Gefällige und voraussehbare Science Fiction zu schreiben war nicht James Tiptree Jr. alias Alice B. Sheldons Ding. Mit Houston, Houston! liegt nun der dritte Band der Gesamtwerkausgabe vor, in dem die Kurzgeschichten der frühen 1970er Jahre versammelt sind. Tiptree thematisiert darin mit ungeschönten, ja nahezu unerträglichen Bildern die Bedrohung der Menschheit durch sich selbst. Der Band enthält unter anderem die titelgebende mehrfach ausgezeichnete Story „Houston, Houston bitte kommen!“, in der überaus selbstbewusste, terrestrische Raumfahrer (!) der 1960er mit einer für sie recht überraschenden Zukunft konfrontiert werden. Es ist vor allem die männlich-zentrierte Weltsicht, deren Selbst- und Fremd-Destruktivität, sexualisierte Gewalt und die Abwertung von Frauen, die Tiptree beschreibt. Sie setzt dabei Frauen nicht einfach als hilfsbedürftige Wesen und Opfer in Szene, wie dies in der männlich dominierten SF der 1970er Usus war, sondern als Handelnde, ohne sie dabei zu glorifizieren. Tiptree zeichnet in ihren Geschichten Endzeitszenarien, bindet die Erde in größere Zusammenhänge ein und lässt die Leser_in zumeist ohne viel Hoffnung und verstört zurück. Die Autorin spielt gekonnt mit der dem Genre nachgesagte Plattheit hyper-maskuliner Ausdrucksweisen. Dabei erreicht sie allerdings eine enorme erzählerische Tiefe, die die Genre-Konvention konterkariert. Die vermittelten Bilder lösen sich nur schwer aus dem Gedächtnis, sie kleben förmlich daran fest und zwingen zur Auseinandersetzung mit möglichen Lesarten.
Roswitha Hofmann
James Tiptree Jr.: Houston, Houston! Erzählungen. übersetzt von Bella Wohl, Michael Preissl, Andrea Stumpf, Frank Böhmert. Nachwort von Andreas Eschbach. 485 Seiten, Septime Verlag, Wien 2013 EUR 23,90
Die 16-jährige Jessie Lamb lebt in einer gefährlichen Zeit, denn es geht eine unheimliche Krankheit um, die alle Menschen befällt. Das Muttertodsyndrom, kurz MTS, kann aber nur für Frauen gefährlich werden und dies auch nur, wenn sie schwanger werden. Geschieht dies, so sterben die Frauen und die noch ungeborenen Kinder. Das überleben der Menschheit und der Zusammenhalt der Gesellschaft stehen an der Kippe. Religiöse Sekten kämpfen für Enthaltsamkeit und die moralische Reinheit von ganzen Stadtvierteln, radikale Differenzfeministinnen gegen die patriarchale, ausbeuterische Wissenschaft und Männer im Allgemeinen und im Besonderen gegen jene, die in Ermangelung sexueller Befriedigung im heimischen Bett Frauen belästigen und vergewaltigen. Die Wissenschaft ist ratlos, Gegenmittel ist keines in Sicht. Die einzige Möglichkeit, so scheint es, ist junge Frauen künstlich zu befruchten und ins Koma zu versetzen, damit sie als sogenannte „Schlafende Schöne“ ihr Kind austragen. Die Geschichte ist aus der Perspektive von Jessie geschrieben, die sich in Gefangenschaft befindet und in Rückblicken ihr „Testament“ zum Besten gibt, denn auch sie hat vor, sich an der Rettung der Welt zu beteiligen.
Es ist nahezu unmöglich, zur flach gezeichneten Protagonistin eine Beziehung aufzubauen, von den anderen relativ farblosen und unschlüssigen Charakteren völlig abgesehen. Eine langatmige Geschichte, die völlig zu Unrecht qua Klappentext in die Tradition von Margret Atwood gestellt wird.
soe
Jane Rogers: Das Testament der Jessie Lamb. Roman. übersetzt von Norbert Stöbe. 384 Seiten, Wilhelm Heyne Verlag, München 2013 EUR 15,50
Die Leser*in mag hinter dem verheißungsvollen Titel „Der letzte Liebesdienst“ und dem im Dunkelrot gehaltenen Cover zunächst eine prickelnde SM-Sexgeschichte erwarten. Der Roman von Laura Beck handelt jedoch von Tod, Verlust und Trauer in lesbischen Partnerinnenschaften: Lara und Fiona verlieren jeweils auf tragische Weise ihre geliebten Partnerinnen – Laras Freundin Maja stirbt nach nur einem glücklich verbrachten Jahr an einem Hirntumor, während Fionas Partnerin Anke von einem betrunken Autofahrer getötet wird. Die auch in lesbischen Kontexten vielfach vernachlässigten Themen Tod und Trauer werden von der Autorin jedoch auf eine äußerst kreative Weise behandelt: Die verstorbenen Partnerinnen Maja und Anke treffen nämlich als eine Art Geistwesen in der Zwischenwelt aufeinander und versuchen, die zurückgebliebenen Geliebtinnen dabei zu unterstützen, in ein glückliches Leben zurückzufinden. Etwas voraussehbar verlieben sich dann auch die trauernden Frauen Lara und Fiona ineinander und finden schließlich nach vielen Widrigkeiten und den Intrigen eifersüchtiger Konkurrentinnen zueinander. Der Roman ist zwar an manchen Stellen durchaus berührend, einfühlsam und durch den Fantasy-Part originell, ärgerlich sind jedoch die zahlreichen, moralisch sehr wertenden Verweise auf Monogamie als die bessere Beziehungsform sowie einige sehr abwertend gehaltene Stellen über One-Night-Stands oder nicht-monogame Partnerinnenschaften. Ein etwas weniger normalisierender und idealisierender Blick auf (lesbische) Liebe, Beziehungen und Sexualität hätte dem Roman gut getan! Christine Klapeer für den Lila Tipp
Laura Beck: Der letzte Liebesdienst. Roman. 240 Seiten, édition el!es o.O., 2013 EUR 16,40
2848 reist ein Raumschiff, die Agina V., durchs Weltall, an Bord die amtierende Miss Universe Helen Hayer und die Commandress des Schiffs, Christine de Castelbaraque. Miss Universe, um Missverständnissen vorzubeugen, wird frau zu dieser Zeit nur, wenn sie intellektuell viel drauf hat, Schönheit ist nicht mehr gefragt (was nicht heißt, dass Helen nicht schön ist). Finanziert wird die Misswahl von einer reichen Unternehmerin – ob sie was auf dem Kerbholz hat, wird sich noch herausstellen. Das Schiff wird jedenfalls entführt, ein queerer Bösewicht zwingt unsere beiden Heldinnen, etwas für ihn/sie zu erledigen. Die etwas arrogante Commandress und die höfliche Helen müssen eine Reihe von Herausforderungen bewältigen, die sie unter anderem in eine andere Dimension bringen und eine Reihe von skurrilen Abenteuern auf schrägen Welten erleben lassen. Wie zu erwarten ist, brauchen die beiden zwar ein bisschen, um zueinander zu finden, aber dann klappt es doch relativ schnell.
Fazit: eine witzig geschriebene Screwball-Comedy im Weltraum mit ein paar feinen queeren Einfällen. gam
Judith_Jennewein: Die wundersamen Weltraumabenteuer von Helen Hayer und Christine de Castelbaraque. Roman. 286 Seiten, Zaglossus, Wien 2013 EUR 17,95