(Kunst-)Beiträge zur „Störung postnazistischer Zufriedenheit” von knapp 80 Künstler_innen und Autor_innen (geschlechterparitätisch) haben Lisa Bolyos und Katharina Morawek zusammengesucht und in einem faszinierenden Band versammelt. Sie veranschaulichen, was es an wissenschaftlichen, theoretischen und künstlerischen Texten, Installationen, Performances, Aktionen, Projekten, Beschädigungen, sprich Kunstinterventionen, gab und gibt, die sich politisch den Nachwirkungen des Nationalsozialismus in den Weg stellen. Wo wirken Kontinuitäten weiter, wo fehlt Gedenken, wo konnte schmerzlich irritiert werden und wo blieb – wie im Titel – der Schaden trotz zerstörter Diktatorpuppe gering? Dem zugrunde liegt immer wieder auch die Reflexion dessen, was die handlungsbezogenen Stärken künstlerischer Methoden sein könnten und wie diese in transnationalen Zusammenhängen (und nicht z. B. staatsidentitätsstiftend) denkbar sind. Informativ, gehalt- und teils auch humorvoll sind die reich bebilderten Aktivitäten, die in dieser Fundgrube des „Nie Wieder” in neun exemplarische Schauplätze unterteilt wurden. Der Band erfüllt somit zwei Ziele gleichzeitig – Dokumentation und Reader –, was ihn in dieser Komplexität und seiner grafischen Aufbereitung nicht uneingeschränkt leicht erschließbar macht. Über viele der beeindruckenden Ideen, Gedanken und Taten lässt sich sonst kaum irgendwo nachlesen, hier liegen sie gesammelt vor und erfahren verdientermaßen (mehr) Auseinandersetzung und Öffentlichkeit – und hoffentlich Fortsetzungen.
mel
Diktatorpuppe zerstört, Schaden gering. Kunst und Geschichtspolitik im Postnazismus. Hg. von Lisa Bolyos und Katharina Morawek. 368 Seiten, Mandelbaum Verlag, Wien 2013 EUR 19,90
Zwar beschäftigten sich namhafte Denker_innen wie Georg Simmel oder Walter Benjamin bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Phänomen Mode, doch erst den so genannten Fashion Studies ist es gelungen, Mode als seriöses Forschungsthema im akademischen Feld zu positionieren. Eine kluge und kompakte Einführung in die Materie bietet nun der von Sonja Eismann in der absolute-Reihe herausgegebene Sammelband. Die einzelnen Abschnitte – „Klasse”, „Distinktion”, „Utopie” und „Abweichung” – werden von historischen Essays der Herausgeberin jeweils kompetent eingeleitet. Sie umfassen Grundlagentexte, die zwischen 1853 und 2012 erschienen sind, und verhandeln Mode unter der Perspektive von Klasse, Geschlecht und Identität, Kunst, Konsum und Produktionsbedingungen.
Die Fülle an angesprochenen Themen – darunter Streetstyle, Haute Couture und Arbeitskleidung, Drag, Codes und Subkultur oder das (angespannte) Verhältnis von Mode und Feminismus – spiegelt die Vielschichtigkeit, aber auch alltägliche Unvermeidbarkeit von Mode wieder: „Der Mode kann man sich faktisch kaum entziehen: Selbst wer die Mode meidet, bezieht sich noch auf sie und erkennt implizit ihre Macht an.” Eine lohnende Lektüre, die anregende Einblicke in Modediskurse, Modetheorien und Modegeschichte bietet, und Lust macht, weiter über Bekleidung, Mode, Stil und Geschmack nachzudenken.
natascha vittorelli
absolute Fashion. Hg. von Sonja Eismann. 221 Seiten, Orange Press, Freiburg 2012 EUR 18,50
Once, Still & Forever ist das neueste Fotoprojekt der 1970 in Deutschland geborenen Fotografin Jessica Backhaus. Mit 16 Jahren verließ sie Deutschland, um in Paris Fotografie zu studieren. Dort lernte sie die berühmte Fotografin und Fotohistorikerin Gisèle Freund kennen, die ihre Mentorin und Freundin wurde und ihr Werk beeinflussen sollte. Von 1995 bis 2009 arbeitete Backhaus als Fotografin in New York, um danach nach Deutschland zurückzukehren.
In dem vorliegenden Buch als auch in ihren Fotoprojekten davor setzt die Fotografin Farbe als spezifisch gestalterisches Mittel ein und erinnert damit an William Eggleston, Saul Leiter oder Helen Levitt als Vertreter der "New Color Photographie" der 1970er Jahre. Die zum Teil fast malerisch wirkenden Farbkompositionen zeigen Stillleben des Alltags, Spiegelungen, Schattenspiele, Fensterdurchblicke, Bruchstücke. Sie sind allesamt zeitlos und können auch keinem spezifischen Ort zugewiesen werden. Der Swimmingpool, die Stiege, die Landschaft, die Hauswände, die Gärten, alles alltägliche Motive, die erst durch die Farbkomposition und den persönlichen Blickwinkel der Fotografin zu etwas Besonderem werden. Es ist speziell der poetische Blick auf alltägliche Dinge, eingefangen im scheinbar flüchtigen Moment des Fotografierens, welche die Bilder von Backhaus so einzigartig machen. Die Zeit, die im Moment des Auslösens der Kamera zum Stillstand kommt, ist das Grundmotiv, welches sich durch das gesamte Oeuvre der Fotografin zieht und sich auch als Zitat im Titel dieses Bildbandes wiederfindet.
Frauke Kreutler
Jessica Backhaus: Once, Still and Forever. Texte von Elisabeth Biondi, Jean-Christophe Ammann und Jessica Backhaus. 88 Seiten, Kehrer Verlag, Heidelberg-Berlin 2012 EUR 49,40
Die in Wien lebende Fotografin Aleksandra Pawloff hat 60 in Österreich lebende Frauen unterschiedlichster Herkunft porträtiert und sie gefragt, was sie in ihrem Leben geprägt hat und wie ihr Leben als Mann verlaufen wäre. Auf jeder Doppelseite spricht links das Bild der erfolgreichen Frauen, die jeweils im Kontext ihres Arbeitsfeldes fotografiert wurden, und rechts der Text. In den Auskünften der Porträtierten zieht sich durch, dass sie mutig und risikobereit, beharrlich und diszipliniert waren bzw. sind. Ihre Vorstellungen über ihr mögliches Leben als Mann offenbaren dann in amüsanter Weise die enorme Bandbreite des Umgangs mit Geschlechterbildern: Es wäre leichter, schwerer, besser, schlechter, gleich gewesen, eine sieht das altersabhängig, eine wäre Don Quijote geworden, eine sieht im selben Atemzug keinen Unterschied, sie wäre nur erfolgreicher gewesen. Die schwarz-weiß Fotografien von Aleksandra Pawloff beeindrucken durch eben diese Unmittelbarkeit und Präsenz, die Blicke der Frauen sind bei aller Unterschiedlichkeit klar und ruhig, so selbstbewusst wie ihre Aussagen. Und so öffnet Pawloff zeitgleich auf Text- und Bildebene den weiten Raum für Erzählungen vom Prägenden und Imaginären.
mel
Aleksandra Pawloff: SELBSBEWUSST. Frauen die ihren Weg gehen. Mit 60 Fotografien. Mit einem Vorwort von Walter Kappacher. 128 Seiten, Metroverlag, Wien 2013 EUR 19,90
Paris, Café de Flore, 1936: Drei Freund_innen treffen sich auf einen Kaffee. Eine davon (Meret Oppenheim) trägt einen Armreif, der mit Tierfell bezogen ist. Die anderen beiden (Dora Maar, Pablo Picasso) bewundern das Schmuckstück. Der Freund sagt: Da könnte man ja alles Mögliche mit Pelz beziehen. Ja, erwidert die Schmuckträgerin, zum Beispiel diese Tasse hier. Wenig später wird Oppenheim (damals 23) zur Beteiligung an einer Ausstellung der Surrealist_innen in der Galerie Cahiers d’Art eingeladen. Sie greift den Kaffeehauswitz auf und überzieht eine Tasse mit Pelz; in einer Spontaneität und Spaßbetontheit, die ihre Ablehnung des Geniebegriffs doppelt und dreifach unterstreicht. Die Tasse avanciert zum Inbegriff des surrealistischen Kunstwerks.
Meret Oppenheim ist 1932 nach Paris gezogen, hat sich dort mit einer dokumentierten Leichtigkeit in Künstler_innenkreise eingeschrieben und ihrem Hang zu Entwurf und Produktion kleinformatiger, lustig-ernster Gegenstände gefrönt. Sie entwarf Tellerknöpfe, an deren Seiten sie Besteck stickte; formulierte das Ohr von Giacometti in eine Hand und eine Pflanze um und goss es – souvenirgleich – in Bronze; entwarf ein kleines Nestchen mit Eiern drin, das sich als Schmuck in die Ohrmuschel stecken lässt.
In der Insel-Bücherei ist mit der Nummer 1374 nun eine (kleine, lustig-ernste) Sammlung von Oppenheims Entwürfen und Briefen erschienen. Eingepackt in das Insel-übliche Umschlagpapier, das das Büchlein wie ein Geschenk wirken lässt – zum heurigen, hundertsten Geburtstag der Künstlerin.
Lisa Bolyos
Meret Oppenheim: „Warum ich meine Schuhe liebe”. Hg. und mit einem Nachwort von Christiane Meyer-Thoss. 96 Seiten, Insel Verlag, Berlin 2013 EUR 14,40