Sich im Stadtraum verlieren
Einer der letzten warmen Tage des Jahres. Sarah, Mira, Kata streifen den ganzen Abend durch die Stadt, jede für sich. Erinnerungen, Bekanntschaften und einzelne Textnachrichten verbinden die drei. Bloß nicht zu viel Nähe. Oder stehen sich die drei jungen Frauen in ihrer unbeteiligten Art vielleicht näher, als ihnen selbst recht ist? Sie ziehen von einem verlassenen Ort zum nächsten, begegnen Mitmenschen nur flüchtig, schnappen Gesprächsfetzen auf. Die fein ausgearbeiteten Figuren, deren Charakter und Motive langsam offenbar werden, treffen auf atmosphärische Schauplätze wie das geschmacklose Beisl oder den ehemaligen Club im ehemaligen Schutzbunker. Mit sorgfältigen Sätzen webt Anna Maria Stadler in ihrem zweiten Roman ein Netz aus dünnen Fäden, das sich durch eine Stadt spannt, die schon bessere Tage gesehen hat. Mal macht sie dabei haarscharfe Beobachtungen. Dann lässt sie uns beinahe stolpern, wenn die Protagonistinnen weitergehen und ihre Worte einfach mitziehen. Die Lektüre möchte Aufmerksamkeit für Details wecken, auch die Beistriche sind mit Bedacht gesetzt. Die distanzierte Erzählweise ist dem Titel treu. Trotzdem übt der Roman einen gewissen Sog aus, vor allem an seinen mulmigen Stellen. Denn in der Stadt brauen sich neben einem Unwetter auch bedrohliche Unruhen zusammen.
Clara Stiller
Anna Maria, Stadler: Halbnah. 176 Seiten, Jung und Jung, Salzburg 2024 EUR 22,00