Graphic NovelAktuelle Ausgabe: Graphic Novel

My Rolemodels do not wear bikinis!

Mehr als ein Fach in einem Bücherregal mit ausschließlich von Autorinnen geschaffenen Comics und Graphic Novels zu füllen, ist glücklicherweise längst kein Ding der Unmöglichkeit mehr. Gut so! Denn damit eröffnet sich ein breites Spektrum an Geschichten, die nicht davon handeln, dass die Freundin des Superhelden in einen Kühlschrank gestopft wird.
Mit dem Begriff „Women in Refrigerators“ fasste die Comicautorin Gail Simone Ende der 1990er ein Muster im Mainstream-Comic zusammen. Frauen werden überproportional häufig zu Opfern meist extremer Gewalt, allein um die Geschichten der männlichen Figuren interessanter zu machen und voranzutreiben. Dass es inzwischen selbst im Universum der Super-, Spider- und Batmänner vermehrt starke Frauenfiguren mit eigenständigen und vielschichtigen Geschichten gibt, die sogar am Leben bleiben, ist unter anderem auch der Diskussion geschuldet, die Simone mit ihrer Kritik auslöste.

 

Ein erfrischendes Gegengewicht, in dem erstmals deftig zurückgeschlagen wird, erschien 1991 unter dem Titel „Hothead Paisan: Homicidal Lesbian Terrorist“. Mit viel Witz und jenseits jeder politischen Korrektheit erlaubt Diane DiMassa ihrer kompromisslosen Heldin Hothead, all die Rachegelüste auszuleben, die aus der Konfrontation mit Sexismus und Homophobie resultieren können. Satirisches findet sich auch in Alison Bechdels „Dykes to watch out for“ (1987-2008). Bechdel war wegbereitend für die Repräsentation von LGBTs in Comics und schuf Identifikationsfiguren, deren Geschichten die alltäglichen, sozialen und politischen Entwicklungen der LGBT-Bewegung widerspiegeln. Seit 2008 konzentriert sich ihre Arbeit auf autobiografische Graphic Novels. Nach „Fun Home“ soll nun im nächsten Jahr die deutsche Übersetzung von „Are you my Mother?“ erscheinen. Auffallend viele Autorinnen verarbeiten in ihren Graphic Novels Persönliches und nehmen damit sehr unmittelbar gefangen. Denn im „Schaut her, das ist unser Leben“ gibt es ausreichend Gelegenheit sich wiederzuerkennen. So auch in den aktuellen Neuerscheinungen.


 

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Die frankokanadische Autorin Genevieve Castree hat da einen anderen Zugang. Wo Bell nicht ehrlich sein will, bekundet Castree, dass sie nicht wahrhaftig sein kann. Sie versteht ihre Graphic Novel „Ausgeliefert” als eine Coming-of-Age-Geschichte, die nur so exakt sein kann, wie die Erinnerung es zulässt. Nachvollziehbar, sind doch Kindheit und Jugend ihres Alter-Egos Goglu nicht unbedingt von heiler Welt geprägt. Eine gedankenlos vergnügungssüchtige Mutter, ein Vater, von dem sie nicht nur durch räumliche, sondern auch durch sprachliche Distanz getrennt ist, und ein desinteressierter, ablehnender Stiefvater zwingen Goglu früh dazu, die Rolle der Erwachsenen zu übernehmen. Und lassen sie schnell erkennen, dass sie hier weg muss. Sie bekämpft die erfahrene Ablehnung mit Abnabelung, die Depression damit zu zeichnen. Familie ist eine verschlingende Pflanze, die es sich vom Leib zu hacken gilt. Wunderbar fein gezeichnet. Die winzig kleine Schrift trägt ein Übriges dazu bei, den Bildern eine eigentümliche Kraft zu geben.


 

Und gleich noch eine Familiengeschichte, „Im Himmel ist Jahrmarkt“, diesmal von der deutschsprachigen Autorin und Illustratorin Birgit Weyhe. Die soll einem ihrer Kinder bei der Hausübung helfen und einen Stammbaum erstellen. Das Resultat ist etwas verworren und weist viele Lücken auf. Die Lehrerin schickt Mutter und Kind zurück an den Start. Weyhe beginnt daraufhin intensiv zu recherchieren, besucht entfernte Verwandte, strengt sich an, die Familiengeschichte zu ergründen. Schließlich bleibt es nicht bei einem einfachen Stammbaum, einzelne Lebensgeschichten treten immer deutlicher hervor: Marianne und Herta, die beiden Großmütter, die unterschiedlicher nicht sein konnten, Edgar und Eduard, die Großväter, und Großonkel Carl Friedrich. Ihre Biografien sind dicht verwoben mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Weltkriege und Wirtschaftskrise haben Hoffnungen und Plane zerstört, die auch das Wirtschaftswunder nicht mehr retten konnte. Eine ganz andere „Lost Generation“. Die schwarz-weißen Illustrationen geben den Geschichten eine emotionale Dimension, die mit Worten auf so wenig Raum nicht möglich wäre. Schmerz, Bitterkeit, Alpträume. Oft reicht ein wiederkehrendes symbolhaftes Bild, um im Verlauf einer Erzählung die Persistenz erlittener Traumata zu verdeutlichen. Diese sind für die Großväter an der Front ganz andere als für die Großmütter an der „Heimatfront“. Drastisch, intensiv und empfehlenswert.

 

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Comicreportagen gab es in den letzten Jahren so einige, bietet doch das Medium die Möglichkeit, sozial brisante Themen auf eine persönlich begreifbare Art aufzubereiten. Anhand der fiktionalen Geschichte der Hauptfigur Alma thematisiert Peggy Adams in „Luchadoras“ den seit nunmehr zwanzig Jahren andauernden und zur bedrückenden Alltäglichkeit gewordenen Femizid in der nordmexikanischen Stadt Ciudad Juarez. Mit selbstbewusster Willensstärke versucht Alma, ihr Leben zu meistern, begegnet und verliebt sich in den Touristen Jean. In ihm findet sie einen vermeintlichen Ausweg, der Gewalttätigkeit ihres Verlobten Romel zu entkommen und sich und ihrer kleinen Tochter eine Existenz in Sicherheit zu ermöglichen. Doch Jean, Stellvertreter für den Blick von außen, ist mit der Situation bald überfordert und entschließt sich, nach Hause zurückzukehren. Im Würgegriff von Romels brutalem Besitzanspruch sieht Alma keine Alternative, als letztendlich selbst zu radikalen Mitteln zu greifen. Entlang dieser Rahmenhandlung dokumentiert die Autorin die Bandbreite an Bedrohungen, der Frauen in Ciudad Juarez tagtäglich ausgesetzt sind. Die respektlos taxierenden Blicke, die Selbstverständlichkeit, mit der häusliche Gewalt geschieht und akzeptiert wird. Die verschwundenen Frauen, deren Leichen wie Müll in der Wüste abgeladen werden und der längst verloren gegangene Glauben daran, dass die Justiz dem Morden Einhalt gebieten wird. Die damit einhergehende Hoffnungslosigkeit wird durch die mit starkem Strich gezeichneten, streng in schwarz-weiß gehaltenen Bilder greifbar. Im französischen Original erschien die Graphic Novel bereits 2006. An Aktualität hat sie aber inzwischen leider nicht verloren.

Bei Comicadaptionen von Literaturklassikern handelt es sich in den seltensten Fällen um schlichte Illustrationen. Vielmehr bietet der Transfer von Text ins Medium Graphic Novel den Autorinnen ausreichend Raum für Auseinandersetzung und Neuinterpretation. So hat etwa Olivia Vieweg „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ nicht nur in die Gegenwart, sondern auch gleich nach Halle an der Saale verlegt. Viewegs „Huck Finn“ nähert sich der Vorlage gänzlich unverkrampft, lässt wohlüberlegt weg, was zu sperrig ist, und bleibt den wesentlichen Handlungselementen dabei treu. Finn kann dem geordneten Leben als Pflegekind einer naiv wohlmeinenden Witwe ebenso wenig abgewinnen wie der gewaltgeladenen Willkür seines trunksüchtigen Vaters. Das im richtigen Moment vorbei treibende Floß wird zum Ausweg, die vor ihrem Zuhälter fliehende Zwangsprostituierte Jin zur Weggefährtin, ein selbstbestimmtes Leben zum gemeinsamen Ziel. Die durchwegs in erdigen Rottönen gehaltenen Zeichnungen verdeutlichen nicht nur die Hitze des Sommers, verweisen vielmehr auf die Konfrontation mit Gewalt und Zwang, der die Protagonist_innen ausgesetzt sind. Klug gewählt ist auch der reduzierte Stil, in dem die Figuren dargestellt werden. Im Zusammenspiel mit der realistisch skizzierten Landschaft gewinnen sie, passend zum zugigen Erzähltempo, zusätzliche Dynamik. Mit stimmungsvollen Naturmotiven hält Vieweg den Erzählfluss auch mal kurz an, lädt zum Verweilen ein und schafft damit atmosphärische Dichte. Ein inhaltlich und graphisch beeindruckendes Spektrum also: dort, wo Supermann sterben muss, Seifenopern queer sind, exzentrische Zeichnerinnen zwanghaft ihre E-Mails checken, Familien genauso hinter sich gelassen wie ausgegraben werden und starke Frauen zu kämpfen und überleben wissen.

Barbara Wimmer.
Rezension zu Birgit Weyhe von Eva Steinheimer.


Erwähnte Bücher:

Geneviève Castrée: Ausgeliefert. Graphic Novel. Übersetzt von Marion Herbert. 80 Seiten, Reprodukt, Berlin 2013 EUR 16,50

Birgit Weyhe: Im Himmel ist Jahrmarkt. 174 Seiten, avant Verlag, Berlin 2013 EUR 22,70

Olivia Vieweg: Huck Finn. 140 Seiten, Suhrkamp Verlag, Berlin 2013 EUR 20,60

Gabrielle Bell: Die Voyeure. Graphic Novel. Übersetzt von Thomas Stegers. 160 Seiten, WALDE+GRAF bei Metrolit, Berlin 2013

Peggy Adam: Luchadoras. Graphic Novel. Übersetzt von Volker Zimmermann. 96 Seiten, avant Verlag, Berlin 2013 EUR 18,50

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