Der Band geht einerseits aus einer queer-theoretischen Perspektive an Konzepte von Staat- und Staatlichkeit heran und will umgekehrt Heteronormativität aus staatstheoretischer Perspektive untersuchen. Gemeinsame Schnittstelle sind heteronormative Muster in allen gesellschaftlichen Bereichen, also auch der „Staatlichkeit”. Was ist damit gemeint? Aus feministischer Perspektive erweitert der Begriff „Staatlichkeit” den Begriff „Staat”, der herkömmlich immer als Konglomerat von – männlich dominierten – Institutionen konzipiert ist. Staatlichkeit ist also, ähnlich wie Heterosexualität, eine gesellschaftlich hergestellte Normierungsgröße.
Die AutorInnen konstatieren, dass in den letzten Jahren zwar genau im Bereich der sexualisierten Normierung gesetzliche Verbote massiv abgenommen haben, es sich dabei aber nur um eine oberflächliche Verschiebung handelt: Heterosexualität gilt weiterhin ungebrochen als die „Norm” und hat damit die Definitionsmacht über das „Normale” beibehalten. Das gilt für heteronormative Grundannahmen in StaatsbürgerInnenkonzepten (Christine Klapeer) und für staatliche Interventionen in sexuelle Arbeitsteilung (Volker Woltersdorf). Heterosexualität ist auch Voraussetzung und gleichzeitig Effekt moderner staatlicher Macht selbst (Gundula Ludwig). Die Verbindung mit konkreten Spielräumen und Veränderungsmöglichkeiten anhand einer Filmanalyse von Angelina Maccarones „Verfolgt” aus dem Jahr 2006 (Antke Engel) hat den Band für mich besonders lesenswert gemacht.
Alice Ludvig
Que[e]r zum Staat. Heteronormativitätskritische Perspektiven auf Staat, Macht und Gesellschaft. Hg. von Helga Haberler, Katharina Hajek, Gundula Ludwig und Sara Paloni. 227 Seiten, Querverlag, Berlin 2012 EUR 15,40
Wenn die Linke nicht feministisch ist, dann ist sie nicht links, meinte schon Simone de Beauvoir und demgemäß gäbe es, folgt man der Soziologin, ehemaligen Realpolitikerin (Die Grünen) und feministischen Aktivistin Müller, bis heute keine linken Organisationen. In einer faszinierenden, sachlich fundierten und lesefreundlich aufbereiteten tour de force werden die Einflüsse gesellschaftlicher, ökonomischer Entwicklungen auf feministische Inhalte und Formen – und umgekehrt – aufgezeigt: in einem „Lesebuch” die Geschichte und Theorienentwicklung der Frauenbewegungen (USA, BRD, DDR), die herkünftig aus sozialistischen Kontexten kommen und diese überschritten; in einem „Handbuch” der Einfluss des praktischen Neoliberalismus’ und theoretischen Dekonstruktivismus’ auf feministische Schräg/Lagen; in einem „Traum- und Kursbuch” der inhaltliche wie organisatorische Sexismus in links/alternativen Gruppierungen und wie dieser durch eine strukturelle Feminisierung und den Einbezug feministischer Erkenntnisse endlich überwunden werden könne. Das wäre auch eine Notwendigkeit, denn die systemsprengenden Wünsche nach sozialen, kulturellen und politischen Paradigmenwechsel der Zweiten Frauenbewegung sind bis heute nicht nur nicht eingelöst, sondern heimatlos geworden.
Birge Krondorfer
Ursula G.T. Müller: Dem Feminismus eine politische Heimat – der Linken die Hälfte der Welt. Die politische Verortung des Feminismus. 368 Seiten, Springer VS, Wiesbaden 2013 EUR 41,10
In diesem Sammelband soll das Begriffspaar „Inklusion/Exklusion” eine gemeinsame Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem Thema „Migration” schaffen. Leider ist die abhängige Variable „Migration” zu weit gefasst, um dem Anspruch gerecht zu werden. Der sehr allgemeine Titel „Politik der Exklusion und Inklusion” deutet bereits auf die lose Überdachung hin. Mit diesem Problem sind viele Sammelbände konfrontiert, die ausgesprochen unterschiedliche Forschungsprojekte unter einen Hut bringen (sollen?). Zur besseren Lesbarkeit lege ich einigen VerfasserInnen zudem ans Herz, ihre vierzeiligen Schachtelsätze zu trennen. Abgesehen von solchen Ärgerlichkeiten stechen im Mittelteil drei außergewöhnlich gut recherchierte und empirisch interessante Beiträge hervor: Sieglinde Rosenberger und Jakob Winkler können erstmals am Beispiel Österreich nachweisen, wie durch räumliche Nähe und Kontakt Abschiebungsproteste verstärkt werden. Amanda Klekowski von Koppenfels zeigt, dass sehr ähnliche StaatsbürgerInnentests (USA und Deutschland) allein aufgrund des Kontexts zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Julia Mourão Permoser kommt am Beispiel der österreichischen Integrationsvereinbarung zu dem Schluss, dass ausschließende Rhetoriken in der Praxis nicht unbedingt Wirkungsmacht zeigen müssen. Leider verschlechtert die Gesetzesnovelle 2011 diesen Befund.
Alice Ludvig
Politik der Inklusion und Exklusion. Hg. von Ilker Ataç und Sieglinde Rosenberger. 237 Seiten, V&R unipress, Göttingen 2013 EUR 26,80