Blanke Brüste gegen Putin
Der weibliche Busen hat Gewicht. Die Brust ist multifunktional und vieldeutig, „haltlos“ sorgt sie für Irritation und Protest. Zwischen Verhüllung und Enthüllung gilt sie als nährend und verführend, anziehend und abstoßend, sündig und heilig und manchmal sogar als heldinnenhaft und revolutionär. Seien es Jeanne d’Arcs oder Angela Merkels Dekolletés, seien es feministische Performances wie „Den Busen lesen“ von Annie Sprinkle, Hannah Wilkes Inszenierung ihres durch den Brustkrebs veränderten Körpers oder Valie Exports Tapp- und Tastkino. Auch das 2008 in der Ukraine gegründete Kollektiv Femen setzt in seinen widerständigen Aktionen auf die dem blanken Busen zugeschriebene Wirkung und erzielt damit öffentliche Aufmerksamkeit im Kampf gegen Femizide, für die Abschaffung des § 218 oder für die Krim-Annexion durch Russland. Es gilt offensive Nacktheit gegen die männliche Vereinnahmung des weiblichen Körpers zu inszenieren. Die Brust ist Gegenstand moralischer, wissenschaftlicher, künstlerischer Auseinandersetzungen und damit politisch, denn in all diesen Darstellungen und Deutungen offenbaren sich die herrschenden Geschlechterverhältnisse und zugleich ihr Potenzial, diese kräftig durcheinanderzubringen. Anja Zimmermann zeigt in unterhaltsamer Weise und mit originellem Bildmaterial den Busen als Multitool des Patriarchats und stellt gleichzeitig in Aussicht, wie erfreulich entspannt es wäre, dürfte er einfach mal nur rumhängen – an wem und wie auch immer.
Bettina Zehetner
Anja Zimmermann: Brust. Geschichte eines politischen Körperteils. 270 Seiten, Wagenbach, Berlin 2023 EUR 29,50