„Immer mit einem Fuß im Grab“
So der Untertitel des Buches, in dem Andrea Löw anhand von Briefen, Postkarten und Tagebüchern, geschrieben von Jüdinnen und Juden aus Deutschland und Österreich, das Leben, Leiden, Überleben und systematische Töten in den Ghettos und Vernichtungslagern des ‚Ostens’ rekonstruiert. Wie erging es diesen Menschen, die mit Zügen in die Ghettos nach Polen, in die Ukraine, in die baltischen Länder oder nach Weißrussland gebracht wurden? Wie erlebten sie die Deportation, die qualvolle Hinfahrt, die Ankunft in den Ghettos, Hunger, Arbeitszwang, Kälte, massenhafte Tötungen der osteuropäischen Jüdinnen und Juden und bald darauf die systematische Tötung der deutschen und österreichischen Jüdinnen und Juden? Die Briefe erzählen von der Deportation ins Ungewisse, dem Versuch, den Ghetto- bzw. Lageralltag irgendwie zu bewältigen, von der Allgegenwart von Not, Hunger und Leid, aber auch vom Versuch, durch gemeinsame Gesänge, Rituale, kleinen Tauschhandel oder Schmuggel, durch Freundschaften und Solidarität Momente des Miteinanders und der Menschlichkeit zu schaffen. Durch die Originalpassagen aus Briefen und Tagebucheinträgen wird die grauenvolle Situation der Menschen beklemmend real – Löw kontextualisiert die Briefe und Tagebuchtexte behutsam. Ihre akribische Aufarbeitung des schriftlichen Materials und Interviews mit noch lebenden Verwandten lassen fast 80 Jahre später die Zeitzeug:innen selbst beklemmend nochmals zu Wort kommen. Das Buch lässt etwas hoffnungslos zurück angesichts des Gelesenen, dennoch – oder gerade deswegen – eine eindeutige Empfehlung zur Auseinandersetzung mit einer in Österreich wenig beleuchteten Geschichte.
Nadja Bergmann
Andrea Löw: Deportiert. „Immer mit einem Fuß im Grab“. Erfahrungen deutscher Juden. 364 Seiten, S. Fischer, Frankfurt/M. 2024 EUR 27,50