Ein Durcheinander muss zwangsläufig entstehen, wenn die Mutter vergisst. Den Weg zum Fluss ebenso wie den Umstand, dass das Gespräch mit einem Brokkoli eher unzureichend ist. Symptome, die weit über die Altersvergesslichkeit hinausgehen, Diagnose Alzheimer.
Welche Bedeutung und welche Veränderungen die Krankheit für Familie und Umfeld mit sich bringen, hat Sarah Leavitt in einer Graphic Novel verarbeitet. Sich selbst Vergesslichkeit zuschreibend, wird sie zur Chronistin der Auflösung, zeichnet im fortschreitenden Prozess jede Kleinigkeit auf und reflektiert dabei auch die daraus resultierenden Veränderungen der eigenen Identität als Tochter und als Erwachsene. Dabei erlaubt sie sich größtmögliche Ehrlichkeit, berichtet von den Momenten der Verzweiflung und der Scham ebenso wie von den wenigen heiteren. Die Form der schlicht schwarz-weiß gehaltenen Zeichnungen und Skizzen scheint bewusst einfach gehalten, sie verdeutlichen die Perspektive der Tochterrolle und illustrieren in ihrer Schlichtheit nochmals die Hilflosigkeit der kindlichen Emotionalität angesichts des langsamen Abschiedsprozesses von einem Elternteil und dem Verlust dieser schützenden Liebe.
bw
Sarah Leavitt: Das große Durcheinander. Alzheimer, meine Mutter und ich. Graphic Novel. Übersetzt von Andreas Nohl. 128 Seiten, Beltz, Weinheim-Basel 2013 EUR 20,60
Mit vielfältiger Form- und Bildsprache erschafft Anke Feuchtenberger sehr lebendige Geschichten von Bewegung und Beobachtung im urbanen Raum. Zwischen den Fassaden von Städten wie Tel Aviv, Tokyo und Hamburg ist genug Platz für Abgründiges und Irrationales, wie etwa Knöpfe, die zu riesigen Schweinerüsseln mutieren. Da finden sich Berichte in Form von Postkarten, die so gar nichts mit den klassischen „Hier ist es schön, mir geht es gut”-Motiven gemein haben, kleine Alltagsmomente, wie das Klopfen an einer Tür, die schon im nächsten Augenblick alles andere als alltäglich weitergesponnen werden, und unheimliche, fast verstörende Orte entlang einer Straßenbahnlinie. Orte, denen die Menschen abhandengekommen sind. Feuchtenberger schafft aus der Realität der Städte phantastisch Surreales, lässt viel Raum für Interpretation und erlaubt der Leserin dadurch in den Geschichten ein wenig verloren zu gehen.
bw
Anke Feuchtenberger: Die Spaziergängerin. Graphic Novel. 80 Seiten, Reprodukt, Berlin 2012 EUR 20,60