Das Geschlecht der Menschenrechte
Diskussionen zu Geschichte und Bedeutung von Menschenrechten erfreuen sich aktuell beträchtlicher wissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Wie in vielen anderen Bereichen findet die Kategorie Geschlecht allerdings zu wenig Beachtung. Dieser Geschlechterblindheit der Historiografie stellt sich der vorliegende Sammelband entgegen. Welche Rolle spielten Menschenrechte in Auseinandersetzungen um die Rechte von Frauen? Wann und wo bedienten sich Frauenbewegungen der Menschenrechtssprache in ihren Kämpfen gegen Ungleichbehandlung? Wer – Staat, Vereinte Nationen, Aktivistinnen – spricht in welchem Machtkontext von Menschenrechten für Frauen?
Interessant ist der differenzierte und kritische Blick auf Menschenrechte als wandelbare Konzepte, die von konkreten Interessen geprägt werden, die nicht immer emanzipativ sind. Institutionalisierte Menschenrechte können etwa auch Heteronormativität bestärken oder, angewandt auf andere Gesellschaften, zu einer Vertiefung von Ungleichbehandlung beitragen. Die Beiträge reflektieren darüber hinaus, dass Frauenrechtsforderungen und -diskurse nicht immer unproblematisch waren, indem sie etwa Geschlechterdifferenz weiter festschrieben oder eine spezifische weibliche Identität konstruierten. Der Band ist gerade deshalb spannend, weil er sich über Geschichten von Bewegungen und Diskursen zu Frauenrechten im Kontext von Menschenrechten hinaus mit einem Spannungsfeld feministischer Diskurse beschäftigt, das sich aus dem Dilemma von Gleichheitsanspruch und Differenznotwendigkeit ergibt.
Lisa Grösel
Menschenrechte und Geschlecht im 20. Jahrhundert – Historische Studien. Hg. von Roman Birke und Carola Sachse. 271 Seiten, Wallstein, Göttingen 2018 EUR 30,80