Im Bann der Vergangenheit
Die 17-jährige Silvie hat nur ein Ziel: Weg von zu Hause und ihrem dominanten Vater, einem Hobbyforscher, der auf die Eisenzeit fixiert ist. Aber erst muss sie noch den Familienurlaub überstehen. Der wird, wie in jedem Jahr, nach den väterlichen Wünschen verbracht. Diesmal mit einer Gruppe Archäolog:innen, die einen Sommer lang versucht, in den Wäldern von Northumberland wie vor 2500 Jahren zu leben: Die Männer jagen Kaninchen oder fischen, die Frauen sammeln Beeren und Wurzeln, kochen und waschen ab. Silvie freundet sich mit der Studentin Molly an, die sich über die im Camp gelebten Geschlechterrollen lustig macht. Silvie dagegen hat wenig Grund zu lachen. Sie fürchtet sich vor der Wut ihres Vaters. Er kann nicht mit Kritik umgehen und schlägt Frau und Kind regelmäßig. Seine romantische Verklärung eines vermeintlich natürlichen Urzustands wird zu einer zusätzlichen Gefahr – vor allem für seine Tochter. Sarah Moss ist mit ihrer dichten Erzählung ein wahres Meisterstück gelungen. Sie verwebt die seltsame Faszination für längst vergangene Zeiten mit dem leider immer noch sehr aktuellen Thema der Gewalt gegen Frauen und Kinder.
Ute Fuith
Sarah Moss: Geisterwand. Aus dem Engl. von Nicole Seifert. 160 Seiten, Berlin Verlag, Berlin/München 2021, EUR 20,90