Gräueltaten im Krieg!
Nach ihren letzten drei Romanen hat die bekannte italienische Autorin Francesca Melandri nun einen Essay über den Krieg in der Ukraine geschrieben. Im Zwiegespräch mit ihrem verstorbenen Vater, der 1943 als italienischer Soldat mit seiner Einheit in der damaligen Sowjetunion vor deren Truppen flüchtete, versucht sie, den seit Februar 2022 existierenden Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zu analysieren. Regional in der UDSSR war ihr Vater als junger Mann genau in den Ortschaften, wo sich heute der Krieg in der Ukraine abspielt, zunächst als Angreifer, dann als Flüchtender. In der offiziellen italienischen Geschichtsschreibung erhielten die damaligen Kampfhandlungen 1943 den Titel Rückzug aus Russland, als wenn die Gier nach Rohstoffen eine Opfergeschichte wäre, konstatiert die Autorin. An sich hätte der Text eine interessante Streitschrift gegen den Krieg werden können. Ärgerlich ist, dass die nationalistische Sicht der Autorin permanent die bis 1991 existierende UDSSR als Vielvölkerstaat in Nationalitäten aufspaltet. Wozu? Dass der derzeitige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zu verurteilen ist, kann nur unterstrichen werden. Dennoch ist es sonderbar, dass nicht verschiedene Standpunkte vermittelt werden, wie es überhaupt dazu kommen konnte, sondern nur einseitig informiert wird, ohne die Rolle Europas und der USA seriös zu reflektieren. Bedauerlich, wenn die Jahre zwischen 1943 und 2022 zur Gänze ausgeblendet werden. Eine Dämonisierung Putins hilft uns leider nicht weiter.
ML
Francesca Melandri: Kalte Füße. Aus dem Ital. von Esther Hansen. 284 Seiten, Wagenbach, Berlin 2024 EUR 24,70