Verlieren und Finden

Gleich zu Beginn des Buches erfährt die Erzählerin vom Tod des Vaters. Obwohl die beiden jahrelang keinen Kontakt hatten, trifft sie diese Nachricht so hart „wie eine blauschwarze Wand “. Nun muss sie seine Wohnung räumen und die Beerdigung organisieren. Das Ordnen der Hinterlassenschaft wird zu einer Inventur ihres eigenen Lebens: Als Zwölfjährige hungert sie sich fast zu Tode und leidet an obsessiven Waschzwängen. Eineinhalb Jahre verbringt sie deshalb in einer psychiatrischen Klinik. Dort erfährt sie, dass sie das Kind einer anonymen Samenspende ist. Dieses Familiengeheimnis wurde jahrelang streng gehütet. Die Eltern wollten es vergessen, um das Kind „mehr zu lieben als sich selbst“. Ein fataler Irrtum, der dazu führt, dass sich alle Beteiligten in ihrem Werden immerzu verpassen. Jahrelang sucht die Erzählerin nach ihrem biologischen Vater – vergeblich. Die Trauer um den sozialen Vater eröffnet ihr aber eine neue Perspektive auf ihn. Er war reiselustig, gesellig und – Alkoholiker. Die Suchtparallele zum Vater erschreckt sie. Wie er hält auch die Tochter ihre Beziehungen in Schach, damit sie der eigenen Sucht nicht in die Quere kommen. Dennoch gelingt es der Erzählerin, letztlich eine halbwegs stabile Fernbeziehung zu einem Mann zu führen, Freundschaften zu pflegen und in Therapie zu gehen. So kann sie zumindest ansatzweise ahnen, wer sie ist und wer der Mann war, der sie aufgezogen hat. Alles Ungewisse ist für sie nicht mehr bedrohlich. Jeannette Hunzikers Debüt Für immer alles ist ein intensives Ausleuchten der leeren Stellen zweier von Abhängigkeiten geprägter Leben.

Ute Fuith

Jeannette Hunziker: Für immer alles. 213 Seiten, Lenos, Basel, 2024 EUR28,00