LesbenromaneAktuelle Ausgabe: Lesbenromane

Generationen als emotionales Netzwerk

Wenn Sie zu jenen Leser*innen gehören, die sich nie besonders für kitschige Herzschmerz-Lesbenliebesromane erwärmen konnten, aber trotzdem auf eine lesbische storyline nicht verzichten wollen, sollten Sie den Debütroman von Dorit David „Gefühl ohne Namen” zur Hand nehmen. Dorit David erzählt darin in einer sensiblen und diffizilen Sprache die schwierige Beziehung zwischen der Protagonistin Laetitia, ihrem 15-jährigen Sohn Eric und ihrer Mutter Hanna. Dabei geht es weniger um die Darstellung eines Generationenkonflikts als um das fragile emotionale Netzwerk zwischen den Protagonist*innen, das durch die jeweils eigenen individuellen Verletzungen, zerstörten Wünsche und Erfahrungen der Zurückweisung in Vergangenheit und Gegenwart beeinflusst wird. So wird erst im Laufe des Romans deutlich, wie stark die täglichen Routinen von Hanna – gegen die sich ihre Tochter Laetitia bis ins kleinste Detail abgrenzen muss – durch ihre Erfahrungen von Flucht, Verlust und Mangel während und nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt sind und wie sich wiederum die daraus resultierende schwierige Beziehung von Großmutter Hanna und Mutter Laetitia auf Eric auswirkt. Als sich Laetitia jedoch emotional mehr und mehr ihrer neuen Liebe Mabel öffnet, ihre Mutter nach einem Schlaganfall im Koma liegt und Sohn Eric aus Schock von zuhause fortläuft, weicht die lang verdrängte und unausgesprochene emotionale Prekarität zwischen den Protagonist*innen einem langsamen Verständnis füreinander. Ein gelungener und empfehlenswerter Roman über das lange Nachwirken von Flucht- und Kriegserfahrungen innerhalb von Familien, dargestellt ohne Rückgriffe auf heteronormative Selbstverständlichkeiten! Christine Klapeer, Lila Tipp Lesbenberatung
 
Dorit David: Gefühl ohne Namen. Roman. 340 Seiten, Querverlag, Berlin 2012 EUR 15,40

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Literatur als Über-/Lebensmittel

Schlüssel zu ihren Büchern und zu ihrem Schreiben: So lässt sich dieses wohl persönlichste Buch von Jeanette Winterson beschreiben und darauf verweist sie im Text auch immer wieder selbst. Aus „Orangen sind nicht die einzige Frucht” sind Elemente ihres Aufwachsens als Adoptivtochter einer extremistisch religiösen Mutter, von der der fantastische Titel stammt, und eines passiven Vaters bereits bekannt – nun bietet sie literarisch verarbeiteten Einblick in diese von Irrwitz geprägte Kindheit und lesbische Jugend aus der Distanz mehrerer Jahrzehnte und durchlaufener psychischer Abgründe. Diese reichen bis zum Suizidversuch und werden von ihr mit der menschlichen Sehnsucht nach Liebe und Angenommensein in Zusammenhang gebracht. Worte, Bücher, Texte haben Jeanette Winterson mit all ihrer Eigenwilligkeit überleben und schreiben lassen, die Geschichte von Manchester, anderer Lesben, der Arbeiterschicht und des Bildungswesens positioniert sie als wichtige Kontexte. „Prosa und Gedichte sind wie Medikamente. Sie heilen den Riss, den die Wirklichkeit in die Vorstellungskraft schneidet.” Dramatisch gestaltet sich schlussendlich ihre Suche als bekannte Person nach der vermeintlich toten, leiblichen Mutter. Unterstützt von ihrer Geliebten Susie Orbach tritt sie diese schmerzliche Reise zu sich selbst an, um zu verstehen, um bei sich anzukommen, um Liebe geben und nehmen zu lernen, und schreibend einen weiteren Lebensabschnitt zu beginnen. Warum Winterson das alles öffentlich machen wollte, ist mir nicht nachvollziehbar, aber: „Es ist eine wahre Geschichte und dennoch nur eine Version.” mel
 
Jeanette Winterson: Warum glücklich statt einfach nur normal? Übersetzt von Monika Schmalz. 250 Seiten, Hanser Berlin, München 2013 EUR 19,50

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Ein langer Weg

In ihrem neuen Buch schildert Karen-Susan Fessel das Beziehungsleben von Jona, einer urbanen, berufstätigen und ziemlich gesettelten Lesbe. Sie lebt in einer Langzeitbeziehung mit Sille, die jedoch trotz aller Liebe durch eine gewisse Distanz gekennzeichnet ist, und verfällt auch prompt einer unbekannten Frau in einem Community-Lokal, die am anderen Ende der Tanzfläche steht. Allerdings dauert es lange Jahre, bis Jona weiß, was sie will und sich mit aller Leidenschaft auf die neue Frau einlassen kann. Während alle Figuren gut charakterisiert sind, erfährt man von dieser unbekannten und bis zuletzt namenlosen Frau beim Lesen eigentlich leider nichts, außer dass sie offenbar sehr geduldig beim Warten ist und im richtigen Moment am richtigen Ort auftaucht. Fessel beschreibt jede Szene sehr ausführlich, frau kann sich gut vorstellen, wie es überall riecht, schmeckt, aussieht, auch wie es Jona gefühlsmäßig geht, manchmal wirkt das Ringen um Loslassen und Klarheit jedoch ein wenig pathetisch, manchmal geht es unter die Haut. gam
 
Karen-Susan Fessel: was du willst. Roman. 134 Seiten, Querverlag, Berlin 2013 EUR 13,30

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Das L-Wort auf Italienisch

Chiara heißt die chaotische, liebesbedürftige Heldin dieses Lesbenromans, Simona ist ihre beste Freundin, die durch geradezu übersprühenden Optimismus auffällt und die anderen sind eine Horde (mehr oder weniger) lesbischer Frauen, die in das Mailänder Nachtleben ausschwärmen, um Glück, Sex oder auch andere Dinge zu finden. Und unter diesen anderen Dingen tritt – so die Rahmenhandlung – zunächst die Suche nach den Ursachen eines mörderischen Verbrechens hervor. Chiara, die gerade ihren autobiographisch motivierten Film „Volevo solo un biglietto del tram” (Ich wollte doch nur eine Straßenbahn-Fahrkarte, so auch der Titel der italienischen Originalausgabe, der sich fortsetzen ließe: „und verliebte mich dann immer in die falschen Frauen”) drehen möchte, ist nämlich ihre Hauptdarstellerin abhanden gekommen. Ein vorgetäuschter Selbstmord stellt sich rasch als Mord heraus und eine attraktive Kommissarin versetzt die Szene in gehörig-ungehörigen Aufruhr. Ein durchwegs amüsanter Roman, in dem schöne und begehrenswerte Frauen einen überdurchschnittlich hohen Anteil des lesbischen Universums ausmachen: abtauchen, mitschwärmen und mitlachen. Kordula Knaus
 
Sarah Sajetti: Chiara, Simona und die anderen. Roman. 249 Seiten, Krug & Schadenberg, Berlin 2012 EUR 17,40

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Lesben in Hosen

Eva und Heinrich sind Cousine und Cousin zweiten Grades und Anfang 20, als sie sich auf einer Familienfeier darüber verständigen, lesbisch bzw. schwul zu sein. Nachdem Heinrich im Falle einer Heirat eine große Wohnung in Berlin samt Vermögen in Aussicht gestellt wurde, beschließen die beiden einander zu heiraten. In Berlin 1931-1932 gehen ihre Wünsche in Erfüllung, die Bars und Clubs stellen Welten für sich voller Abenteuer, Lust und Freude dar. Pro Kapitel wechseln sich Evas und Heinrichs Perspektiven ab, sie leben separat, erleben zahlreiche Affären und schließlich die große, erfüllende Liebe. Eingebettet ist dies in viele historische Kontexte: die jüdische Ärztin der Armen, homophobe Schwule in der SA, skandalöse Frauen in Hosen und in geringer Zahl an der Universität. Doch privates wie politisches Unheil zieht sich zunehmend zusammen: Ein unangenehmer Vetter zieht ein und findet sein Glück in der SA, die spendable Tante Rosemarie mit falschen Erwartungen taucht auf, antisemitische Vorfälle und Übergriffe häufen sich, das politische Klima wird rauer, die Clubs leerer. Heny Ruttkay schafft es, Unruhe und Sorge, Hoffen und Wünschen der ProtagonistInnen so in den Text zu übertragen, dass – entgegen allem historischen Wissen – ein Bangen um einen möglicherweise doch anderen Ausgang einsetzt, was die Lektüre dramatisch und spannend gestaltet. Dass „Kurt” für mehrere Seiten plötzlich „Karl” heißt, wäre eine vermeidbare Schlamperei in dem flüssig lesbaren Roman, der mit dem Anfang vom Ende dieser Subkultur endet, die verführerisch beschrieben ist. mel
 
Heny Ruttkay: Gestohlene Tage. Historischer Roman. 287 Seiten, Querverlag, Berlin 2013 EUR 15,40

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Kreuzfahrt mit Butch und Femmes

Eine Kreuzfahrt durch die Karibik mit einer Gruppe von sechs flotten Lesben verspricht Herz-Schmerz, Romanze, Leidenschaft, wundervolle Inseln und blaues, blaues Meer... Drei der Hauptpersonen sind modebewusste Boutique-Besitzerinnen, und bis die wunderschöne Nathalie endlich von ihrer bösen, grausamen Ex-Freundin emotional davonkommt und zu ihrer Kabinengefährtin Kelly finden kann, findet manch Mayonnaisesalat den Weg über die Reling. Leider strotzt die Weiterentwicklung in Nathalies Leben über hunderte von Seiten von einer viel zu selten widersprochenen, extrem unangenehmen Butch-Feindlichkeit von Lesbenseite (Bella Bohrmaschine, die sieht so aus, dass man doch gleich mit einem Mann zusammen sein könnte, so ohne Ohrringe, dass man zweimal gucken muss, was sie ist...), und bis sich Nathalie an das Aussehen ihrer neuen Geliebten gewöhnen konnte und deren galante Seele sie einnehmen kann, ist zumindest die Leserin beleidigt und verdrossen. Ach, und die karibische Inselwelt bleibt nur zu oft bloße Shopping-Kulisse, schließlich „haben viele Menschen für Schwule und Lesben auf diesen Inseln hier nicht viel übrig.” Ich rate dazu, das Geld lieber für einen abartigen Kurzhaarschnitt und Cargo-Shorts als dieses Buch auszugeben. Karin Schönpflug für den Lila Tipp
 
KG MacGregor: Liebe in Sicht. Ein Kreuzfahrtroman. Übersetzt von Andrea Krug. 301 Seiten, Krug & Schadenberg, Berlin 2012 EUR 17,40

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Ein Leben als Katze

Welch überraschender Kleinod verbirgt sich hinter diesem platten Titel! Einer der seltenen dystopischen lesbischen Sci-Fi Romane! Detailreichst und clever ausgeschmückt versetzt Toni Lucas die Leserin in ein Leben der unteren Klassen, wo die Wahl der Dienste für die wenigen reichen Alpha-StadtbewohnerInnen teilweise skurrile Erniedrigungen bietet: Anais Munroe hat für vier Jahre ein Leben als Ersatz-Katze (echte Haustiere sind ausgerottet) bei einer reichen Herrin gewählt, um sich dann endlich einen vernünftigen Job kaufen zu können. Doch nichts läuft wie es soll, die Beziehung im Katzenhaushalt ist schwierig, die Liebschaft mit einer anderen Katze ist nicht das Wahre und schließlich gerät Anais in das Fadenkreuz der Macht dieser korrupten, von Pharmakonzernen kontrollierten Welt... Unterhaltsam, spannend, voller Leidenschaft und kinky: Wird ihr tatsächlich das Halsband abgenommen werden und sie eines Tages frei sein? Karin Schönpflug für den Lila Tipp
 
Toni Lucas: Gefährliche Sehnsucht. Fantastischer Liebesroman. 239 Seiten, édition el!es, 2012 EUR 16,40

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Coming Out mit Walkman

Dieses Buch ruft einige Erinnerungen bei den Leser_innen wach, die Ende der 1980er-Jahren jung und pubertär waren – keine Handys, dafür ein Walkman mit Kassetten, Tschernobyl noch ganz nahe und Christiane F. ein Begriff. Melanie, Bettina und Vera durchleben eine schwierige Zeit: Vater Bernd hat sich absentiert, Mutter Vera spricht dem Alkohol zu, die ältere Tochter Bettina versucht ihre Rolle zu übernehmen, um die Normalität aufrechtzuerhalten, und Melanie rebelliert knapp an der Magersucht schrammend vor sich hin. Jede der drei Frauen sucht ihren Weg, und diese Wege driften immer mehr auseinander. Melanie hat in dem kleinen Kaff Gummadingen in Süddeutschland den Blues. Sie ist so genervt: Vom Pärchengetue der Schulfreundinnen, vom Vater, der sich nicht mehr bei ihr meldet, vom „Katholikenscheiß”, vom Spießerfreund der Schwester und von der mit sich selbst beschäftigten Mutter. Ihre ersten sexuellen Erlebnisse, die so gar nicht den Vorstellungen ihrer Freundinnen entsprechen, lassen ein Coming Out schon erahnen. Melanie verändert sich von Melli zu Mel, die Haare werden kürzer, und ihre Zukunftsplanung spielt sich eindeutig „in der Stadt” ab, weit, weit weg. Die drei Frauen sind abwechselnd Ich-Erzählerinnen, die Charaktere sind unterschiedlich tief ausgeprägt – Melanie ist eindeutig die Sympathieträgerin, die sich gut entwickelt und Profil hat, Vera und Bettina sind manchmal ein wenig zu einfach dargestellt. Nette Coming-Out-und Landfluchtgeschichte. gam
 
Birgit Utz: Smalltown Blues. Roman. 272 Seiten, Krug & Schadenberg, Berlin 2012 EUR 17,40

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