Private Gedanken sind politisch

Die neuste Ausgabe der L’Homme Schriften, welche sich der Geschichtswissenschaft aus einer feministischen Perspektive widmen, beschreibt die Funktion von Tagebüchern und behandelt Beispiele diaristischer Niederschriften von Frauen in kriegerischen Zeiten. Anhand der ausgewählten Texte lässt sich das Alltags(er)leben von Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachvollziehen. Die bekanntesten Diaristinnen in diesem Band sind wohl Elise Richter und Rosa Mayreder. Die Einblicke in ihre Tagebücher eröffnen eine weitere spannende Ebene in das bewegte Leben der beiden feministischen Vordenkerinnen. Mit welcher Intention ein Tagebuch verfasst wurde, ob für sich selbst oder für eine Öffentlichkeit, ist ebenso spannend zu diskutieren, wie die Möglichkeit, dass gesellschaftliche Normen- und Wertvorstellungen zu Selbstzensur und Selbstgeißelung im eigenen Schreiben führen können. Die Tagebücher der in diesem Sammelband dargestellten Frauen zeigen deutlich, dass die gemeinhin verbreitete Annahme, Tagebücher seien unpolitisch, vollkommen falsch ist. Wie dieser Band eindringlich zeigt, sind Diarien explizite Orte des Politischen. Nicht nur bietet diese Ausgabe der L’Home Schriften spannende Einblicke in das Leben interessanter Frauen, sondern regt auch dazu an, selbst Tagebuch zu führen. Denise Beer

Krieg – Politik – Schreiben. Tagebücher von Frauen (1918-1950). L´Homme Schriften 21, Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft. Hg. von Li Gerhalter und Christa Hämmerle. 176 Seiten, böhlau, Wien-Köln-Weimar 2015  EUR 30,00