Schneeschuhhase müsste man sein
Mit ihrem ersten Roman erzählt Mireille Gagné eine Geschichte, die gewisse Facetten der zeitgenössischen neoliberalen (Hoch)Leistungsgesellschaft fantastisch und doch sehr real anmutend greifbar werden lässt. Diane, die Protagonistin, hat ihren Alltag strikt getaktet, um die bestmögliche Leistung im Büro zu gewährleisten. Von früh morgens bis spät abends sind selbst die wenigen Stunden außerhalb des Büros (etwa im Fitnessstudio oder in der Eigentumswohnung) stets dem Dogma der Produktivität und Effizienz unterworfen. Sie ist ein Arbeitstier, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Die bloße Existenz einer Kollegin, die sie an Produktivität zu überbieten droht, bringt sie an den Rand der absoluten Verzweiflung. Eben jene Kollegin offenbart ihr schließlich das Geheimnis ihrer außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit. Und ohne zu zögern, unterzieht sich Diane demselben riskanten und komplexen Eingriff. Wie die Autorin Mireille Gagné selbst, stammt auch die Protagonistin des Romans von der unwirtlichen kanadischen Insel Isle-aux-Grues. Ein Ort, an dem der Nordostwind und die starken und unregelmäßigen Gezeiten den Lebensrhythmus von Mensch und Tier diktieren. Völlig entgegen der gewünschten Wirkung des Eingriffes verschlägt es Diane schließlich genau dorthin zurück, wo sie instinktiv auf den Spuren ihrer Vergangenheit zu wandern beginnt.
Miriam Danter
Mireille Gagné: Häsin in der Grube. Roman. Aus dem kanad. Franz. von Birgit Leib. 120 Seiten, Wagenbach, Berlin 2021 EUR 17,50