Wenn Migration psychisch krankmacht

In ihrer inhaltsreichen Studie über lateinamerikanische Frauen, die im Laufe ihrer Migration in die Schweiz an Depression erkrankt sind, geht Amina Trevisan der Frage nach, welche biographische Bedeutung das Krankheitserleben im Kontext der Migrationserfahrung und der Gesamtbiographie dieser Frauen hat. Damit fokussiert sie auf die in der Forschung unterrepräsentierten subjektiven Erfahrungen von psychischen Erkrankungen von Migrantinnen. Auf der Basis von siebzehn autobiographisch-narrativen Interviews, in denen die lateinamerikanischen Migrantinnen ihre meist von Deklassierung, Rassismus und fehlender persönlicher wie gesellschaftlicher Unterstützung geprägten Migrationserfahrungen erzählen, setzt sie sich kritisch mit den depressionsfördernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Migrantinnen auseinander.
Wie die Migrantinnen selbst ihre Depressionserkrankung darin verorten, zeichnet Trevisan in zwei ausführlich rekonstruierten Lebens- und Krankheitsgeschichten akribisch nach. Unter Einbezug aller Interviews benennt sie dann zentrale Ursachen und Kontexte der Depression von Migrantinnen, wie z.B. Rassismus, beruflichen Ausschluss und Dequalifizierung, binationale Ehen.
Das kritische Potenzial der Arbeit liegt darin, die gesellschaftliche Produktion von Ungleichheit vermittels subjektiver Erfahrungen zu beleuchten. Trevisan gelingt es, für lateinamerikanische Migrantinnen in der Schweiz lebendige Biografiearbeit mit empirischer Analyse von Depression zu verbinden.
SaZ
Amina Trevisan: Depression und Biographie. Krankheitserfahrungen migrierter Frauen in der Schweiz. 516 Seiten, transcript, Bielefeld 2020, EUR 49,99