Sprache als Weltzugehörigkeit

„Wo wohnen Sie, Madame?“ – ist eine der wiederkehrenden Fragen, die Emine Sevgi Özdamar sich selbst stellt. In ihrem neuen Roman erzählt die türkische Schauspielerin und Autorin von Lebensstationen und Theaterarbeit in Istanbul, Berlin und Paris. Die unterschiedlichen Antworten auf die Frage „Wo wohnen Sie, Madame?“ führen sogleich in das Reich der Sprache, denn nicht allein der Ort macht das ‚Wohnen‘ aus, mit dem die Autorin ein gewisses Gefühl des Zuhauseseins und der Sicherheit verbindet. Zentral sind vor allem Worte, deren Melodien und die darin enthaltenen Erinnerungen und Gefühlsfärbungen. So wohnt sie etwa in einem Sommerregen, in Balzac oder in einem Lied von Edith Piaf. Der Einstieg in den farb- und geschichtsreichen Bilderstrom ist geprägt von kreativem Überschwang, aber auch vom Terror des türkischen Militärregimes, vor dem die junge Schauspielerin ins tristgraue, schuldbewusste Berlin – „Draculas Grabmal“ flieht. Später folgt sie einem Theaterauftrag ins weltoffene Paris, das durch eine internationale Kunst- und Intellektuellenszene geprägt war: „Das Leben sah aus als ob die Hölle hier eine Pause gemacht hätte.“ Özdamar vermittelt Atmosphären im Nachkriegseuropa durch Begegnungen und Gespräche. Sie spricht mit allen, mit Clochards, Kindern, Moskitos, Katzen und leeren Gauloisepäckchen und verwebt magisch realistische Elemente mit präziser und gleichzeitig emotionaler Analyse.
Susa
Emine Sevgi Özdamar: Ein von Schatten begrenzter Raum. 763 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2021 EUR 28,95