Nilpferd

Keine einfache Kost. In Bossongs Roman, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2019 vertreten ist, geht es um die große philosophische Frage, was zählt im Leben. Mira, Sonderbeauftragte der UNO, bewegt sich mit weltpolitischen Krisenherden und so wechselt sie aufgrund ihres politischen Auftrages ständig den beruflichen Bestimmungsort. Ihre Aufgaben sind, einerseits traumatisierte Menschen auf der Straße der jeweiligen Krisenregion danach zu befragen, wie sie einen Genozid verarbeiten, oder andererseits zwischen zwei verfeindeten Seiten auf höchster politischer Ebene zu vermitteln. Es stellt sich he­raus, dass befriedigende Lösungen sowohl auf der globalen, komplexen Weltbühne wie auch im Mikrokosmos der persönlichen Beziehungen nicht leicht zu finden sind. Wenn es den Anschein hat, dass die Welt zu retten wäre, so lässt sich Miras eigene persönliche Katastrophe nicht leugnen. Mira, die Hauptakteurin, erkennt, dass sie ihre Sehnsucht nach Verbundenheit nicht stillen kann. Das Romangeflecht mit ständig wechselnden und wiederkehrenden Schauplätzen und Zeiten liest sich als innerer Monolog aus Miras Sicht. Hilflosigkeit im Sinne eines menschlichen Scheiterns wird nachvollziehbar und lässt unangenehme Berührungspunkte zurück. Auf der Oberfläche bleibt das Nilpferd zurück, als Platzhalter für alles, was nicht gesagt werden darf. Denn in einer so hohen beruflichen Position ist man kontrolliert.
ML
Nora Bossong: Schutzzone. 335 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2019 EUR 24,70