Malerei, du Jahrhundertglück!

„Was geht mich die Fotografie an, dieses HUNDERTSTELSEKUNDENGLÜCK.“ Im Mai 2014 starb die Malerin und Trickfilmerin Maria Lassnig 95-jährig. Obwohl ihr Vater geschrieben hatte, sie werde eine sehr gute, aber keine ganz große Künstlerin werden, wurde sie eine der berühmtesten im zeitgenössischen Österreich. Die Kunsthistorikerin Natalie Lettner hat nun nicht nur die beste Künstler_innenbiografie geschrieben, die seit langem erschienen ist, sie hat gleichwohl eine Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts verfasst – entlang von Lassnigs Leben. 400 Seiten über eine wie wild Kunstschaffende, ihre Unzulänglichkeiten und Ängste, ihre Produktivität und die Gabe ihres präzisen Blickes: Schon als Kind sei ihr vorgeworfen worden, „sie schaue so ‚komisch und langsam’“. Obwohl bei NS-affinen Malereimeistern in die Schule gegangen, kreiert Lassnig sich bald ihre eigene Farbpalette, „ganz ohne Brauntöne“. Ihre als „Body awareness“-Kunst bezeichneten deformierten Selbstporträts sind Vorläufer der feministischen Körperkunst späterer Jahrzehnte. Was Lettner nicht versucht: Maria Lassnig von der Bürde der Geschichte zu befreien, konkret von ihrer Gleichgültigkeit gegenüber dem Nationalsozialismus. Lettner teilt nicht „das Bedürfnis mancher Journalisten“, Lassnig zu einer Widerständigen umzuschreiben. Widerständig war sie nur im Kunstbetrieb, diesem kleinen Patriarchat im Großen. Oswald Wiener, einen ihrer Gefährten, zitiert die Biografin so: „Was ihr gefehlt hat, ist der Pfleger … im Sinn vom Manager, der gesagt hätte: Na hör mal, du hast die Begabung und ich bringe dich jetzt vorwärts! … Aber das gibt’s wahrscheinlich sehr selten.“ Lettner kommentiert folgerichtig: Wäre Lassnig ein Mann gewesen, da hätte sich so eine „Pflegerin“ ihrer Karriere durchaus finden lassen. Lisa Bolyos

Natalie Lettner: Maria Lassnig. Die Biografie. 400 Seiten, Brandstätter Verlag, Wien 2017 EUR 29,90