KunstAktuelle Ausgabe: Kunst

Die Bühne gehört den Frauens

Mit der Veröffentlichung ihrer Dissertation präsentiert Bettina Behr eine Studie, die sich erstmals wissenschaftlich mit der Geschichte, Arbeit und Berufspraxis von Bühnenbildnerinnen auseinandersetzt. Sie hinterfragt, warum trotz einer seit den 1980er Jahren konstant höheren Zahl an weiblichen Studierenden nach wie vor größtenteils Männer beruflich erfolgreich sind. Ein historischer Abriss über die Entwicklung der Bühnenraumgestaltung in Europa und eine Analyse der generellen Position von Frauen im Theater verdeutlichen die mangelnde Repräsentation von Bühnenbildnerinnen in der Kultur- und Theaterwissenschaft. Um diese Lücke zu schließen, werden künstlerischer Werdegang und Schaffen von, vorwiegend aus dem deutschsprachigen Raum stammenden, Szenographinnen seit Beginn des 20. Jahrhunderts beleuchtet. Aufgrund ihrer Pionierarbeit nehmen die Bühnenraumgestalterinnen der russischen Avantgarde, wie etwa Ljubov Popova und Varvara Stepanova, dabei eine besondere Stellung ein. Ein weiteres Kapitel behandelt die Geschlechterverhältnisse und die Rahmenbedingungen für Frauen im Studium der Bühnengestaltung und versucht anhand qualitativer Methoden zu ergründen, weshalb trotz hoher Absolventinnenzahlen Frauen in der Berufsausübung nach wie vor benachteiligt sind. Abschließend formuliert Bettina Behr eine Reihe von Empfehlungen und Lösungsansätzen, um die Wahrnehmung und Anerkennung von Bühnenbildnerinnen und letztlich ein weiteres Stück Geschlechtergerechtigkeit festzuschreiben. Umfassend und gut lesbar, schließt Behr eine lange nur unzureichend behandelte Forschungslücke. bw
 
Bettina Behr: Bühnenbildnerinnen. Eine Geschlechterperspektive auf Geschichte und Praxis der Bühnenbildkunst. 330 Seiten, transcript, Bielefeld 2013 EUR 37,90

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Geschlechter choreografieren

Der vorliegende Band zeugt von der verstärkten Wiederkehr der feministischen, und teils queeren, Geschlechterforschung in den Kunstwissenschaften. Wissenschaftlerinnen mehrerer Generationen aus dem deutschen und englischen Sprachraum reflektieren darin die komplexen Zusammenhänge von Geschlecht und Tanz, einem Medium also, das nahezu immer an „live“ Körperlichkeit gebunden ist. Choreografie – Medien – Gender sei allen Jenen wärmstens empfohlen, die die genannten Phänomene aus sehr differenzierten, wissenschaftlichen Perspektiven verstehen wollen, dies in deutscher und englischer Sprache. Die Lektüre eröffnet ein reiches Spektrum an Verstehen des zeitgenössischen Tanzes, der oftmals nichts mit Geschlecht zu tun zu haben scheint, obwohl vergeschlechtete Körper/Subjekte sich auf den Bühnen bewegen. Dass die scheinbare A-Geschlechtlichkeit und feministische Blickweisen keinen Widerspruch bilden, dass vielmehr die Weigerung, Geschlecht zu tanzen, just aus Kritik an den herrschenden Geschlechterordnungen entsteht, ist eine Erkenntnis, die eventuell auf andere zeitgenössische Körper-, Bewegungs- und Populärkulturen übertragen werden kann. Katharina Pewny
 
Choreografie – Medien – Gender. Hg. von Marie-Luise Angerer, Yvonne Hardt und Anna-Carolin Weber. 238 Seiten, diaphanes, Zürich 2013 EUR 27,80

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„It’s a cakewalk“ – tanzender Widerstand

„It’s a cakewalk“, sagt mensch im Englischen, wenn etwas „Baby“ ist, „ein Kinderspiel“. Dabei ist der Cakewalk in Wirklichkeit so komplex, dass Astrid Kusser ihm ein fünfhundertseitiges Monumentalwerk gewidmet hat. Nach hinten gebeugter Oberkörper, Arme in die Höhe und Beine voran: Das ist der Cakewalk. Aber der Cakewalk ist noch viel mehr. Kusser beschreibt die Geschichte dieses „tänzerische[n] Repertoire[s], das gegen die atlantische Sklaverei erfunden wurde“, von widerständigen Posen zum Gesellschaftstanz, vom Sündenfall im Ballroom zum kommerziellen Spektakel, von der Notwendigkeit des Wehrens zur Notwendigkeit des Erinnerns. In Viktoria, Kapstadt, Berlin, Buenos Aires und New York macht Kusser sich auf die Suche nach der Entstehung des Cakewalks und verfolgt ihr Ziel, „herrschende Narrative über die Dynamik des Tanzens im 20. Jahrhundert“ antirassistisch zu dekonstruieren. Den Cakewalk beschreibt Kusser als „umkämpftes Erbe“: Sie verfällt nicht der Romantisierung des lebensnotwendigen Widerstandes gegen die Sklaverei. Sie lässt Haltungen zu Wort kommen, die im Cakewalk einen kulturellen Befreiungsschlag sehen („We used to mock’em, every step“, zitiert sie eine Zeitzeugin. „Sometimes the white folks noticed it, but they seemed to like it; I guess they thought we couldn’t dance any better.“). Und solche, die ihn als Unterhaltungsspektakel für die „Masters“ ablehnen. Die Widersprüchlichkeit und die Komplexität, die Kusser einer auf den ersten Blick so simplen Angelegenheit wie dem Tanzen entlockt, sind es, die aus dem einfachen Schema des Dualismus Gewalt – Widerstand ausbrechen und den Verkslavten und den Tanzenden nicht nur die Fähigkeit zur Gegenwehr, sondern auch zur Analyse der Verhältnisse zusprechen. Lisa Bolyos
 
Astrid Kusser: Körper in Schieflage. Tanzen im Strudel des Black Atlantic um 1900. 502 Seiten, transcript, Bielefeld 2013 EUR 35,80

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Sexueller Bilderkosmos

Höchst erquicklich, informativ und unterhaltsam ist das schmale rote Bändchen der Professorin für Antike Kunst aus Madrid, in dem sie dem_der Leser_in das Verstehen von Sex-Darstellungen auf griechischen und römischen Gegenständen lehrt. Vorweg warnt sie vor der interpretativen Täuschung durch „vermeintliche kulturelle Nähe und bildliche Ähnlichkeit“ und bezieht stets Analyse von Kontexten und Wertesystem der Gesellschaft ein. So beginnt sie bei der beispiellos „kühnen und innovativen ... Erfindung der künstlerischen Nacktheit ... eine Form der Bekleidung, ... die Geschlechter, Ethnien und soziale Schichten differenziert“, um darüber aufzuklären, warum Gruppensex nur von den Griechen und Masturbation, Sex mit Göttern sowie lesbischer Sex (als „entsetzlich reizlos“ für den männlichen Blick) nie dargestellt wurden. Auch männliche Homosexualität wird als komplexes Phänomen „peudohomosexueller Päderastie“ dekonstruiert, in dem über klare soziale Regeln bezüglich Alter, Familien- und sozialen Stand definiert wurde, was erlaubt war – gleichrangige Sexualität zwischen erwachsenen Männern gehörte nicht dazu. Sánchez schafft es hervorragend, theoriefundiert und zugleich im Stile eines Spaziergangs über den Bilderkosmos der antiken Erotik zu schreiben, Geschlechterdifferenzierungen konsequent und differenziert einzubeziehen („sexuelle Nötigung (von Frauen; Anm.) als gesellschaftlich akzeptierte Domestizierung ... ritualisiert durch die Ehe“) und dabei zu ungeahntem Interesse an antiker Kunstgeschichte zu verführen. mel
 
Carmen Sánchez: Kunst & Erotik in der Antike. übersetzt von Anja Lutter und Katharina Uhlig. 165 Seiten, Klaus Wagenbach Verlag SALTO, Berlin 2013 EUR 17,40

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Späte Ehre für eine große Fotografin

Fotografieren war für Edith Tudor-Hart nicht länger „Instrument für das Aufzeichnen von Ereignissen ... und stattdessen ein Mittel, um Ereignisse herbeizuführen und zu beeinflussen“. Bis Mitte Jänner ist im Wien Museum dieser Fotografin (1908-1973, geb. Schuschitzky) eine Personale gewidmet, die erstmals Einblick ist das fotografische Schaffen der gebürtigen Wienerin ermöglicht, und von einem Katalog begleitet wird. Aus einem der Arbeiterbewegung nahestehendem jüdischen Elternhaus stammend war sie von klein auf mit linken und frauenbewegten Texten vertraut, studierte Fotografie bei Bauhaus in Dessau und engagierte sich (u.a. als kommunistische Spionin) politisch, was in ihrer Motivwahl und -darstellung sichtbar wird: Arbeitslosen-/Demonstrationen, soziales Elend, Frauen mit Kinder, tiefschichtige Selbst-/Porträts und Kinder in Spiel und Bewegung in einem Montessori-Kindergarten werden in sachlich-dokumentarischer Bildsprache abgelichtet. Zugleich schafft sie es u.a., Einzelnen ihre Individualität auch in der Masse zu belassen. Ihr Oevre ist mit 127 wunderbar reproduzierten Bildern im Katalog repräsentiert, zu dem Duncan Forbes von den mitorganisierenden National Galleries Scotland drei informative (mäßig gut übersetzte) Texte beigetragen hat. Florian Holzer kontextualisiert Tudor-Harts Werk fotografiehistorisch, während Roberta McGrath eine frauenbewegte politische Zuordnung versucht. Dass die zuständige Kuratorin des Wien Museums, Frauke Kreutler, in dieser Publikation zur Vergegenwärtigung einer bedeutenden Fotografin nicht einmal erwähnt wird, hinterlässt dabei eine etwas schiefe Optik. mel
 
Edith Tudor Hart. Im Schatten der Diktaturen. Hg. von National Galleries of Scotland/Edinburgh und Wien Museum. 151 Seiten, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2013 EUR 36,00

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