Technik/NaturwissenschaftenAktuelle Ausgabe: Technik/Naturwissenschaften

„Es genügt das Mögliche im Wirklichen aufzusuchen”

Sammelbände, die sich einem konkreten theoretischen Konzept widmen, haben den wesentlichen Vorteil, auch ohne große Abstimmung der Einzelbeiträge gute Resonanzen zu erzeugen. Zumindest wenn dieses Konzept von allen AutorInnen auch ernsthaft aufgegriffen wird. Bei gelungener Auswahl gewinnt der Band dann sogar durch die Unterschiedlichkeiten und punktuellen Widersprüchlichkeiten. Dies ist auch hier der Fall. Das Konzept der Biopolitik inspiriert zu gesellschaftskritischen Dekonstruktionen (etwa Bettina Bock von Wülfingen), zu Foucault-kritischen Analysen (etwa Susanne Lettow) wie auch zu Kritik an der Foucault-Rezeption (etwa Mike Laufenberg). Dabei gehen die Beiträge immer über eine ausschließliche Foucault-Fixierung hinaus, was letztlich auch dem zweiten Angelpunkt des Bandes zu verdanken ist: der Geschlechtsthematik und der reichhaltigen Bezugnahme auf feministische TheoretikerInnen. Ergänzend noch eine Bemerkung zum Leseerlebnis der diskurskritischen Texte: Die Lektüre fühlt sich schon immer wieder wie ein Ritt auf einem Rodeopferd an. Glücklich, wer zwischen den linguistischen Bocksprüngen der einzelnen Sätze nicht auf den eigenen (kognitiven) Hosenboden fällt. Der hohe Anspruch an begriffliche Präzision und diskursive Emanzipation mündet zwar manchmal in richtige Satzkunstwerke mit hohem aphorismischem Potenzial (wie das titelgebende verkürzte Zitat dieser Rezension aus dem Text von Laufenberg), aber nicht zwingend in rhetorische Verdaulichkeit. Karen Kastenhofer
 
Biopolitik und Geschlecht. Zur Regulierung des Lebendigen. Hg. von Eva Sänger und Malaika Rödel. 288 Seiten, Westfälisches Dampfboot, Münster 2012 EUR 30,80

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Zugriff auf Leben und Körper

Mit dem Begriff ‚Bioökonomie’ beschreibt S. Lettow die Neuausrichtung der Wirtschaft auf Biotechnologien, aber auch die kritische Analyse dieser Form von Biopolitik. Der Herausgeberinnen-Band zeigt an verschiedenen Beispielen, wie Körper und Körpersubstanzen ökonomisch verfügbar gemacht und kapitalistisch verwertet werden. Dabei verändern sich soziale Körper- und Selbstbezüge und ökonomische Verhältnisse. Biowissenschaftliche Diskurse sind von der Vorstellung vom Eigentum am eigenen Körper geprägt und appellieren an ein altruistisches Zurverfügungstellen von Körpersubstanzen und Biodaten. Ihre kapitalistische Verwertung durch technologische Verfahren und die Vermarktung von Forschungsergebnissen wird in einer Perspektive, die soziale Machtverhältnisse und den größeren Kontext des bioökonomischen Umbaus von Politik und Wirtschaft außer Acht lässt, allerdings nicht problematisiert. Genau hier setzt der Band in seiner Sammlung von Aufsätzen an. C. Thomson analysiert etwa, wie es die Universität Kalifornien, die Studierende zur Abgabe von DNA-Proben aufforderte, verabsäumte, über deren weitere Verfügungsrechte zu informieren. K. Schultz und K. Braun zeigen, wie durch das Konzept der altruistischen Eizellen-Spende der monetäre Gebrauchswert der Eizelle in Reproduktionsmedizin und Stammzellenforschung unsichtbar gemacht wird (K. Schultz/K. Braun). Der Band macht in eindrucksvoller Weise verständlich, wie unterschiedliche technowissenschaftliche Praktiken zusammenspielen und durch die ‚Kontrolle von Biomasse’ (P. Schaper-Rinkel) global wirtschaftliche und politische Verhältnisse umgestalten. dallh
 
Bioökonomie. Die Lebenswissenschaften und die Bewirtschaftung der Körper. Hg. von Susanne Lettow. 183 Seiten, transcript, Bielefeld 2012 EUR 24,50

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