Historische Schichten in Bewegung
Dem Argentinien von heute, geprägt von zerstörerischem Kapitalismus und krassen sozialen Gegensätzen, versucht sich Petra Nagenkögel in ihrem Text „Dort. Geographie der Unruhe“ anzunähern. Dabei fährt, streunt, flaniert die Ich-Erzählerin durch Buenos Aires, seine Vororte, sein Umland, sucht Orte und Gegenden in Argentinien auf, die sie aus politischen, historischen und literarischen Gründen interessieren. Sie beschreibt urbane Architektur, Monumente, Straßen, Plätze, aber auch Landschaften, Wetterphänomene, Licht, immer in Beziehung auf die darin lebenden Menschen, oft in kleinen, eindrücklichen Szenen, manchmal generalisierend. Dieser „Oberfläche“ verleiht die Erzählerin eine Tiefenschärfe, indem sie die in Namen und Bezeichnungen verdichteten historischen und politischen Bezüge freilegt und mit Text- und Liedzitaten, Plakaten, Aufschriften und eigenen Erfahrungs- und Wissensbeständen verknüpft. Argentinien erscheint so unter den Aspekten der Kolonisierung, des nationalen Befreiungskampfs, als Emigrationsland um 1900, in seiner Doppelrolle als Fluchtort für vom NS-Regime Verfolgte und als Nazi-Sympathisant, als ein Land, in dem Militärdiktaturen herrschten. Die historische und gegenwärtige Gewalt hypostasiert die Erzählerin allerdings immer wieder aus einer Warte der Zivilisationskritik und steht damit dem Ewiggleichen menschlicher Anstrengungen mit einer melancholischen Haltung gegenüber, die dennoch verhaltene utopische Momente zulässt. Insgesamt ein intensiver, informierter und sprachlich sehr gelungener Text!
SaZ
Petra Nagenkögel: Dort. Geografie der Unruhe. 172 Seiten, Jung und Jung, Salzburg 2019 EUR 21,00