Auto/BiografienAktuelle Ausgabe: Auto/Biografien

Frauen in weiß – Stimmen gegen den Krieg

Mit Gbowees Autobiografie liegt ein Werk vor, das die Frauen Liberias aus dem Abseits ins Zentrum des Geschehens um den Bürgerkrieg rückt, der das westafrikanische Land zwischen 1989 und 2003 destabilisierte. Auf der Basis einer sehr persönlichen Geschichte erläutert die Friedensnobelpreisträgerin die marginalisierte Stellung von Frauen in Familie und einer von Krieg begleiteten Gesellschaft. Gbowee wächst in einer behüteten Gemeinschaft heran, die Zukunft steht ihr offen. Siebzehnjährig wird sie erstmals mit dem Krieg konfrontiert, Tod, Flucht und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit begleiten sie von nun an. Eine Beziehung, die von sexueller Gewalt geprägt ist und aus der vier Kinder hervorgehen, erschwert die Selbstverwirklichung Gbowees zusätzlich. Erst durch eine Ausbildung als Sozialarbeiterin gewinnt sie wieder an Zuversicht. Ihre Arbeit mit geflohenen Frauen aus Sierra Leone und ehemaligen Kindersoldaten und -soldatinnen lässt sie aus ihrer Ausweglosigkeit heraustreten und sie beginnt ihr Leben neu auszurichten. Gbowee lebt von nun an dafür, die Frauen des Landes zu ermächtigen ihre Stimme zu erheben. Sie mobilisiert sie für den friedlichen Protest gegen die Diktatur von Charles Taylor und die Missstände in Liberia. Die Veröffentlichung Gbowees ist auch Nichtkundigen zu empfehlen, leicht lesbar bietet sie einen überschaubaren Einblick in den Bürgerkrieg. Ein ergreifendes Buch über das Werden einer Friedensstifterin und die Entstehung eines neuen weiblichen Bewusstseins. Anna Aichhorn
 
Leymah R. Gbowee, Carol Mithers: Wir sind die Macht. Die bewegende Autobiographie der Friedensnobelpreisträgerin. übersetzt von Susanne Held. 319 Seiten, Klett-Cotta, Stuttgart 2012 EUR 22,60

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Weder traurige Asoziale noch tapfere Alleinerziehende

Undine Zimmer ist keine Sozialwissenschaftlerin. Sie ist Journalistin und sie ist als Kind langzeitarbeitsloser bzw. prekär beschäftigter Eltern aufgewachsen. Im Rahmen eines Praktikums bei der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT hat sie 2011 ihre Erfahrungen als sehr beeindruckende Titelstory im Zeit-Magazin veröffentlicht und wurde dafür für den Henri-Nannen-Preis nominiert. Den Preis hat sie nicht, dafür aber einiges an Aufmerksamkeit gewonnen und – „als für mich wichtigste Auszeichnung“ – einen Buchvertrag bekommen. Jetzt liegt ihr Buch vor, in dem sie ihre Erfahrungen als „Hartz-IV-Kind“ weiter ausführt. Mit großer Klarheit hat sie ihre damaligen und heutigen Empfindungen nieder geschrieben. Dabei bringt sie auch die Perspektive ihrer Eltern ein, ihr Buch hat sie in enger Ab- und in Zustimmung mit den beiden verfasst. Seite um Seite kämpft sie dabei auch gegen die in der Öffentlichkeit dominierenden Bilder von Hartz-IV- (oder Mindestsicherungs)-Empfänger*innen als „Jammerlappen, Flaschensammler, … , Asoziale‘, traurige Helden oder tapfere Alleinerziehende“ an und gibt authentische Einblicke in Alltagsrealitäten, die viel zu wenig und viel zu wenigen in ihrer Konkretheit bekannt sind. Ein wichtiges Buch, dem man vor allem wünscht, die richtigen – und dabei vor allem auch die bislang vorurteils- und klischeebeladenen – Leser*innen zu finden. Michaela Moser
 
Undine Zimmer: Nicht von schlechten Eltern. Meine Hartz-IV-Familie. 254 Seiten, S. Fischer Verlag 2013 EUR 19,60

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Ärztin, lesbisch – und out?

Zehn Biografien lesbischer Ärztinnen, in denen der Werdegang und die aktuellen Lebens- und Arbeitsumstände der Frauen geschildert werden, sind das Herzstück des Buches, gerahmt von einem überblick zu thematisch relevanten Veröffentlichungen sowie der Interpretation der Biografien. Neben dem Umgang mit ihrer sexuellen Orientierung im kollegialen Umfeld ist der Kontakt mit Patientinnen und Patienten für lesbische Ärztinnen ein zentrales Thema ihres Berufsalltages. Die ständige, situationsbedingte Auseinandersetzung mit der Frage, wie viel Offenheit in Bezug auf ihr Lesbischsein jeweils möglich ist, ohne Benachteiligungen befürchten zu müssen, zieht sich wie ein roter Faden durch alle Biografien. Die Schilderungen verletzender Erlebnisse oder auch konkreter Ängste wirken teilweise etwas oberflächlich erzählt. Die Autorin gibt auch an, dass die Ärztinnen schon in den Interviews, die den Biografien zugrunde liegen, sehr vorsichtig damit waren, allzu Persönliches von sich preiszugeben, sei es aus Selbstschutz oder um andere Beteiligte nicht zu verletzen. Da sich lesbische Frauen zunehmend mit dem Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ beschäftigen, schildern die Ärztinnen auch ausführlich, wie sie ihr Privatleben gestalten. Ein Buch nicht nur für lesbische Ärztinnen, sondern für alle im Erwerbsleben stehenden Lesben, die erfahren wollen, wie andere Frauen mit Homophobie und Heterosexismus am Arbeitsplatz umgehen und wie sie mit einem anspruchsvollen Job ihr Leben gestalten. Eva S. Götz für die Queer Business Women
 
Helga Seyler: Lesbische Ärztinnen – Erfahrungen und Strategien im Berufsleben (unter Mitarbeit von Inga Frauenschuh). 199 Seiten, Mabuse Verlag, Frankfurt am Main 2013 EUR 20,50

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Selbstinszenierung und Mythos

Spektakulär, schillernd, außergewöhnlich, skurril, aufsehenerregend – das sind die Zuschreibungen, die mit Leben und Person Madame Blavatskys verbunden werden. 1831 als Helena von Hahn im russischen Jekaterinoslaw geboren und der Hocharistokratie entstammend, rebellierte Helena Petrovna Blavatsky bereits früh gegen die gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit und führte bis zur Gründung der Theosophischen Gesellschaft 1875 ein abenteuerliches und unstetes Leben, das von Skandalen, Betrügereien und Fluchten geprägt war. Die historische Bedeutung der bereits zu Lebzeiten weltberühmten Blavatsky besteht allerdings in der Begründung der modernen westlichen Esoterik durch eklektizistische Verschmelzung östlicher und westlicher Weisheitslehren zum System der Theosophie, welche wiederum eine Reihe neuer Lehren, wie die Anthroposophie Rudolf Steiners, hervorbrachte und so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Hermann Hesse, Thomas Alva Edison, James Joyce, Gustav Mahler oder Mahatma Ghandi sowie esoterische Strömungen bis hin zur New-Age-Bewegung maßgeblich beeinflusste.  Die Biografie der umtriebigen Philosophin und Abenteuerin neu zu schreiben, ist eine beträchtliche Herausforderung. Der Wahrheitsgehalt der biografischen Angaben aus unterschiedlichen Quellen ist fragwürdig, Realität und Mythos sind aufs Innigste miteinander verwoben, woran wohl nicht nur ihre Anhänger_innen, sondern vor allem Blavatsky selbst in ihrem Bemühen um Selbstinszenierung den größten Anteil hatte. Allerdings lassen auch die AutorInnen Ursula Keller und Natalja Sharandak, obschon kritische Distanz haltend, eine scharfe Trennung manchmal vermissen. Helga Lackner
 
Ursula Keller und Natalja Sharandak: Madame Blavatsky. Eine Biographie. 357 Seiten, Insel Verlag, Berlin 2013    EUR 25,70 

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Kleinode der Vergangenheit

Mit 80 Jahren hat die Germanistin Ilse Helbich ihren ersten Roman veröffentlicht, anlässlich ihres 90. Geburtstages ehrt der Literaturverlag Droschl nun die Spätberufene und gibt weitere literarische Kostproben heraus. In 58 kurzen unterschiedlichen Texten lässt Helbich in der titelgebenden Sagenstadt „Vineta“ Erinnerungsfragmente aufblitzen. Sie vergegenwärtigt dabei nicht nur die Perspektive, wie Kinder Ereignisse und Erscheinungen in ihrem Alltag oftmals in ihrer spezifisch unvoreingenommenen Weise wahrnehmen, sondern auch Elemente, die mittlerweile als historische ewig weit weg wirken. Doch hier schreibt in klarer, ruhiger Sprache eine Frau, die sich an den Gaslaternenanzünder auf den Straßen Wiens erinnert, an die merkwürdige Bartbinde des Großvaters, der sich täglich vom Barbier rasieren ließ, an die Spucknäpfe, die noch herumstanden, aber nicht mehr im Gebrauch waren, an den „Fetzentandler“ und vieles mehr. 15-jährig verliert sie in einem der Texte erstmals einen Raufhandel gegen ihren drei Jahre jüngeren Bruder „... und da wissen sie beide, dass nun auch in ihrer Kinderwelt die allgemeine Ordnung Gültigkeit genommen hat und Mädchen auf den zweiten Rang gehören – darüber ist kein Wort zu verlieren.“ Ganz offensichtlich hat Helbich dafür wieder eine Sprache gefunden. mel
 
Ilse Helbich: Vineta. 239 Seiten, Literaturverlag Droschl, Graz-Wien 2013 EUR 19,00

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Aus dem Leben erzählt

Acht Frauen, geboren zwischen 1924 und 1950, erzählen ihren Lebensweg. Sie schreiben von ihrem Hineinwachsen in traditionell weibliche Arbeitsfelder. Zitat: „Was brauchst Du die Matura, sagte mein Vater; Du heiratest eh mit achtzehn, dann bekommst Du Kinder und hast einen Haushalt. Dafür braucht man keine Matura“ Zitat Ende. Diese Frauen schreiben von den Umständen, die ihre Ausbildung bestimmten, aber auch von den Chancen, die sie ergriffen, um ihre Träume zu verwirklichen. Träume verwirklichen hieß aber damals vor allem die Herausforderungen des Alltags – Eltern, Kinder, Ehemann betreuen – alleine zu bewältigen. Die patriarchalische Rollenverteilung wurde nie, bei keiner der Frauen, hinterfragt. Die Frauen erzählen ihr Leben klar, ohne Schnörksel, ohne Selbstmitleid. Ein lesenswertes Buch für die EnkelIinnengeneration, würde ich als Jahrgang 1944 sagen. Besonders gut fand ich auch das Glossar am Ende des Buches, voll mit Begriffen, die zwar meiner Generation vertraut sind, aber sicherlich für viele heutige LeserInnen unverständlich sind. Damit nichts verlorengeht... Anita Pirker
 
Kinder – Küche – Karriere. Acht Frauen erzählen. Hg. vom Verein „Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen“, mit einem Nachwort von Jessica Richter und Brigitte Semanek. 354 Seiten, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2013 EUR 24.90

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Keine Heldin

Manuela Wedel ist seit zehn Jahren bei der Berufsfeuerwehr in München. Sie war und ist die einzige Frau auf ihrer Wache. Dass dieser Weg kein einfacher war, liegt auf der Hand. Nicht nur einmal wird ihr als „Quotenfrau“ die Qualifikation abgesprochen. Heute betont sie, dass sie sich sehr gerne mehr Kolleginnen wünschen würde, organisiert Konferenzen der Feuerwehrfrauen in Deutschland und Jahr für Jahr den Girls Day an ihrer Feuerwache. Wedel beschreibt diesen Weg und die Anstrengungen der Ausbildung und des Berufsalltags realistisch und ohne Schönfärberei. Sie sei keine Heldin. Aber ja, als einzige Frau sei sie eine „Exotin“. Ein erstes Treffen mit Kolleginnen anderer Wachen hinterlässt dann auch bleibenden Eindruck: neben dem fachlichen Austausch sind Gespräche zur Vereinbarkeit der 24-Stunden-Schichten mit Familienpflichten befreiend. „So ein Gespräch hätte in meiner Jungsrunde entweder Gähnen oder spöttische Kommentare geerntet.“ Wedels autobiografische Erlebnisse lesen sich unterhaltsam, geben einen witzigen überblick, was einer als Berufsfeuerwehrfrau so alles unterkommen kann. Das kann für junge Frauen, die auf der Suche nach einem passenden Beruf sind, durchaus Vorbildwirkung haben. GaH
 
Manuela Wedel: Wo brennt’s denn? Die unglaublichsten Einsätze einer Feuerwehrfrau. 240 Seiten, Heyne, München 2013 EUR 9,30

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Super-Wonder-Control-Woman

Diana Fey war 14 Jahre alt, als sie während eines Weihnachtsessens im Kreis der Familie beschloss, sich ihrer Nahrung so zu entledigen, wie es schon die alten Römer taten: Finger in den Rachen und wieder raus damit. Der unmittelbare Auslöser an diesem Tag war die Angst davor, genauso dick zu werden, wie es ihr ihre Familienmitglieder prophezeiten. Sie selbst wollte Macht über die Kalorien haben, Macht über den eigenen Körper. So konnte Diana nicht nur Unmengen an Essen erbrechen, sondern auch gleich „alle schlechten Gefühle dieser Welt“. Der „Römer-Sport“ war von da an ihre liebste Freizeitbeschäftigung: „Ich war Super-Wonder-Control-Woman.“ Zwei Jahre später hatte sie die Kontrolle über ihr Leben, über die Kotzerei längst verloren, aber „noch nicht realisiert, dass die Bulimie mich bereits komplett kontrollierte“. Es folgten viele Jahre, in denen aus dem Teenager eine junge Frau wurde, eine Bulimikerin, die sich im Bürojob und hinter viel Makeup und blondierten Extensions fabelhaft verstecken konnte. Sie stolperte von einer katastrophalen Beziehung in die nächste. Dazwischen gab es kotzfreie Tage und Wochen, denn wie gefährlich diese Krankheit ist, dämmerte ihr spätestens beim Blutspucken. Der Weg raus aus der Ess-Brech-Spirale ist aber unheimlich schwer. Diana Fey erzählt ihre eigene Geschichte sehr eindringlich und realitätsnah, mit einer Prise (Galgen)Humor. Durchaus möglich, dass dieser ehrliche und direkte Zugang so mancher an Bulimie erkrankten Frau helfen könnte, selbst den Weg raus aus der Sucht zu finden. GaH
 
Diana Fey: Kotzt du noch oder lebst du schon? Mein Leben mit Bulimie. 368 Seiten, Ullstein extra, Berlin 2013 EUR 15,50

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Erklärungsversuch über Südtirol

Lilli Gruber ist in Südtirol aufgewachsen, hat in Rom steile Karriere als Journalistin gemacht und wechselte in Opposition zu Berlusconi 2004-08 in die EU-Politik. 2010 findet sie das Tagebuch ihrer Urgroßmutter Rosa, das diese 1902-1939 verfasst hat, und verwendet es als Ausgangspunkt und Klammer für ein Buch, in dem sie die Geschichte Südtirols aus der Perspektive des Erlebens mehrerer Frauen ihrer Familie bis hin zu sich selbst erzählt. Dies misslingt über weite Strecken gründlich: Die Passagen, in denen sie vermeintliche Gefühle und Gedanken von Rosa schildert, berühren peinlich angesichts der kitschigen Projektionen und triefen sprachlich vor Pathos. Dazwischen werden historische Geschehnisse dargelegt und es wird versucht, deren mitunter drastische Auswirkungen auf das konkrete Leben ihrer wohlhabenden Südtiroler Familie nachvollziehbar zu machen. Dass Geschichte auch immer eine Frage der Erzählung ist, lässt so manche Interpretation ertragen, dass Gruber von der Frauenbewegung der Jahrhundertwende keine Ahnung hat, ließe sich vielleicht nachsehen: Aber die Opposition gegen den italienischen Faschismus durch ihre glühend-überzeugte nationalsozialistische Tante als „antifaschistischen Widerstand“ zu bezeichnen, geht entschieden zu weit – und ist zugleich Sinnbild immer noch existierenden Umgangs mit „zweierlei Faschismus“ (Verdorfer) in der komplexen Südtiroler Geschichte. Stärken hat der Text jeweils dort, wo Gruber, Italiens berühmteste Journalistin, explizit über sich selbst im Rahmen dieser Geschichte schreibt und nachdenkt – hätte sie es bloß dabei belassen. mel
 
Lilli Gruber: Das Erbe. Die Geschichte meiner Südtiroler Familie. übersetzt von Franziska Kristen. 235 Seiten, Droemer, München 2013 EUR 20,60

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Dorothee Sölle: Erinnerungen und Texte

„Coffee Table Books“ nennt man in England Bücher, die normalerweise großformatig sind und nicht wirklich zum Lesen dienen, sondern – mit vergleichsweise wenig Text und schönen Bildern ausgestattet – eher zum Durchblättern und Anschauen gedacht sind und klassischerweise auf einem Beistelltisch neben einem Sofa platziert werden. Das von der Theologin, Pfarrerin und Sölle-Biografin Renate Wind zusammengestellte kleine Erinnerungsbuch zu Dorothee Sölle und ihre Lebensthemen mutet ein wenig wie ein solches „Coffee Table“ Buch an. In thematisch gereihten 13 Kapiteln, die von Gotteshunger bis Umarmung reichen, werden kurze Texte von Dorothee Sölle gemeinsam mit Bildern aus dem Leben der 2003 verstorbenen berühmten und streitbaren feministischen und politischen Theologin gemeinsam mit einigen Erinnerungen präsentiert. Ergänzt wird das Buch durch eine CD, die gesprochene Texte von und zu Sölle, begleitet von laut Herausgeberin „jazzig interpretierten Lieblingsliedern“, enthält. Auch wenn das Büchlein einige der wichtigen von Sölle meist mit großem Engagement in kirchliche und theologische Debatten eingebrachten Themen enthält, wirklich gerecht scheint es der visionären Kraft der gleichermaßen brillianten wie widerständigen Denkerin und Aktivistin nicht zu werden. Dazu bleibt der Gesamteindruck ein wenig zu lieblich. Als Einstieg mag sich das Buch eigenen, wer sich jedoch ernsthaft für Leben, Denken und Texte Dorothee Sölles interessiert, ist mit den von ihr selbst herausgegebenen Textsammlungen oder auch der von der Herausgeberin verfassten Biografie besser bedient. Michaela Moser
 
Grenzenlos glücklich – absolut furchtlos – immer in Schwierigkeiten. Dorothee Sölle Hg. von Renate Wind. 79 Seiten, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2013 EUR 15,50

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Ilse Arlt: Pionierin der Sozialarbeit

„Sich zu biographieren ist dann ein Genuss, wenn Neigung und Zielsetzung stets übereinstimmten, wenn man also sein Leben so und nicht anders wiederholen möchte.“ So lautet der Einleitungssatz einer kurzen Autobiografie, die die Sozialarbeits-Pionierin Ilse Arlt unter dem Titel „Mein Lebensweg“ wahrscheinlich im Jahr 1958 verfasste. Die wohl profundeste Arlt-Kennerin Maria Maiss hat mit dem vorliegenden Band eine biografische Annäherung an Ilse Arlt vorgelegt, die „vorrangig aus einer Komposition einer Werkbiographie“ besteht, „in die hinein die wenigen vorhandenen Aufzeichnungen über ihr Familien- und Privatleben verwoben werden“. In einem von Maiss verfassten Einleitungskapitel werden Lebensstationen dieser 1960 im Alter von 84 Jahren verstorbenen ausgewöhnlichen Frau vorgestellt. Dabei kommt auch Maria Szöllösi, die Tochter einer Cousine Arlts, ausführlich zu Wort. Gemeinsam mit den im zweiten Teil des Buchs abgedruckten Originalbeiträgen aus dem umfangreichen Werk Arlts entsteht so ein genauso plastisches wie beeindruckendes Bild von Ilse Arlt, die 1912 die erste österreichische Fürsorgerinnenschule mit integrierter Forschungsstätte in Wien gründete. Deutlich wird dabei die Originalität und Schärfe von Arlts Denken, aber auch ihr spezifischer Praxisbezug. Auch heute noch kann ihr Anliegen, die von ihr konzipierte „Fürsorgewissenschaft“ und -praxis in einer empirisch als auch sozialphilosophischen Armuts- und Wohlergehensforschung zu verankern, nicht hoch genug geschätzt werden. So ist dieses Buch u.a. allen an Sozialer Arbeit, Fürsorgewissenschaft, Care-Ökonomie und -ethik und Frauengeschichte Interessierten nachdrücklich als Lektüre zu empfehlen. Michaela Moser
 
Ilse Arlt. Pionierin der wissenschaftlich begründeten Sozialarbeit. Hg. von Maria Maiss. 226 Seiten, Löcker, Wien 2013 EUR 19,80

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