Tech-Arbeit und Gerechtigkeit
Der öffentlich formulierte Anspruch, Mädchen und Frauen in technischen Berufen zu fördern, trifft in der Tech-Unternehmenspraxis auf tradierte Geschlechtervorstellungen. Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechterungerechtigkeit werden so gleichzeitig hervorgebracht und in der Alltagspraxis ausgehandelt. Diesem Phänomen widmet sich die Dissertation von Amanda Ruf durch eine Aufarbeitung von Theorieansätzen zu Geschlecht, Gerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit. Darauf aufbauend stellt sie empirisch die Frage, wie Geschlecht und Gerechtigkeit die Zusammenarbeit im Unternehmensalltag ordnen. Schockierend, wenn auch nicht überraschend, ist die absolute Planlosigkeit der Akteur*innen in den Organisationen. In ihrem neutralen Selbstverständnis naturalisieren sie Geschlechterrollen nach wie vor durch Vergleiche mit Jägern und Tiermetaphern. Frauen sind weiter dafür zuständig, im Unternehmen für angenehme Atmosphäre zu sorgen, umringen die Hähne-im-Korb „mit ihren Optionen und Möglichkeiten“ und überlassen ansonsten den Platzhirschen das Feld. So sehen das die überwiegend männlichen Interviewpartner. Ein Hauch von Aufstand wird aber auch von kollaborierenden Frauen schnell erstickt, ist doch der „Männerkalender“ der Kollegin „echt furchtbar!“ im erotikbebilderten Büro. Alles klingt wie mein Praktikum in der Voest vor fast 30 Jahren. Die Autorin ordnet das Unsägliche in Konzepte von Tausch-, Verteilungs-, Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit. Vereinbarkeit ist noch immer eine Innovation, und worauf bei einer weiblichen Bewerberinnen im Industriebetrieb noch geachtet wird: „dass sie nicht zu alt ist [und] wir wissen, dass wir da Probleme mit den Handgelenken haben.“ Etwas rigide Dissertationsstruktur, aber viele interessante Beispiele und Systematisierungen.
Doris Allhutter
Amanda Ruf: Geschlechter(un)gerechtigkeit in technischen Organisationen. 347 Seiten, Nomos, Baden-Baden 2022 EUR 76,10