Kollisionen im Mittelmeer 

Vor dem Hintergrund der derzeit allgegenwärtigen und beschämenden Bilder von Menschen auf der Flucht kommt es vor der spanischen Küste zu einer schicksalhaften Begegnung. Ein gigantisches Kreuzfahrtschiff mit dem schönen Namen „Spirit of Europe“ zieht übers Mittelmeer. Man fühlt sich gegen jeden denkbaren Zwischenfall gewappnet – Terroranschläge, Seuchen, verdorbene Mägen, Eisberge – doch dann ist es ausgerechnet ein winziges Schlauchboot aus Algerien, das hilflos im Meer treibt und den Riesenkahn zum Anhalten zwingt. Wenn auch nur für die kurze Zeit, die es braucht, bis die spanische Küstenwache vor Ort ist, um die Flüchtlinge aufzugreifen und wieder abzuschieben. Dieses Treffen zwischen David und Goliath ist der Ausgangspunkt von Merle Krögers „Havarie“, ein dubioser Frachter und ein Rettungsschiff kreuzen die Handlung – auf ihnen Menschen mit ihrer eigenen Geschichte. Kröger dringt auch tief in die Eingeweide des Luxusliners vor: Vom Oberdeck, wo reiche Passagiere angewidert auf das Treiben der gewöhnlichen Touristen blicken, bis in die Müllräume, wo die ärmsten (und oft auch illegalen) Schlucker unter grindigsten Bedingungen schuften. Die bruchstückhaften Erzählungen und Erinnerungen der ProtagonistInnen ergeben kein vollständiges Bild, eher ein Panorama aus Krieg, Vertreibung, Verzweiflung und ein wenig Hoffnung. Merle Kröger sagt in einem Interview, dass erzählen immer auch heißt, Ordnung zu schaffen. „Havarie“ vermittelt auf beeindruckende Weise auf jeden Fall eines: dass diese Ordnung nur eine Illusion ist. Absolut empfehlenswert.  Elke Koch

Merle Kröger: Havarie. Roman, 227 Seiten, Argument Verlag, Hamburg 2015 EUR  15,50