Bikulturelle weibliche Identitäten

Die Sozialpädagogin und erfahrene Sozialberaterin Bülbül-Emanet legt eine interessante empirische Studie vor, in der sie zehn Frauen zwischen 14 und 20 Jahren in narrativen Interviews zu Wort kommen lässt. Mit dem Selbstbild, weder „türkisch“ noch „deutsch“ zu sein, wollen sie sowohl von ihrer Herkunfts- als auch von der sie umgebenden deutschen Mehrheitsgesellschaft als eigenständige Generationenpersönlichkeit anerkannt und akzeptiert werden.

Die widersprüchlichen Rollenerwartungen – Gehorsam und Anpassung ebenso wie gute Ausbildung, Durchsetzungsvermögen in der Berufswelt und sozialer Aufstieg – verbunden mit fehlender Anerkennung und Diskriminierungserfahrungen lösen Unsicherheit und Druck aus. Als ungerecht und belastend erlebt wird auch, dass die Mehrheitsgesellschaft Normalität definiert. Jede Diskriminierungserfahrung bestätigt und verstärkt das Gefühl der kulturellen Unvereinbarkeit mit diesen Ansprüchen. Viele beschreiben das Bewusstsein eines Fremdheitsgefühls als zentral in ihrer Lebensweltaneignung.

Bourdieus Habitus-Konzept von der Verkörperung symbolischer Gewaltverhältnisse bietet Erklärungsmöglichkeiten, wie Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster beider Gesellschaftsordnungen inkorporiert werden und ein Gefühl der Zerrissenheit zur Folge haben können. Die jungen Frauen ringen um eine bikulturelle Identität, ohne mit der einen oder anderen Kultur brechen zu müssen. Dieses Streben nach Autonomie und eigenen Lebensentwürfen muss gesellschaftspolitisch Anerkennung finden, wenn „Integration“ nicht bloße Anpassung an eine angeblich existierende „Leitkultur“ bedeuten soll. Bettina Zehetner, Frauen beraten Frauen

Sevnur Bülbül-Emanet: Lebensweltgestaltung junger Frauen mit türkischem Migrationshintergrund in der dritten Generation. „Mama, erzähl mir neue Sachen, deine sind schon veraltet“. 207 Seiten, Springer Verlag, Wiesbaden 2015 EUR 35,97