PsychologieAktuelle Ausgabe: Psychologie

Schuldübernahme als Selbstschutz

Die Autorin legt mit ihrer Diplomarbeit – zur Bedeutung des Schuldgefühls bei weiblichen Missbrauchsopfern – ein wichtiges Buch vor. Es geht um die Innenperspektive der Betroffenen, ihr subjektives Erleben des Schuldgefühls. Die Autorin fragt nach dem Entstehungszusammenhang, den Auswirkungen und den Möglichkeiten der Überwindung dieses Phänomens. Vor allem den letzten beiden Aspekten wurde in der Fachliteratur bisher zu wenig Beachtung geschenkt. Die Schuldgefühle, mit ihrem Kernaspekt, dem Wunsch nach Kontrollerhalt, stellen einen überlebenswichtigen Selbstschutzmechanismus dar. Zwar notwendig zur Abwehr der enormen Hilflosigkeit bedeuten sie doch einen großen Leidensdruck für die Frauen mit weitreichenden Auswirkungen auf ihr Selbstbild, ihr Verhalten bis hin zu psychogenen Schmerzen. Die Autorin orientiert sich im Theorieteil an psychoanalytischen Ansätzen (Ferenzi, Gruen) und an der Traumatherapie (Fischer & Riedesser). Ihre methodische Herangehensweise ist qualitativ, sie verwendet halbstrukturierte leitfadenorientierte Tiefeninterviews und arbeitet mit psychoanalytischer Textinterpretation. Besonders gefällt mir, dass sie die Betroffenen im Forschungsprozess als Verbündete bzw. Mitforscherinnen sieht. Das Buch ist speziell geeignet für ein Fachpublikum, das mit Betroffenen arbeitet. Als praktisches Ergebnis stellt die Autorin ein Prozessmodell zur Überwindung der Schuldgefühle vor, das sehr gut von BeraterInnen und PsychotherapeutInnen verwendet werden kann. Susanne Schweiger
 
Juliane Jelinski: Es war nicht deine Schuld. Eine empirische Studie zur Bedeutung des Schuldgefühls bei weiblichen Opfern sexuellen Missbrauchs in der Familie. 314 Seiten, Psychosozial Verlag, Gießen 2012 EUR 30,80

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Freundinnen der Psychoanalyse

Seit Beginn der Frauenforschung, dann der Feministischen Forschung und Theoriebildung, jetzt der Genderforschung gab es viel Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse. An prominenter Stelle sei hier Juliet Mitchell genannt, auf die auch in diesem Sammelband an erster Stelle eingegangen wird. „Viel an patriarchalen Substraten” musste bearbeitet werden, aber das „Abtragen des phallogozentristischen Substrates” war und ist auch produktiv. Zentral für die Autorinnen (Anna Babka, Marlen Bidwell-Steiner, Beate Hofstadler, Ortrun Hopf, Ulrike Kadi, Brigitta Keintzel, Eva Laquièze-Waniek, Susanne Lummerding, Juliet Mitchell, Wolfgang Müller-Funk, Alice Pechriggl, Ilka Quindeau und Alenka Zupančič) ist eine zeitgenössische Rezeption und Diskursivierung der Psychoanalyse freudscher und lacanscher Prägung. Dies zeigt, dass die Psychoanalyse – gegendert – auch heute noch Relevanz hat und selbst die – mittlerweile „abgetragenen” – freudschen Ansätze noch aktuell sind. Aktualisiert und weitergedacht wird in den Bereichen Theorie, Ethik, Politik und Praxis. Die Beiträge widmen sich ganz unterschiedlichen Aspekten, unter anderem der Einbeziehung der Geschwisterebene, der Subjektkonstitution, der Vergeschlechtlichung des Subjekts, dem Genießen und der sexuellen Differenz als ontologische Frage. Der Band ist hoch theoretisch und sehr elaboriert und somit für ExpertInnen der Theorie der Psychoanalyse geeignet, von einer Praxis erscheint er mir jedoch weit entfernt. Susanne Schweiger
 
Obskure Differenzen. Psychoanalyse und Gender Studies. Hg. von Marlen Bidwell-Steiner und Anna Babka. 272 Seiten, Psychosozial Verlag, Gießen 2013 EUR 25,60

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