Das Begehren
Bereits 1991 ist dieser autofiktionale Roman von Annie Ernaux in französischer Sprache erschienen und wurde nun neu ins Deutsche übersetzt. Die Ich-Erzählerin beschreibt zwei Jahre eines inneren psychischen Ausnahmezustands in ihrem Leben. Sie verliebt sich in einen 38-jährigen verheirateten osteuropäischen Bobo, der ein bisserl wie Alain Delon ausschaut, schnelle Autos und Markenklamotten liebt. In dieser Phase gibt es für die Ich-Erzählerin nur mehr die An- oder Abwesenheit ihres Liebhabers. Wenn er abwesend ist, verzehrt sie sich nach ihm, wenn er anwesend ist, haben sie vor allem Sex. Sie richtet sich in diesem einen Jahr das Leben ganz nach den Notwendigkeiten der Affäre ein, denn diese überschattet alles, was sonst in ihrem Leben passiert. Jede Aktivität, die sie in seiner Abwesenheit in Angriff nimmt, ist von ihrem Liebhaber überlagert. Nach einem Jahr verlässt er sie, aufgrund neuer beruflicher Herausforderungen wechselt er das Land. Das zweite beschriebene Jahr schildert die neu entstandene Leere, die Verdauung einer nicht mehr existierenden Liaison mit allen assoziativen Erinnerungsmotiven, die das Leben mit sich bringt. Nein, es sollte kein Luxus sein, seine Leidenschaft leben zu können.
ML
Annie Ernaux: Eine Leidenschaft. Aus dem Franz. von Sonja Finck. 70 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2024 EUR 20,50