Vom Inneren und anderen Äußerlichkeiten
„Die Übermacht des Üblichen“ ist der Titel von Gabriele Treiges Erzählung, in der es tatsächlich genau darum zu gehen scheint. Die Protagonistin versucht sich in diesem assoziativ anmutenden Erzählwerk selbst in ihrer Vergangenheit auszuloten, um sich letztendlich von dieser Person (die sie nun nicht mehr ist) zu lösen. Es wollte ihr einfach nie gelingen, sich anderen mitzuteilen, sich ihrer Umwelt unverblümt und angstfrei auszuliefern – zumindest nicht so, wie es die akribisch genau beobachtete „Norm“ vorsieht. Denn dort scheint es Menschen kaum Mühe zu kosten, sich in alltäglichen sozialen Situationen zum Ausdruck zu bringen. In kaum einer Passage werden nicht soziale Gefüge auf ihr Fundament hin seziert, um wieder und wieder daraus zu schließen, dass es der Protagonistin unmöglich ist, sich auch nur irgendwo darin zu verorten. Auch der Versuch, sich professionell dabei unterstützen zu lassen, endet in einer katastrophalen Enttäuschung. Und doch gelingt es ihr letztendlich, einen Weg zur Selbst-Akzeptanz zu finden, und das ohne große Katharsis. Gabriele Treige erweist sich in dieser Erzählung als eine außergewöhnliche Beobachterin, die die scheinbar unscheinbaren oder ephemeren Aspekte des Alltäglichen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Und dort erst wird klar, dass auch das Übliche oder die gängigen Techniken menschlicher Interaktion beherrscht werden wollen, um sich einer Umwelt zugehörig fühlen zu können.
Miriam Danter
Gabriele Treige: Die Übermacht des Üblichen. 167 Seiten, Marta Press, Hamburg 2020, EUR 16,00