit Hilfe von Pheromonblockern aus dem Untergrund in das sogenannte Kontinuum wagen – was ansonsten mit ihnen passiert, wird auf vielen Ebenen angedeutet bis gegen Ende des Buches Gewissheit erfolgt. Ashur und Elf sind zwei XX. Sie sind Hacker und sie rebellieren. Eigentlich kennen sie sich nicht, aber sie träumen voneinander in verschiedenen weiblichen Rollen, in denen sie sich sehr vertraut werden: Sie träumen sich als Schwestern in der Inquisitionszeit, als Geliebte in der Nazizeit und in gewisser Weise auch als das was sie in der Gegenwart sind. Sind es (digitale) Träume oder (kollektive) Erinnerungen? Jedenfalls gelingt der Autorin ein genialer Zug, wesentliche feministischqueere Themen als Linien von der Vergangenheit in eine dystopische, technologisch geprägte Zukunft zu ziehen – und siehe da, unter all der Technologie handelt es sich immer noch um die gleichen Machtverhältnisse.
Auch Nancy Kress hat ein neues Buch geschrieben, „After the Fall – Before the Fall – During the Fall“, in dem in einer ziemlich dystopischen Welt Schuld und Verantwortung thematisiert werden. Die letzten Überlebenden der Erde bewohnen einen Container, der sie vor den Umweltgiften und der Radioaktivität, die die lebende Welt vernichtet haben, beschützt. Es ist das Werk von Außerirdischen, die auch für die Zerstörung der Welt verantwortlich gemacht werden. In drei Zeitlinien erzählt Nancy Kress vom Leben vor der Katastrophe, deren Beginn als ein neues Bakterium entsteht und eine Kette an Ereignissen in Gang setzt, und dem Leben von 25 Überlebenden danach, die ihr Leben neu organisieren müssen. Kress kombiniert in ihrer Geschichte gekonnt bekannte Elemente des Genres: unbekannte Technologien, außerirdisches Leben, Zeitreisen und apokalyptische Endzeitstimmung. Trotz der Kürze der Geschichte gelingen ihr überraschende Wendungen im Plot. Es bleibt die Frage: Hat die Katastrophe die Menschheit verändert? Kress at her best.
Ein harter Weltenritt ist auch der neu aufgelegte zweite Band einer siebenteiligen Werkfassung der Science-Fiction Autorin Alice B. Sheldon, „Zu einem Preis“. Sheldon, die unter dem Pseudonym James Tiptree Jr. veröffentlichte, schrieb die in diesem Band versammelten zehn Erzählungen zwischen 1976 und 1985. Die Geschichten entziehen sich üblichen Konventionen der literarischen Zuordnung, denn Sheldons Erzählungen sind nicht beschränkt auf außerirdisches Leben, von dem sie für die Science-Fiction-Welt überaus geniale Vorstellung und Bilder kreiert. Es sind zum Teil sehr reale soziale und politische Themen wie Gewalt gegen Frauen, Überbevölkerung, Abtreibungsdebatten und gesellschaftlicher Wandel, die Sheldon aufgreift und großteils in Dystopien verarbeitet. James Tiptree Jr.s Erzählungen bieten keine leichte Unterhaltung, sondern ideenreiche, schauerliche und oft auch grausame Perspektiven auf Welten und ihre Wesen. Äußerst empfehlenswert für Leser_innen, für die das klassische Happy-End nicht zwingend Bestandteil guter Literatur ist.
Einen ausführlichen Blick noch weiter zurück als in Tiptrees Zeit bietet Rolf Löchel, der in „Utopias Geschlechter“ den Genderbegriff in der deutschsprachigen Science Fiction von Frauen aufarbeitet. In der Einleitung geht Löchel auf internationale Sci-Fi Autorinnen ein und zeichnet in Kürze eine Linie durch Werke, die sich mit Spezies befassen, die kein/ein wechselndes/mehrere Geschlechter haben und sich auf diverseste Arten fortpflanzen. Vor diesem Hintergrund diskutiert er eine Vielzahl deutschsprachiger Autorinnen, bekannte (wie Bertha von Suttner, Christa Wolf oder Marlene Streeruwitz) und weniger oder kaum bekannte. Er beginnt dabei vor der Ersten Frauenbewegung und geht bis 2009, wobei der Bezug zu den jeweiligen Frauenbewegungen die Struktur vorgibt. Während die Autorinnen zur Zeit der Ersten Frauenbewegung ihre politische Themen in ihren Werken behandelten, sieht Löchel bei den Sci-Fi-Autorinnen zur Zeit der Zweiten Frauenbewegung deutlich weniger Berührungspunkte zu – damals – aktuellen feministischen Diskursen, wohingegen die Autorinnen der letzten Jahre wieder verstärkt an Politik und Theorie des Feminismus anknüpfen. Der Stil ist wissenschaftlich mit vielen Zitaten. Einige literarische Fundstücke sind darunter, die historisch sehr interessant sind und auch gut aufbereitet wurden. Queere Aspekte kommen bei wenigen Autorinnen vor, hier hebt Löchel zum Beispiel Ulrike Nolte hervor, die Sexualität in ihren Werken sehr kreativ auslegt. Ergänzend zu den von Löchel besprochenen Büchern von Nolte sei noch ihr letztes Buch aus 2006 („Die fünf Seelen des Ahnen“, Atlantis Verlag) wärmstens empfohlen.
Hier noch ein paar Neuerscheinungen der vergangenen zwei Jahre:
Eine Empfehlung, wenn sich die Leser_in auf die Suche nach weniger bekannten Autorinnen – ähnlich wie Rolf Löchels Aufarbeitung deutschsprachiger Sci-Fi-Autorinnen – aber diesmal von lesbischen Werken mit Fokus USA machen möchte, ist das Buch von Phyllis M. Betz, „The Lesbian Fantastic. A Critical Study of Science Fiction, Fantasy, Paranormal and Gothic Writing”, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung quer durch die Genres.
Wem die dystopischen Welten schon etwas zu deprimierend geworden sind, möge es mit Eleanor Arnasons letztem queerem Sci-Fi-Krimi versuchen, „Tomb of the Fathers“. Lydia Duluth, die Heldin mit der künstlichen Intelligenz, stürzt sich mit ihrer intergalaktischen Partie, die ein wilder Mix aus diversen Spezies und Cyborgs ist, in wilde Space- Abenteuer, nachdem sie bei einer Mission auf dem Atch-Planeten gestrandet sind. Die Autorin verbindet mit Leichtigkeit Gender, Klasse und Rasse und die Reproduktionsfrage zu einem Space-Abenteuer, das es in sich hat.
Was wir uns schon immer bei Zeitreisen gefragt haben (oder uns dringend fragen sollten, falls wir mal in die Lage kämen): Wodurch kann denn die Zeitlinie nun eigentlich verändert werden, kann sich die Zeit selbst reparieren, ist die Zeit eine eigene Entität? Und wieso kann eine Zeitreise nicht dazu genützt werden, die Nazis zu entmachten? Oder kann sie doch? Selber lesen bei Connie Willis in ihrem fabelhaften Zweiteiler „Blackout“ und „All Clear“!
Gabriele Mraz. Rezensionen zu James Tiptree jr. und Nancy Kress von Roswitha Hofmann
Margaret Atwood: In other worlds. SF and the human imagination. 256 Seiten, Virago Press, London 2011 EUR 25,99 Anja Kümmel: Träume digitaler Schläfer. Roman. 408 Seiten, thealit, Frauen.Kultur.Labor, queer lab Schriftenreihe, Bremen 2012 EUR 12,00 James Tiptree Jr.: Zu einem Preis. Erzählungen. Übersetzt von Frank Böhmert, Sebastian Wohlfeil, Christiane Schott-Hagedorn, Michael Preissl. 539 Seiten, Septime, Wien 2012 EUR 23,90 Nancy Kress: After the Fall – Before the Fall – During the Fall. A Novel. 190 Seiten, Tachyon, San Francisco 2012 EUR 12,99 Rolf Löchel: Utopias Geschlechter. Gender in deutschsprachiger Science Fiction von Frauen. 346 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2012 EUR 36,00 Phyllis M. Betz: The Lesbian Fantastic. A Critical Study of Science Fiction, Fantasy, Paranormal and Gothic Writing. McFarland&Company, Inc., Publishers, Jefferson, North Carolina/London 2011 EUR 31,99 Eleanor Arnason: Tomb of the Fathers. A Lydia Duluth Adventure. Aqueduct Press, Seattle 2010 EUR 12,99 Connie Willis: Blackout. 492 Seiten, Spectra, Random House, Inc., New York 2010 EUR 13,99 Connie Willis: All Clear. 642 Seiten, Spectra, Random House, Inc., New York 2010 EUR 13,99